Miss Marple im Alten Land

Zurück auf Los nennt man das wohl. Nach ihrem eher glücklosen fünfjährigen Gastspiel in Göttingen  an der Seite einer festen Kollegin ist LKA-Ermittlerin Charlotte Lindholm jetzt wieder von Hannover aus auf Solotour durch ganz Niedersachsen. Irgendwo in der norddeutschen Tiefebene passiert ein Mord; die Kommissarin kommt vorbei und sagt den tapsigen, schratigen oder auch grantigen Dorfpolizistinnen und Dorfpolizisten, wo es lang geht. So war es ja schon überwiegend in den Nuller- und Zehnerjahren bei Lindholm.

Sie ist also wieder back on the road. Diesmal sogar, das ist ganz drollig, im öffentlichen Personennahverkehr. An der Bushaltstelle Krautsand-Deich steigt sie aus und hat dann auch schon gleich von irgendwoher einen Apfel, in den sie lustvoll beißt. Denn der neue Fall von Lindholm über einen Todesfall auf einem Biobauernhof ist im Alten Land nahe Hamburg und Elbe angesiedelt, von wo aus der ganze Norden Deutschlands mit den verschiedensten Apfelsorten versorgt wird.

Sie kennen diese Vielfalt vielleicht aus dem Lied »Der Apfelmann« , den der damals in Hamburg lebende Blumfeld-Sänger Jochen Distelmeyer einem Altenhändler Apfelbauern gewidmet hat, der auf einem Wochenmarkt in der Stadt seine Ware feilbietet. Offenbar angeschickert von den verschiedenen Süßen und Säuren der Äpfel säuselt Distelmeyer darin: »Jonagored, Novajo, Elstar, Karmijn, Rubi, Winterprinz, Ontario, Gravensteiner, Fuji, Berlepsch, Melrose, Ida Red, Kannst Du mal versuuuchen, Und Geheimrat Oldenburg, Für den Apfelkuuuchen.«

Ökobauern gegen Glyphosat-Mafia

Leider wird in diesem Landkrimi gar nicht so sehr diese besungene Fülle der unterschiedlichen Früchte in Szene gesetzt. Die Chemie spielt eine größere Rolle. Statt um Boskoop, Jonagored oder Finkenwerder Herbstprinz geht es um verschiedene schwierig auszusprechende Pestizide. Denn der Fall soll auch von dem Widerstreit zwischen konventioneller und ökologischer Landwirtschaft im Alten Land erzählen.

Auf einem Biohof ist der rumänische Hofarbeiter tot aufgefunden worden. In einem Schuppen liegt seine von einem Siloschneider enthauptete Leiche, der Kopf ist unauffindbar. Der gemütliche Dorfpolizist (Ole Fischer) geht von einem Unfall aus, doch Lindholm (Maria Furtwängler) wittert schnell die vorsätzliche Tat. Die alte Bäuerin des Hofes (Lina Wendel) ist eine Umweltaktivistin, die gegen die »Glyphosat-Mafia« wettert, die angeblich alle Betriebe der Nachbarschaft in ihre Hände kriegen will. Steht der Mord also in Beziehung zu einem größeren Aufteilungsplan?

»Letzte Ernte«, so der naheliegende Titel der neuen Folge, ist sehr bieder inszeniert. Das ist besonders schade, da doch zuvor von den Göttinger »Tatorten« mit Lindholm und der von Florence Kasumba gespielten afrodeutschen Kommissarin Anaïs Schmitz ein gewisses Aufbruchssignal ausging. Dass man nun Lindholm nach dem Scheitern dieses modern gedachten Teams einfach so zurück auf Landpartie und in die Retroschleife schickt, hat die Ermittlerinnenfigur nicht verdient.

Regisseur Johannes Naber hat vor zehn Jahren mit »Zeit der Kannibalen« eine grandios übersteuerte Kapitalismussatire vorgelegt. Dieser »Tatort« (Buch: Benedikt Röskau, Stefan Dähnert und Naber selbst) ist dagegen einfach nur tranig. Denn aus dem sich anfänglich brisant gebenden Arbeitsweltkrimi (Krebstod durch Glyphosat! Schwindel mit Bioetiketten! Selbstausbeutung auf dem Öko-Hof!) wird schnell eine Krimikamelle im Stil von Agatha Christie.

Die Rückkehr des Knobelkrimis im Schleichmodus ist ein zweifelhafter Trend im Sonntagskrimi, der sich schon in einigen Münchner »Tatorten« manifestierte. Im neuen Fall aus Norddeutschland läuft Furtwängler wie Miss Marple durch die Apfelbäume, um im endlos langen Finale die Verdächtigen in der Scheune zu einem Stuhlkreis zu versammeln, wo sie mit allerlei umständlich aus einem Karton hervorgezauberten Beweisstücken und einem analogen Wecker die Tat rekonstruiert.

Genießen Sie bei diesem Heizdecken-»Tatort« gern noch ein Stück des übriggebliebenen Apfelkuchens. Hoffentlilch ist er mit Geheimrat Oldenburg gebacken. Gespritzt oder ungespritzt, völlig egal.

Bewertung: 4 von 10 Punkten

»Tatort: Letzte Ernte«, Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste

Darstellerin Furtwängler mit Spielpartner Ole Fischer: Enthauptet vom Siloschneider

Foto: Christine Schröder / NDR

Verwandte Artikel

Next Post