1. Diplomatie per Videoschalte
Dass Bundeskanzler Friedrich Merz und europäische Verbündete heute um 15 Uhr mit dem US-Präsidenten Donald Trump per Videoschalte telefonieren wollten, war klar. Erst heute bekannt wurde allerdings, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dafür extra nach Berlin gereist ist.
Das brachte die Berliner Polizei, die erst kurzfristig von dem Besuch erfuhr, ziemlich in die Bredouille. »In Sachen Vorbereitung ist das natürlich ein Super-GAU«, sagte der Berliner Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Stephan Weh. Zur Sicherung Selenskyjs wurde demnach »alles in den Dienst gerufen, was irgendwie verfügbar ist«. (Lesen Sie hier mehr darüber)
Ziel der Videoschalte war es, eine gemeinsame Linie mit Trump zu finden, bevor dieser am Freitag in Alaska Kremlchef Wladimir Putin trifft, um über den Ukrainekrieg zu verhandeln. Die Europäer und Präsident Selenskyj befürchten, dass sich Trump und Putin in Alaska auf Gebietsabtretungen der Ukraine an Russland verständigen könnten (mehr über Selenskyjs Haltung zum Alaska-Gipfel lesen Sie hier ).
Als Merz und Selenskyj am späten Nachmittag vor die Presse in Berlin traten, gaben sie sich mehr oder weniger zuversichtlich. Beim Treffen in Alaska könnten wichtige Entscheidungen getroffen werden, sagte Merz. Die Europäer würden alles tun, um die Weichen für das Treffen in die richtige Richtung zu lenken: »Wir wollen, dass Präsident Donald Trump am Freitag in Anchorage Erfolg hat.« Sollte es jedoch keine Bewegung auf russischer Seite geben, müssten die USA und Europa den Druck erhöhen, sagte Merz. Trump kenne diese Position und teile sie »sehr weitgehend«.
Hier die ganze Meldung: Diese fünf Forderungen geben die Europäer Trump mit auf den Weg
2. Die größten Tops und Flops der Regierung
Heute vor 100 Tagen wurde Bundeskanzler Friedrich Merz gewählt, seit etwas mehr als drei Monaten sind er und seine schwarz-rote Koalition im Amt. Meine Kollegen Fabian Hillebrand und Jonas Schaible sowie meine Kollegin Maria Fiedler haben sich zu diesem Anlass angeschaut, wie sich die Regierung bisher geschlagen hat, und dafür diverse Kategorien aufgestellt, unter anderem diese:
Der wichtigste Erfolg: Merz profilierte sich gleich am Anfang als »Außenkanzler«
Die größte Pleite: die gescheiterte Wahl der SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin
Der markanteste Satz: »Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht für uns alle« (Merz’ Kommentar nach Israels Angriff auf iranische Atomanlagen sowie Kommandeure der iranischen Militärführung)
Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Wo steht Schwarz-Rot nach 100 Tagen?
Meine Kollegin Susanne Beyer attestiert dem Kanzler in einem Leitartikel ein Führungsproblem. Erst in den vergangenen Tagen sah es schließlich nach einer Revolte in den eigenen Reihen aus, nachdem Merz beschlossen hatte, Rüstungslieferungen nach Israel einzuschränken. Merz habe nach der Wahl schnell verstanden, dass sich die Zwänge des Regierens nicht nach den Wünschen einer Partei richten, und habe die richtigen Konsequenzen gezogen. Aber er habe nicht verstanden, dass es heute andere Ansprüche an gute Führung gebe als noch vor 20 Jahren. »Offenbar dachte er, die Union würde ihm blind folgen«, schreibt Susanne. »Ein solches Verhalten kann sich kein Kanzler mehr leisten.«
Hier der ganze Leitartikel: Merz hat ein Führungsproblem
3. Apokalyptische Schreckensszenarien
Dass der Verfassungsschutz in Brandenburg die dortige AfD als gesichert rechtsextrem einstuft, gilt schon seit April (lesen Sie hier mehr). Jetzt kann man auch in einem Gutachten nachlesen, wieso es zu dieser Entscheidung kam. Der Landesverband vertrete einen »ethnisch-kulturellen bis abstammungsmäßig-biologistischen Volksbegriff«, heißt es dort. »Gezielt schüren Akteure fremdenfeindliche Ängste in der deutschen Bevölkerung.« Dabei bedienten sie sich »bewusst apokalyptischer Schreckensszenarien«.
Nach den Landesverbänden in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt ist der Landesverband Brandenburg der vierte, der als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde. Trotz ihres radikalen Kurses erhielt die AfD bei der letzten Landtagswahl 2024 fast 30 Prozent der Stimmen und landete nur knapp hinter der SPD auf dem zweiten Platz. In Teilen Brandenburgs, so schreibt der Verfassungsschutz, sei die AfD bereits nahe daran, eine »kulturelle Hegemonie« zu erringen und »rechtsextremistische Positionen in der Mitte der Gesellschaft zu verankern«. Was für düstere Aussichten!
Lesen Sie hier die ganze Geschichte: »Gezielt schüren Akteure fremdenfeindliche Ängste in der deutschen Bevölkerung«
Was heute sonst noch wichtig ist
»Es findet hier in Deutschland keine Zensur statt«: Die USA attestieren der Bundesrepublik Mängel bei der Meinungsfreiheit und ein wachsendes Antisemitismusproblem. In Berlin hat man den Befund nun quittiert. Jens Spahn warnt zugleich vor der Tabuisierung bestimmter Themen.
Uno wirft israelischen Sicherheitskräften sexuelle Gewalt vor: Uno-Mitarbeitern sei der Zugang zu den mutmaßlichen Tatorten verweigert worden: Generalsekretär António Guterres will Informationen über sexuelle Gewalt gegen Palästinenser vorliegen haben. Israel widerspricht.
Putins Soldaten erzielen in der Ukraine größten Geländegewinn binnen 24 Stunden seit einem Jahr: Kurz vor dem Gipfel zwischen Donald Trump und Wladimir Putin gewinnt Russlands Militär an Boden. Im Laufe eines Tages haben die Kremltruppen Kontrolle über ein Gebiet von 110 Quadratkilometern erlangt.
Leopoldina empfiehlt Verbot von Social-Media-Accounts für Kinder unter 13 Jahren: Nach Grünenpolitiker Özdemir verlangt nun auch die Leopoldina strengere Regeln für Kinder und Jugendliche in sozialen Medien. Sie schlägt mehr Kontrolle durch Eltern, automatische Pausenzeiten und eine Altersgrenze vor.
Norddeutsche Regierungschefs für unterschiedliche Strompreiszonen: Der windreiche Norden zahlt im Großhandel bislang genauso viel für Strom wie der verbrauchsstarke Süden. Geht es nach mehreren Regierungschefs norddeutscher Bundesländer, soll sich das bald ändern.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Lernen von den alten Ägyptern
Die Sommerhitze ist zurück und sorgt vor allem im Südwesten Deutschlands für Höchsttemperaturen (Grüße gehen raus an meine Heimat Neunkirchen im Saarland, wo heute 35,7 Grad Celsius gemeldet wurden). Und auch wenn mit dem Klimawandel alles schlimmer wird – heiß war es auch früher schon von Zeit zu Zeit. Deshalb hat mein Kollege Frank Patalong recherchiert, wie etwa Ägypter und Römer anno dazumal ihre Häuser gekühlt haben. Es geht um ausgefuchste Lüftungssysteme, Windtürme und Verdunklung.
Lesen Sie hier die ganze Geschichte: So funktionierten antike Klimaanlagen
Was heute weniger wichtig ist
Ciao, mi chiamo Jimmy: Der US-Comedian Jimmy Kimmel, 57, hat neben seiner US-amerikanischen nun auch die italienische Staatsbürgerschaft. Das erzählte er im Podcast seiner Ex-Partnerin und Komikerin Sarah Silverman. Grund dafür sei die Lage im Land unter Trump. »Was hier vor sich geht, ist so schlimm, wie man es sich vorgestellt hat«, sagte Kimmel. »Es ist noch viel schlimmer. Es ist einfach unfassbar.«
Mini-Hohl
Hier finden Sie den ganzen Hohl.
Cartoon des Tages
Und heute Abend?
Morgen läuft der Film »Das Kanu des Manitu« in den Kinos an, die Fortsetzung des »Schuh des Manitu«, eine der erfolgreichsten Produktionen der deutschen Filmgeschichte aller Zeiten. Zur Vorbereitung könnten Sie die Westernkomödie über den Apachenhäuptling Abahachi und seinen Rosa tragenden Zwillingsbruder Winnetouch streamen. Meine Kollegen Christian Buß und Lars-Olav Beier haben Regisseur und Hauptdarsteller Bully Herbig zum Interview getroffen und gefragt, wie er seinen eigenen Film aus dem Jahr 2001 aus heutiger Sicht findet. Er sagt: »Ein paar Gags funktionieren nicht mehr ganz so gut. Aber nicht deshalb, weil sie nicht woke genug rüberkommen, sondern weil sie einfach verstaubt sind.«
Lesen Sie hier das ganze Interview: »Wenn ihr das schreibt, schmeiße ich euch eine Stinkbombe in die Redaktion«
Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. Herzlich
Ihre Laura Backes, Autorin
Niemandem verpflichtet außer Ihnen
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Einsatzkräfte der Polizei in der Umgebung des Kanzleramts
Foto: Fabian Sommer / dpaKanzler Merz und Vizekanzler Klingbeil – hier in einer Doppelbelichtung
Foto: Florian Gaertner / photothek.de / picture allianceLandesparteitag der AfD Brandenburg in Jüterbog im März 2024: »Ethnisch-kultureller bis abstammungsmäßig-biologistischer Volksbegriff«
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Moderator Kimmel: Heißt es bald »Ciao, Mr President«?
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Filmemacher Herbig: »Ich glaube nach wie vor an Komödien«
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