Szene des Spiels: Neun Tore gab es in diesem Spiel, aber die schönste Aktion zählte nicht mal. In Frankreichs Strafraum warteten alle auf eine Freistoßflanke aus dem Halbfeld, aber der Ball kam zu Lamine Yamal, der kurz schaute und dann sanft vors Tor chippte. Dort köpfte Martín Zubimendi, ein Sechser, quer zum 20 Jahre alten Innenverteidiger Dean Huijsen, der mit einem artistischen Seitfallzieher vollendete (43.). Zubimendi stand leider minimal im Abseits, weshalb das Tor nicht zählte, es zeigte aber die Spielfreude- und kunst, die in dieser spanischen Mannschaft stecken.
Das Ergebnis: Spanien gewann im Halbfinale der Nations League 5:4 (2:0) gegen Frankreich. Damit steht der Europameister zum dritten Mal in Folge im Finale, in dem es jetzt gegen Portugal geht.
Public Enemy: Es ging nicht mal gegen Deutschland, trotzdem ahnte Marc Cucurella schon, was ihm blühte. Im selben Stadion in Stuttgart hatte der spanische Linksverteidiger im EM-Viertelfinale 2024 gegen Deutschland den Ball gegen die Hand bekommen. Es gab aber keinen Elfmeter, erst Monate später räumte die Uefa offiziell eine Fehlentscheidung ein. Den Frust über die Niederlage ließen die deutschen Zuschauer im weiteren Turnierverlauf an dem gelockten Spanier aus. »Ich bin darauf vorbereitet, wieder ausgebuht zu werden«, sagte Cucurella vor der Partie gegen Frankreich – und das wurde er auch.
Die erste Hälfte: Bot unterhaltsames Angriffsspiel auf beiden Seiten. Gefühlt ging es nach jedem Ballgewinn schnell nach vorn, bis zur Pause kamen beide Mannschaften auf insgesamt 470 erfolgreiche Pässe und 22 (!) Abschlüsse. Ins Tor trafen aber nur die Spanier mit tollen Kombinationen, die Nico Williams (22.) und Mikel Merino (25.) vollendeten. Die Franzosen hielten mit, statistisch waren sie ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen, doch an Torhüter Unai Simón kam die Star-Offensive um Kylian Mbappé nicht vorbei.
Vielseitigkeit > Durchschlagskraft: Nominell im Zentrum aufgestellt war der spielstarke Mikel Oyarzabal statt des klassischen Mittelstürmers Alvaro Morata, der auf der Bank saß. Trainer Luis de la Fuente lag richtig, denn beim 1:0 fummelte Oyarzabal den Ball auf engem Raum brillant durch zu Williams, dann überspielte er Frankreichs Abwehr zum 2:0 durch Merino, der beim FC Arsenal seit Monaten im unterbesetzten Sturmzentrum aushilft. Für Spanien durfte er mal wieder in seiner Heimat, dem Mittelfeld, spielen – trotzdem traf er wie ein echter Neuner.
Lieblingsstadion: Nicht nur Cucurella erlebte ein Déjà-vu, auch Merino dürfte sich an den 5. Juli 2024 erinnert gefühlt haben, als er zum Torjubel abdrehte. Zwar war sein Treffer gegen Frankreich nicht annähernd so bedeutend wie damals, als er in der 119. Minute Deutschland aus dem Turnier und Spanien ins Halbfinale der EM köpfte, aber immerhin ergab er eine nette Statistik: Die Hälfte seiner vier Länderspieltore erzielte der zentrale Mittelfeldspieler im gleichen Stadion.
Die zweite Hälfte: Innerhalb von zehn Minuten vernichtete La Furia Roja jede Hoffnung auf ein Comeback, so dachte man zumindest. Erst wurde Lamine Yamal im Strafraum gefoult und verwandelte den fälligen Elfmeter selbst (54.), direkt danach bediente Nico Williams Pedri zum 4:0 (55.). Frankreichs vermeintlicher Ehrentreffer per Foulelfmeter (59.) war zunächst nur interessant, weil Mbappés Serie von sieben torlosen Länderpflichtspielen endete. Danach machte Spanien weiter, Yamal erhöhte sogar auf 5:1 (67.).
Die zweite Hälfte der zweiten Hälfte: Fünf zu eins, hier ging nichts mehr, war doch klar. Denkste. Rayan Cherki legte sich selbst ein herrliches Volleytor aus 20 Metern vor (79.) zum 5:2, dann traf der eingewechselte Daniel Vivians ins eigene Tor (84.) – nur noch zwei Tore Abstand. Die TV-Kameras zeigten nur noch den schimpfenden de la Fuente an Spaniens Seitenlinie, als Randal Kolo Muani eine Großchance zum 5:4 vergab (87.). Das gelang dem Ex-Frankfurter erst in der Nachspielzeit (90.+3), für das tatsächliche Comeback kam der Treffer aber zu spät. So kratzte man sich nach Abpfiff am Kopf: War das Spiel jetzt eine Klatsche oder doch irgendwie knapp?
Goldenes Duell: Es war auch ein direktes Kräftemessen der beiden Favoriten auf den Ballon d’Or. Die Buchmacher führen Ousmane Dembélé und Lamine Yamal als Favoriten für die wichtigste Einzelauszeichnung im Fußball. Der Franzose ist beim Champions-League-Sieger Paris Saint-Germain vom Zirkusspieler zur Weltklasse gereift, Yamal setzte unter Barça-Trainer Hansi Flick seine Karriere als Wunderkind fort. Vor der Partie gab sich der 17-jährige Spanier kampflustig: »Wenn die Leute wollen, dass wir am Donnerstag darum spielen, dann spielen wir am Donnerstag!« Yamal traf doppelt, Frankreich kam erst nach Dembélés Auswechslung (76.) ran.
Der Unterschied: In Spaniens Startelf fehlten Weltfußballer Rodri und der sechsfache Champions-League-Sieger Dani Carvajal, zudem mehrere Spieler mit wichtigen Rollen beim EM-Triumph 2024 entweder verletzt oder auf zunächst auf der Bank. Frankreich-Trainer Didier Deschamps musste mit Jules Koundé, William Saliba und Dayot Upamecano auf wichtige Defensivkräfte verzichten, außerdem nicht dabei waren Eduardo Camavinga und Ferland Mendy von Real Madrid. Aber das war zu verkraften, beide Teams spielten auf Topniveau, was einen Tag später noch mal verdeutlichte, was Deutschland aktuell noch fehlt, um zur Weltspitze zu gehören: Kadertiefe.
Ausblick: Bis zum Finale ist es nicht mehr lang, schon am Sonntag um 21 Uhr wird in München zwischen Spanien und Portugal der Nations-League-Titel 2024/2025 vergeben. Am gleichen Tag um 15 Uhr steigt in Stuttgart bereits das Spiel um Platz drei, in dem Deutschland auf Frankreich trifft.
Mikel Merino beim 2:0
Foto: Angelika Warmuth / REUTERSYamal zeigte mal wieder seine Extraklasse
Foto: Kai Pfaffenbach / REUTERS