Im Rentenzoff waren die Fronten zwischen Union und SPD bisher völlig verhärtet, nun gibt es aber Bewegung – zumindest in einer Frage. Der jüngste Vorstoß aus den Reihen der Sozialdemokraten zu einer Kopplung des Renteneintrittsalters an die Zahl der Beitragsjahre wird in den Reihen von CDU und CSU durchaus ernst genommen. Von reflexhafter Ablehnung, mit der beide Seiten sonst üblicherweise auf gegenseitige sozialpolitische Vorschläge reagieren, kann jedenfalls keine Rede sein.
Den Grundgedanken der Verknüpfung mit den Beitragsjahren finde er »sympathischer«, als den Renteneintritt an ein bestimmtes Lebensalter zu koppeln, sagte etwa CSU-Chef Markus Söder – auch wenn es noch viele Dinge zu bedenken gebe, etwa ob in den Beitragsjahren in Teilzeit gearbeitet worden sei. Auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hält den SPD-Vorschlag für diskussionswürdig. Die von der Regierung geplante Rentenkommission müsse jetzt ohne Denkverbote und Vorfestlegungen arbeiten, sagte Linnemann den Zeitungen der Funke Mediengruppe. »Die Überlegung, das Renteneintrittsalter an die Zahl der Beitragsjahre zu koppeln, gehört da sicherlich dazu.«
Jens Südekum, Wirtschaftsprofessor und Berater von SPD-Finanzminister Lars Klingbeil, hatte jüngst die Debatte über einen solchen Rentenmechanismus angestoßen, um das chronisch unterfinanzierte Rentensystem zu stabilisieren. Vor allem für Akademikerinnen und Akademiker könnte dies ein späteres Renteneintrittsalter bedeuten. Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) äußerte am Sonntag Gefallen an der Idee.
»Vorschlag wird Ungleichheiten verstärken«
Widerstand kommt hingegen von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). »Der von Bas unterstützte Vorschlag eines einzelnen Beraters ist eine Neuauflage der Rente mit 63 unter einer neuen Überschrift. Dieses war falsch, bleibt falsch – und wird auch zukünftig unter einer neuen Überschrift falsch sein«, sagte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter der Nachrichtenagentur dpa in Berlin.
Kritisch äußerte sich auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher: »Der Vorschlag wird die Altersarmut nicht reduzieren, sondern Ungleichheiten verstärken«, sagte der Ökonom der »Rheinischen Post«. Zudem werde der Vorschlag zu einem intensiven Streit über die Frage führen, »ob und wann Unterschiede im Renteneintrittsalter berechtigt sind oder nicht«, sagte Fratzscher. Aus seiner Sicht würden auf diese Weise »Menschen und vor allem Frauen, die viele Jahre ehrenamtlich tätig waren oder sich um die Familie gekümmert haben, schlechter gestellt«.
Doch auch innerhalb der Koalition gibt es in der Rentenfrage weiter großes Streitpotenzial. Eine mögliche Ausweitung des Kreises der Einzahlenden etwa, wie ihn sich die SPD vorstellen kann, sieht CSU-Chef Söder skeptisch. »Ich weise da darauf hin, dass wir sehr zurückhaltend sind, Beamte damit einzubeziehen, Selbstständige, Sozialabgaben zu verlangen auf Dividenden«, sagte der bayerische Ministerpräsident. Er warnte vor einer »Enteignung der Mittelschicht«.
Die CSU werde zwar mit »großem Engagement« in die Arbeit der Rentenkommission gehen, bei der Frage nach der Einbeziehung weiterer Einzahler werde sie sich aber sehr zurückhalten. »Wir wollen nicht, dass die Rentenkommission ein Instrument des Klassenkampfes wird«, sagte Söder.
Noch vor Weihnachten soll die neue Rentenkommission eingesetzt werden. Wissenschaftler sollen dort ebenso vertreten sein wie Politikerinnen und Politiker – auch explizit die junge Generation. Bis Mitte 2026 sollen Vorschläge vorliegen, die dann rasch in ein Gesetzgebungsverfahren münden sollen. SPD-Co-Chefin und Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas hatte bereits gesagt, dass es in der Kommission keine Denkverbote geben dürfe.
Söder rief Bas dazu auf, nicht nur mit Gewerkschaften darüber zu sprechen, sondern auch »gleichzeitig den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen zu den Arbeitgebern. Es ist zwingend, dass sich das entkrampft und man miteinander arbeiten kann.«
Die Rentenkommission müsse auch auf die schwierigen Fragen Antworten liefern, sagte Söder. Jeder, der über das Rentenniveau diskutiere, müsse wissen, dass eine Senkung eine politische Herausforderung sei. Wenn die AfD 70 Prozent Rentenniveau fordere, was zwar niemals finanzierbar sei, zeige es dennoch, worum es gehe. »Keiner darf vergessen, dass die Rente als solche 50 Prozent Haupteinkommen im Westen ist und 70 Prozent Haupteinkommen im Osten. Das heißt, die Rente trifft schon das Thema Lebenserfahrung, Lebensnerv, aber eben auch Erwerbsbiografie.«
Die Arbeitgeber halten die Pläne von Finanzminister Klingbeil zur Reform der privaten Altersvorsorge derweil nicht für ausreichend. Statt früheren Überlegungen des Ministeriums solle es nun nur eine staatliche Förderung von 1800 Euro pro Jahr geben statt einst 3000 Euro, sagte Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes BDA. »Wer die private Altersvorsorge wirklich stärken will, muss auch ausreichende Möglichkeiten zum Sparen schaffen.« Eine höhere Förderung würde der Empfehlung von Experten entsprechen. »Bezeichnend: Die Reform soll für den Fiskus aufwandsneutral sein.« Hier müsse die schwarz-rote Koalition noch nachbessern, sonst werde eine Chance verpasst.