Solch eine Situation dürfte es in deutschen Gerichten selten geben: Ein Kläger scheitert vor Gericht, ist aber dennoch zufrieden. Genau so war es am Mittwochmorgen in einem Gerichtssaal des Oberlandesgerichtes in Hamm.
Die Richter sollten darüber entscheiden, ob RWE für Klimaschutz in den Anden zahlen muss. Geklagt hatte der Peruaner Saúl Luciano Lliuya, der sein Haus durch die Klimakrise bedroht sieht. Das Gericht wies die Berufung nun nach einem jahrelangen Prozess ab. Es bestehe keine konkrete Gefahr für das Grundstück des Klägers, teilte das Gericht mit . Die Entscheidung ist rechtskräftig, eine Revision wurde nicht zugelassen (Aktenzeichen 5 U 15/17 OLG Hamm).
Warum sind die Kläger dennoch zufrieden? Und warum klagt überhaupt ein Bauer aus Peru gegen einen deutschen Großkonzern? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Worum geht es?
Lliuya lebt in Huarez, gut 3000 Meter über dem Meeres. Die Stadt mit gut 50.000 Einwohnern hat einen potenziell gefährlichen Nachbarn: den Gletschersee Palcacocha oberhalb der Stadt.
Schon einmal hat es am Palcacocha ein Unglück gegeben. Am 13. Dezember 1941 stürzte ein riesiger Eisblock in den See. Durch die Flutwelle starben laut Schätzungen mehr als 6000 Menschen. Lliuya fürchtet, dass eine ähnliche Flutwelle durch die Klimakrise wahrscheinlicher wird, weil der Gletscher zurückgeht und damit die Wahrscheinlichkeit wächst, dass Teile abbrechen oder ein Fels abrutscht, der einst vom Eis bedeckt war. Er forderte von RWE, sich an den Kosten für Schutzmaßnahmen zu beteiligen.
Warum ausgerechnet RWE?
RWE hat kein Kraftwerk in Peru. Lliuya verklagte den Konzern, weil RWE in Europa zu den größten Verursachern von Emissionen gehört. Laut Anklage ist RWE für etwa 0,5 Prozent des weltweiten CO₂-Ausstoßes verantwortlich. Deshalb forderte Lliuya von RWE etwa 0,5 Prozent der Kosten zu tragen, die für den Schutz der Stadt nötig werden.
Der peruanische Bauer forderte zunächst 17.000 Euro. Im Verlaufe des Verfahrens wurde die Summe auf 13.000 Euro gesenkt, weil RWE nur für 0,38 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich sei, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters.
Warum bekommt die Klage so viel Aufmerksamkeit?
Bisher wurden Unternehmen und Regierungen gerichtlich zwar gezwungen, Klimaziele aufzustellen oder nachzuschärfen. Allerdings wurde laut der Umweltschutzorganisation Germanwatch, die Lliuya bei seiner Klage unterstützt hat, bisher kein Konzern dazu verpflichtet, für bereits verursachte Klimawandelfolgen aufzukommen.
Im aktuellen Fall geht es laut Germanwatch um ein Grundsatzurteil, ob Konzerne entsprechend ihrem Emissionsanteil für Klimaanpassungen anderswo zahlen müssen. Diese Möglichkeit erkennt das Gericht in Hamm nun grundsätzlich an. »Allein die große Entfernung zwischen den Kraftwerken der Beklagten und dem Wohnort des Klägers in Peru ist kein ausreichender Grund, die Klage als unbegründet einzustufen«, sagte der Vorsitzende Richter Rolf Meyer.
Warum sind die Kläger zufrieden mit dem Urteil?
Die Kläger sprechen von einem »bahnbrechenden Urteil«, weil jetzt große Emittenten von Treibhausgasen für Klimarisiken haftbar gemacht werden könnten. Die Entscheidung mag sich zwar wie eine Niederlage anhören, »sei aber in Wirklichkeit ein Grundsatzurteil, auf das sich Betroffene weltweit berufen könnten«, hieß es von Germanwatch.
RWE bezweifelt das. Die Aktivisten seien mit ihrem Versuch gescheitert, einen Präzedenzfall zu schaffen, um nach deutschem Recht einzelne Unternehmen für Auswirkungen des Klimawandels weltweit verantwortlich zu machen, erklärte ein Sprecher. Eine zivilrechtliche »Klimahaftung« hätte unabsehbare Folgen für den deutschen Industriestandort.
Richter Meyer betonte, das aktuelle Urteil sei nichts Neues, sondern ständige Rechtsprechung in Deutschland.
Wie lief der Prozess?
Das Verfahren läuft schon seit Jahren. Allein die Gerichts- und Gutachterkosten belaufen sich mittlerweile auf rund 800.000 Euro.
Lliuya hatte die Klage im Jahr 2015 eingereicht, das Landgericht Essen hatte sie zunächst abgelehnt. Ein einzelnes Unternehmen könne nicht für den Klimawandel verantwortlich gemacht werden, hieß es damals. Der Kleinbauer ging in Berufung, mit Erfolg. Das Oberlandesgericht Hamm ordnete eine Beweisaufnahme an, da die Klimaklage des Bauern schlüssig begründet sei.
Im Jahr 2022 reiste eine Delegation auf Anordnung des OLG Hamm in die peruanischen Berge, um die Gefahrenlage durch den Gletschersee zu begutachten. Die vom Gericht bestellten Fachleute kamen zu dem Schluss, dass es praktisch unmöglich sei, dass Lliuyas Haus überflutet werden könnte.
Ein Gegengutachten der Kläger beziffert ein Flutrisiko in den kommenden 30 Jahren dagegen auf 30 Prozent. Auch laut einer Studie aus dem Jahr 2021 steigt das Risiko für Überschwemmungen am Palcacocha-See wegen des menschengemachten Klimawandels.
Das Gericht folgte der Einschätzung der von ihm bestellten Fachleute. Auch einen Befangenheitsantrag gegen einen der Experten hatte das Gericht zurückgewiesen. »Die Wahrscheinlichkeit, dass überhaupt Wasser des Gletschersees das Haus des Klägers innerhalb der nächsten 30 Jahre erreiche, liege bei nur etwa einem Prozent«, heißt es in der Urteilsbegründung. Komme es tatsächlich zu einer Flut, wäre das Haus kaum ernsthaft gefährdet.
Sind nun auch Autofahrer haftbar?
RWE warf den Klägern vor, einen Präzedenzfall schaffen zu wollen, nach dem jeder, der Treibhausgase ausstößt, für Auswirkungen des Klimawandels weltweit rechtlich verantwortlich gemacht werden könnte. »Wenn es einen solchen Anspruch nach deutschem Recht geben sollte, könnte man auch jeden Autofahrer in Haftung nehmen«, so RWE.
Dieses Argument wies das Gericht jedoch zurück. »Die Rechtsauffassung des Gerichts bedeutet nicht, dass künftig jeder einzelne Bürger rechtlich belangt werden könne«, sagte Richter Meyer. Die Emissionen einer einzelnen Person seien viel zu gering.
Wie geht es weiter?
Sehr wahrscheinlich werden jetzt weitere Klimaklagen folgen. »Das Urteil von heute ist ein Meilenstein und wird Klimaklagen gegen fossile Unternehmen und damit der Abkehr von fossilen Brennstoffen weltweit Rückenwind geben«, sagte Roda Verheyen, die Anwältin von Lliuya. Bereits jetzt laufen laut Germanwatch Dutzende vergleichbare Klimaprozesse.
Einige Klimaklagen erstritten bereits spektakuläre Urteile: 2019 etwa verpflichtete das höchste Zivilgericht der Niederlande die dortige Regierung, die Emissionen drastisch zu senken, und bestätigte damit ein vorheriges Urteil. Diese beschloss daraufhin etwa den Kohleausstieg für das Jahr 2030 und ein Tempolimit. Auf niederländischen Autobahnen gilt seitdem tagsüber Tempo 100.
Auch hierzulande war eine Klimaklage erfolgreich. Das Bundesverfassungsgericht verurteilte 2021 die damalige Große Koalition, das Klimaschutzgesetz nachzubessern.
Mit Material von dpa, Reuters und AFP
Die Anwältin des Klägers, Roda Verheyen, und Christoph Bals von Germanwatch nach der Urteilsverkündung in Hamm: Klimaaktivisten sprechen von einem bahnbrechenden Urteil
Foto: Christopher Neundorf / EPASaúl Luciano Lliuya am Gletschersee: Er konnte zur Urteilsverkündung nicht anreisen, laut seiner Anwältin freut er sich jedoch über die Entscheidung der Richter
Foto: Angela Ponce / REUTERS