Diese Frau hasst der Kreml gerade am meisten

Die russische Propagandamaschinerie kämpft um jede Nachrichtenlage. Das aktuelle Cover der polnischen »Newsweek« zum Beispiel, auf dem der polnische Außenminister mit dem Zitat »Es ist Putin, der uns spaltet« zu sehen ist, bringen Russlands Trolle in einer modifizierten Version unters Volk: »Es ist Selenskyj, der uns spaltet«. Da reicht ein bisschen Photoshop.

Die Propagandageschichten über Polen sind manchmal so plump, dass es schon wieder lustig ist, etwa die Behauptung, dass »68 Prozent der Polen glauben, Putin wäre ein idealer Präsident« für ihr Land. Dieser Bericht stammte angeblich von dem in Wahrheit Putin-kritischen Sender TVP World, dem Auslandssender des polnischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Plumpe Fälschungen in gewaltiger Menge

Den erfolgreichen ukrainischen Drohnenangriff auf russische Kampfflugzeuge  tief im Landesinneren deuten in russischen Propagandaerzeugnissen vermeintlich westliche Kommentatoren um: als Zeichen der »emotionalen Erschöpfung« der ukrainischen Streitkräfte. In einem Fakeclip wird die Behauptung dem Thinktank »Institute for the Study of War« (ISW) zugeordnet, samt Logo. Die Fakevideos auf TikTok und X behaupten, nach der Drohnenattacke habe es einen »starken Anstieg von Desertionen« in der ukrainischen Armee gegeben. Es sind plumpe Fälschungen, aber es sind Massen davon.

Ein substanzieller Teil des derzeitigen Outputs von Russlands Propagandisten aber richtet sich gegen ein kleines Land und eine bestimmte Politikerin: Maia Sandu, die proeuropäische Präsidentin der Republik Moldau. Die Vorwürfe in der Fakeflut sind so vielfältig wie typisch. Immer wieder wird beispielsweise behauptet, Sandu sei der Kopf eines Ringes, der ukrainische Kinder als Sexsklaven nach Westeuropa verkauft, das gibt es auch in englischen und deutschsprachigen Versionen. Das dockt an die Narrative der QAnon-Verschwörungstheorie an und ist zweifellos als maßgeschneiderter Content für die verschwörungsideologische Szene in Westeuropa gedacht.

Die Frau heißt Olena, nicht Elena

Bei so einer Verschwörungserzählung darf natürlich die Ukraine nicht fehlen – den Fakegeschichten zufolge arbeitet »Sandus Entourage« beim Kinderschmuggeln mit der »Elena-Selenskaja-Stiftung« zusammen. Tatsächlich gibt es in der Ukraine eine Stiftung, die sich um ukrainische Waisenkinder kümmert . Aber ihre Gründerin, Wolodymyr Selenskyjs Ehefrau, heißt auf Ukrainisch Olena Selenska, nicht Elena Selenskaja.

Auch Alina Lipp macht bei der Kampagne gegen Sandu mit. Lipp ist eine deutsche Russlandpropagandistin , die seit Jahren die Propaganda des Kreml für ein deutschsprachiges Publikum aufbereitet, gern im Gleichklang mit Leuten aus der AfD und anderen aus der rechtsextremen Szene.

Die meisten der Fakevideos sehen ähnlich aus, das war in dieser Kolumne schon Thema: Hochkant-Clips, optimiert für soziale Medien also, bestehend überwiegend aus Stock-Bildern und -Videos und Agenturmaterial, manchmal sind auch KI-Fakes dabei. Kombiniert sind die Bilder mit Texteinblendungen, repetitiven Musikloops und stets dem Logo einer Medien- oder anderen Organisation. Flankierend gibt es haufenweise gefälschte Magazincover, von, wie erwähnt, »Newsweek« über den »Economist« bis hin zu »Titanic« und »Charlie Hebdo«. Die Fakecover zielen meist auf Wolodymyr Selenskyj. Eine bemerkenswert große Zahl der Videos aber betrifft erfundene Geschichten über Moldau und eben Sandu.

15-Millionen-Dollar-Villa?

Über die proeuropäische Politikerin hat sich den russischen Propagandafakes zufolge sogar schon die EU-Kommission in einem Video geäußert. Die sei »besorgt über eine mögliche Welle der illegalen Einwanderung aus Moldau«. Das entsprechende Fakevideo ist mit einem Logo der EU-Kommission verziert. Ein gefälschtes Fox-News-Video behauptet, Moldaus Regierung habe 125.000 Hektar Land an Tochtergesellschaften des Finanzinvestors Blackrock verkauft.

Mal ist Sandu vermeintlich Korruption nachgewiesen worden (angeblich von dem im Kreml verhassten Recherchekollektiv Bellingcat – Moskau hat sogar versucht , einen der führenden Köpfe von Bellingcat ermorden zu lassen ). Mal besaß sie angeblich eine Villa im Wert von 15 Millionen Dollar, die bei den Bränden in Los Angeles zerstört wurde. Mal war sie bei der letzten Wahl in Moldau mit einer 150.000-Dollar-Handtasche unterwegs, mal hatte sie haufenweise Offshore-Firmen. In einem Video wird sogar behauptet, sie habe sich den »Markt für Kirchenausrüstung« in Moldau unter den Nagel gerissen.

Manche der Clips scheinen speziell für bestimmte europäische Länder gedacht, etwa Italien: Angeblich kaufen dort Moldauer massenhaft gefälschte Pässe, was an Korruption in Moldauer Konsulaten liege und Sandu angelastet wird. Ein weiteres Video behauptet, Sandus Zustimmungsrate unter Moldauern in Italien habe sich halbiert, ein drittes, dass sich die Zahl der »illegalen Migranten aus Moldau« nach Italien jüngst verdoppelt habe. Immer finden sich in den Videos Senderlogos, oft das von Euronews.

450.000 Views bei TikTok

All diese Clips stammen ursprünglich aus einer Reihe von Telegram-Kanälen, die anschließend Accounts auf X, Bluesky und manchmal TikTok füttern, die dann mit dem vertrauten Prinzip russischer Propagandanetze arbeiten: Manche Accounts posten nur Inhalte, andere zitieren dann diese Posts in Antworten auf andere Posts unabhängiger Accounts, von denen man sich in Russland offenbar Reichweite erhofft.

Die Videos sind Teil der sogenannten Matrjoschka-Kampagne, die etwa die staatliche französische Beobachtungsstelle für digitale Einflussnahme aus dem Ausland (Viginum) als »ausländische digitale Einflussnahme« klassifiziert . Die Kampagne soll demnach »Medien, in der Öffentlichkeit stehende Personen und Faktencheck-Organisationen diskreditieren und prorussische Inhalte verbreiten«. Es ist eine von mehreren derartigen Kampagnen , zu denen auch die 2024 in Deutschland bekannt gewordene »Doppelgänger«-Kampagne gezählt wird, oder auch die »Storm 1516«-Kampagne, mit der etwa die Bundestagswahl beeinflusst werden sollte. Unabhängige Forschende , investigativ arbeitende Journalistenteams, Unternehmen wie Microsoft  und Newsguard  sowie staatliche Stellen in diversen Ländern sind sich einig, dass wir es hier mit russischer Propaganda zu tun haben. Die Kampagnen sind Teil von Moskaus hybridem Schattenkrieg gegen den Westen und werden oft mit dem russischen Militärgeheimdienst GRU in Verbindung gebracht.

Auf TikTok erreichte einer der Clips über die vermeintliche »emotionale Erschöpfung« des ukrainischen Militärs nach dem sensationellen Drohnenerfolg 450.000 Views – dann wurde der Account gelöscht. Ich habe meinen auf TikTok spezialisierten Forschungskollegen Marcus Bösch gefragt, ob das organische Reichweite sein könnte – er sagt, man sollte den Metriken von TikTok tendenziell nicht blind trauen , und natürlich ließe sich Reichweite auch manipulieren. Das genannte Video mit 450.000 Aufrufen beispielsweise stand in einem Account mit einem offenkundig KI-gefälschten Profilbild, unter 200 Followern, aber Tausenden von Likes, Kommentare gab es keine. All das spricht sehr gegen echte Reichweite. Russland arbeitet offenkundig daran, TikTok nach Kräften zu manipulieren. Wie erfolgreich das ist, steht auf einem anderen Blatt.

Die Propaganda zeigt, was Putin will

Das »dTeam « aus den USA, das unermüdlich die Aktivitäten solcher Netzwerke verfolgt, meldet die entdeckten Accounts stets sofort den jeweiligen Plattformen, und da zeigen sich gewaltige Unterschiede in den Reaktionen. Bluesky und auch TikTok löschen relativ schnell. Bei Elon Musks X dagegen bleiben die Fakeaccounts mit den Fakevideos inklusive Sender- oder Organisationslogos oft tage- oder gar wochenlang stehen.

Ob diese Kampagnen tatsächlich Wirkung entfalten oder nicht, ist oft schwer zu beurteilen. Gelegentlich gelingt Russlands Propagandisten ein Glückstreffer wie der, als Elon Musk und Donald Trump Junior eines der Fakevideos an ihre Abermillionen X-Follower weiterreichten.

Propaganda-Watching in Echtzeit

In jedem Fall aber zeigen die Kampagnen, wo Russlands Interessen liegen: Nachdem es in Rumänien nicht gelungen ist, einen prorussischen Kandidaten zu installieren, richtet sich der Ehrgeiz der russischen Propaganda jetzt darauf, das kleine Nachbarland Moldau zu diskreditieren. Schon bei der Wahl, die Maia Sandu am Ende erneut das Präsidentenamt einbrachte, versuchte Moskau offenbar, mit mindestens 130.000 gekauften Stimmen  in dem Land mit nur 2,4 Millionen Einwohnern (ohne Transnistrien), die Wahl zu drehen  – ohne Erfolg. Russland bestritt natürlich  jede Einflussnahme, aber an der Aufdeckung waren nicht nur Investigativjournalisten, sondern auch die Moldauer Polizei beteiligt.

Diesen Herbst finden in Moldau Parlamentswahlen statt. Die EU-Kommission äußerte schon nach dem knapp für den Beitritt ausgegangenen Referendum im vergangenen Oktober und Sandus Wiederwahl die Befürchtung , dass es dabei schmutzig zugehen könnte. Schon damals warnten Fachleute vor russischen Desinformationskampagnen. Jetzt kann man live dabei zusehen, wie und mit welchen Narrativen Moskau versucht, Einfluss zu nehmen.

Screenshot von russischem Propagandamaterial: Angebliche Zeichen »emotionaler Erschöpfung« der Ukraine

Foto: [M] DER SPIEGEL; Foto: X

Falschbehauptung über Moldaus Regierung: Mit gefälschtem Fox-News-Logo

Foto: [M] DER SPIEGEL, Foto: X

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