Schwarz-Rot regiert für eine Parallelrealität

Zunächst ein paar Fakten und Zitate aus der zurückliegenden Woche:

  • »Das hatten wir noch nie«, sagte Frankreichs Umweltministerin Agnès Pannier-Runacher. Sie meinte damit die extreme Hitzewelle, die dort tagelang brutale Rekordtemperaturen mit sich brachte. In 84 der 95 Departements innerhalb Frankreichs wurden Hitzewarnungen ausgegeben, weit über tausend Schulen schlossen , Menschen starben , nicht nur in Frankreich. Wie bei jeder Hitzewelle wird man vermutlich erst deutlich später erfahren, wie viele Todesopfer sie gefordert hat.

  • Der neue FDP-Vorsitzende Christian Dürr sorgte für jede Menge Abscheu , Hohn und Spott als er bei X erklärte: »Wir haben gerade, wie man früher sagte, sehr schönes Wetter.«

  • Atomreaktoren in Frankreich und der Schweiz wurden abgeschaltet, weil das Kühlwasser aus den nahe gelegenen Flüssen zu warm zu werden drohte.

  • Das Mittelmeer ist im Moment bereits mehrere Grad zu warm für diese Jahreszeit . Das lässt für den Rest des Sommers nichts Gutes ahnen, denn es gibt einen Zusammenhang zwischen Wasser- und Lufttemperatur und Extremwetter. In Italien gab es ebenfalls landauf, landab Hitzewarnungen.

Und in Deutschland?

Hier eine Talkshow-Vorlage von Sandra Maischberger von dieser Woche: »Dass die aktuelle Hitze ein Zeichen für Klimawandel ist …«

Und hier die Ergänzung von Friedrich Merz: »… ist zum Teil richtig, aber sicherlich nicht ausschließlich.«

Bemerkenswert daran ist zunächst einmal die bizarre Formulierung »zum Teil richtig«. Was genau meint der Bundeskanzler damit? Dass nur die obersten fünf Grad Celsius von der Klimakrise verursacht werden? Zudem ist völlig eindeutig, was Klimaforscher und Meteorologen zu diesem Thema sagen, und das weiß Merz selbstverständlich.

Die Faktenlage ist absolut eindeutig

Zum Beispiel Özden Terli, Meteorologe beim ZDF: »Die vom Menschen gemachte globale Erhitzung wirkt auf Hitzewellen, und zwar kommen sie früher und häufiger, betreffen größere Regionen, dauern länger an und werden heißer. Und das betrifft natürlich auch die aktuelle Hitzewelle.«

Oder Carsten Schwanke von der ARD : »Diese Hitzewelle … ist in mehrfacher Hinsicht ein sehr deutliches Zeichen des Klimawandels.« Denn: Es gab noch nie so früh im Sommer so hohe Temperaturen. Und die Hitzewellen in Deutschland werden immer heißer.

Zwei Zitate aus dem eben erschienenen Klimafolgenbericht der European Environment Agency  (EEA): »In Europa sind Hitzewellen seit dem Jahr 2000 häufiger, heißer und länger geworden, ein Trend, der in engem Zusammenhang mit dem Klimawandel steht.« Dazu kommt: »Temperaturen quer durch Europa werden schneller steigen als im globalen Durchschnitt.« Und: »In Europa starben aufgrund des Hitzesommers 2022 schätzungsweise 70.000 Menschen.« 2023 und 2024 kamen in Deutschland dem Robert Koch-Institut zufolge insgesamt knapp 6000 Menschen durch Hitze ums Leben . Das sind aufs Jahr gerechnet in etwa so viele, wie im Straßenverkehr starben . Aber »Sicherheit« interessiert die Union oft nur sehr selektiv.

»Schönes Wetter«

Bedroht sind durch Hitze bekanntlich vor allem ältere Personen – also die wichtigste Wählergruppe der Unionsparteien.

Unterdessen hat eine internationale Studie eines riesigen Forschungsverbundes  etwas sehr Beklemmendes gezeigt: Die Erwärmung beschleunigt sich. Sie verläuft nicht linear, die Kurve ist nach oben gekrümmt . Es passiert alles noch schneller als erwartet. Das heißt auch: Die Gletscher schmelzen schneller, der Meeres steigt schneller, Extremwetterkatastrophen werden beschleunigt, häufiger und heftiger, das Wasser wird schneller knapp. Es ist schon jetzt viel zu viel überschüssige Energie in der Atmosphäre, und es wird ständig schlimmer .

Das führt zwangsläufig zu mehr Katastrophen. Unser heißer Sommer 2025 wird im Rückblick einer der kühlsten des Jahrhunderts sein. All das hat mit »Panikmache« nichts zu tun. Es sind Fakten.

Den Fachleuten gehen die Superlative aus

Es gibt aber auch erfreulichere Nachrichten: Kalifornien, einzeln betrachtet die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, hat in den vergangenen zwölf Monaten dem Thinktank Ember zufolge mehr Strom aus Sonne erzeugt als mit jeder anderen Energiequelle. Die Sonne löst dort das Gas an der Spitze ab.

Das Solarwachstum ist in weiten Teilen der Welt gigantisch , den Fachleuten gehen langsam die Superlative aus. China hat allein im Mai fast so viel Photovoltaikkapazität zugebaut, wie in Deutschland bis Anfang 2025 insgesamt installiert war. Für das Wachstum von Batteriespeichern, deren Preise weiterhin extrem schnell fallen, gilt Ähnliches. Es gibt zahlreiche Großstädte weltweit , in denen dank Photovoltaikanlagen und Batterien jetzt schon fast ganzjährig rund um die Uhr Sonnenenergie zur Verfügung stünde. Wenn man denn wollte.

»Kostengünstigste Form neuer Stromerzeugung«

Dem jährlich erscheinenden Bericht über die sogenannten Gestehungskosten für Strom , den die Investmentbank Lazard herausgibt, ist zu entnehmen: »Erneuerbare Energien bleiben die kostengünstigste Form neuer Stromerzeugungsanlagen ohne Subventionen.« Dabei weist die Bank (für den US-Markt) auch die mittlerweile bemerkenswert niedrigen Kosten für Kombinationen aus Solar- oder Windkraftwerken mit angeschlossenem Speicher aus.

Beide sind beispielsweise substanziell billiger als Gas-Peaker-Kraftwerke – also solche, die nur eingesetzt werden, um Lücken zu schließen. Die also, von deren Sorte Wirtschaftsministerin Katherina Reiche unbedingt weitere 20 Gigawatt zubauen will, obwohl die EU-Kommission etwas dagegen hat.

In Deutschland wiederum werden diese beiden globalen Megatrends – eskalierende Klimakrise und rasante Transformation des Energiesystems – im Regierungshandeln derzeit aktiv ausgeblendet. Friedrich Merz scheint das mit der Erhitzung und der Hitze nicht so recht wahrhaben zu wollen. Und Wirtschaftsministerin Reiche findet die Ausbauziele für erneuerbare Energie »überzogen« , die Klimaziele »sehr starr« . Sie wisse nicht, »ob das mal jemand durchgerechnet hat«. Die Klimakrise jedenfalls hat jemand durchgerechnet. Sie nimmt auf politische Trägheit keine Rücksicht.

Ein Impuls der Wirtschaftsministerin, von den weiter fallenden Preisen für Erneuerbare und Speicher zu profitieren und für die gigantische Menge an geplanten Großspeicherprojekten regulatorisch Rahmen und Vorfahrt zu schaffen, ist nicht zu erkennen. Dabei könnte das den Strompreis schneller senken helfen. Die Welt wird schneller. Die Bundesregierung will bremsen. Das geht nicht gut.

Hilfe für das Alte, Zerstörerische, beim Neuen wird gebremst

Der Netzausbau jedenfalls geht viel zu langsam voran, und zwar schon seit 2009, sagt der Bundesrechnungshof . In dessen Bericht zum Thema aus dem Jahr 2023 ist zu lesen: »Der zwingend notwendige Netzausbau hinkt dem Zeitplan um sieben Jahre und 6000 Kilometer hinterher.« Konkret heißt das: Es wurden etwa 20 Prozent dessen gebaut, was geplant war.

In den zwölf Jahren ab 2009 wurden, sämtlich unter unionsgeführten Regierungen, die selbst gesetzten Ausbauziele auf geradezu groteske Weise verfehlt. Dass es jetzt teuer wird, diese Versäumnisse aus der Ära Merkel nachzuholen, liegt auf der Hand – aber das hat nichts mit »überzogenem« Ausbau der günstigsten Form der Stromerzeugung zu tun. Wir müssen jetzt aufholen. Nicht weiter bremsen.

Reiche aber macht lieber das Gas billiger, und die Bundesregierung lässt die Stromsteuer für Privathaushalte und Handwerker parallel erst mal hoch . Das Alte, Überkommene und Zerstörerische wird mit Anreizen ausgestattet, Zukunftsenergie bleibt teuer.

Die Welt verändert sich gerade in wachsendem Tempo, und zwar in beängstigender und rettender Weise gleichzeitig. Eine Bundesregierung, die beides aktiv ignoriert und auf die Technik von vorgestern setzt, tut auch der deutschen Wirtschaft keinen Gefallen. Sie legt die Weichen für den Zug Deutschland um in Richtung Abstellgleis.

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