In der Debatte über ein Klimaziel der EU für 2040 verschaffen sich mehr als 2000 europäische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Gehör, darunter auch mehrere Hundert aus Deutschland. »Die politische Diskussion bewegt sich von den wissenschaftlichen Erkenntnissen weg«, heißt es in einem offenen Brief an die europäischen Staats- und Regierungschefs.
Bislang gibt es EU-Klimaschutzziele für 2030 und 2050. Laut EU-Klimagesetz muss auch ein Ziel für 2040 festgelegt werden. Die EU-Kommission hatte dazu Anfang Juli vorgeschlagen, die Emissionen in den nächsten 15 Jahren um 90 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Ein Teil soll durch international anerkannte Klimazertifikate kompensiert werden dürfen. (Eine Analyse des Vorschlags lesen Sie hier .)
Die EU-Staaten und das Europaparlament müssen dem Vorschlag noch zustimmen. Doch in mehreren Staaten regt sich deutlicher Widerstand. Ländern wie Tschechien, Polen, Italien und Ungarn gehen die angepeilten Ziele zu weit. Bei einem Treffen in Brüssel wollen die EU-Staats- und Regierungschefs an diesem Donnerstag darüber diskutieren.
»Vor dem EU-Gipfel rufen wir die Entscheider dazu auf, an der Wissenschaft und am Pariser Klimaabkommen festzuhalten«, schreiben die Forscher der verschiedensten Universitäten und Institutionen. Das Klimaziel der EU sei ohnehin überfällig. Bei der anstehenden Weltklimakonferenz im November in Brasilien müsse die EU einen verlässlichen Plan mitbringen und als starker und konstruktiver Player im Klimaschutz auftreten.
Das vorgeschlagene 90-Prozent-Ziel sei »nicht nur eine politische Entscheidung, sondern eine existenzielle Notwendigkeit, um Europas Zukunft zu sichern und das Leben der Menschen zu schützen angesichts des zunehmend hohen Risikos, kritische Kipppunkte zu überschreiten«. Zudem biete ein solches Ziel bei richtiger Umsetzung auch wirtschaftliche Chancen – etwa deutlich günstigere Stromrechnungen, neue Jobs und Einsparungen für fossile Importe im Milliardenbereich.
Bei schwächerem Klimaziel droht laut Juristen erhebliches Klagerisiko
Die Rechtsanwältin Roda Verheyen und ihr Kollege Johannes Franke haben im Auftrag der europäischen Grünen ein Rechtsgutachten erstellt. Demzufolge drohen »erhebliche rechtliche Risiken und Unsicherheiten«, wenn sich die EU auf ein schwächeres Reduktionsziel als 90 Prozent einigen würde. Das setze die Mitgliedstaaten potenziellen Haftungsrisiken gegenüber Drittstaaten aus.
Die Juristen mahnen, schon der Vorschlag der Kommission für ein 2040-Ziel zur Senkung der Emissionen sei »hoch problematisch«. Eine Reduzierung um 90 Prozent liege am unteren Ende der Empfehlungen der wissenschaftlichen Experten und stelle nicht den bestmöglichen Reduktionspfad dar. Dass drei Prozent der Reduktionen durch internationale Kompensationen erreicht werden dürften, sei rechtlich eindeutig unzureichend.
Wenn ein 2040-Ziel festgelegt würde, das nicht im Einklang mit internationalem Recht und Menschenrechten stehe, könnten darauf basierende europäische und nationale Gesetze und Verwaltungsentscheidungen möglicherweise von Gerichten aufgehoben werden, heißt es in dem Gutachten.
Bundesumweltminister Carsten Schneider erwartet, dass sich Bundeskanzler Friedrich Merz bei dem EU-Gipfeltreffen dafür einsetzt, die Emissionen bis 2040 um mindestens 90 Prozent zu senken. »Deutschland hat sich festgelegt, nicht nur im Koalitionsvertrag, sondern auch durch unsere nationalen Gesetze«, sagte der SPD-Politiker bei einem Treffen mit seinen EU-Kollegen in Luxemburg. Man unterstütze den Kommissionsvorschlag und halte ihn für gut vereinbar »mit unseren Ambitionen, aber eben auch in der Verbindung zwischen Ökonomie und Ökologie«.
Bei der Sitzung am Dienstag wollen die EU-Umweltminister auch eine Verhandlungsstrategie für die Weltklimakonferenz im November vereinbaren. Diese finde unter »äußerst schwierigen geopolitischen Umständen« statt, sagte der EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra am Dienstag: Die USA sind unter Präsident Donald Trump erneut aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ausgestiegen, und China hat Ziele vorgelegt, die laut Hoekstra »weit hinter dem zurückbleiben, was die Wissenschaft für nötig hält«.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes hieß es, aus Deutschland hätten knapp 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den offenen Brief unterzeichnet. Tatsächlich sind es mehrere Hundert. Wir haben die Stelle korrigiert.
EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra (Juli 2025): Weltklimakonferenz wird unter »äußerst schwierigen geopolitischen Umständen« stattfinden
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