Endlich Sommerferien! Zum Start in diese wunderbar freie Zeit hat mein Sohn bei einem Klassenkameraden übernachtet, zusammen mit noch zwei anderen Freunden. Vier Jungs auf einem Haufen. Die Mutter des Gastgebers erzählte, gegen halb zwei in der Nacht habe sie die Truppe getrennt, weil die Jungs nur Quatsch gemacht haben, anstatt zu schlafen. Am Ende lag einer im Flur, einer unterm Dach und einer im Zimmer der kleinen Schwester des Gastgebers.
Die vier gehen in dieselbe Klasse, sehen sich also täglich und hängen auch außerhalb der Schule ständig zusammen. Mit dem einen spielt mein Sohn Fußball, den anderen trifft er beim Musikunterricht. Sie verabreden sich in unterschiedlichen Konstellationen, spielen Videospiele oder tauschen Fußballsammelkarten. Zu der Truppe gehören noch andere Jungs. Und wenn mein Sohn gerade bei keinem von ihnen ist oder Besuch von einem von ihnen hat, spielt er mit den Nachbarn. Insgesamt kann man sagen, dass er ein sehr reges Sozialleben hat.
Bei mir war es früher ähnlich. Ich hatte unterschiedliche beste Freunde, die mich durch meine Kindergarten- und Grundschulzeit begleiteten. Einer von ihnen war Stefan. Wir waren über Jahre unzertrennlich. Er kam zu mir, ich ging zu ihm, wir übernachteten beieinander. Ich weiß noch genau, wie es bei Stefan zu Hause aussah und wie es roch. Ich habe mich dort immer wohlgefühlt.
Und trotzdem habe ich Stefan seit mehr als 30 Jahren nicht gesehen oder gesprochen. Warum eigentlich nicht? Und wird es meinem Sohn mit seinen Freunden später genauso gehen? Sicher, Lebenswege trennen sich. Man geht auf unterschiedliche Schulen oder studiert in verschiedenen Städten, lernt neue Leute kennen, beschäftigt sich mit Dingen, für die sich die anderen vielleicht nicht interessieren.
Aber trotzdem gibt es doch Dinge, die uns für immer mit unseren Kindheitsfreunden verbinden. Erinnerungen aus einer prägenden Zeit, die bleiben. Ein guter Freund von mir, den ich im Studium kennengelernt habe, hat es geschafft, mit seinen Kindergartenfreunden in Kontakt zu bleiben. Obwohl sie inzwischen quer durch Deutschland verteilt wohnen, schaffen sie es, sich regelmäßig zu sehen und noch regelmäßiger miteinander zu telefonieren. Ich beneide sie dafür – und freue mich immer, wenn ich sie alle zusammen sehe.
Warum habe ich das mit Stefan nicht geschafft? Wenn ich mit Freunden darüber spreche, sage ich, dass ich einfach ein schlechter »Keep-in-toucher« bin. Freundschaften hat man nicht einfach so. Sie wollen gepflegt werden. Das kann ich wirklich nicht gut. Ich muss mich mal wieder bei ihm melden. Ich weiß sogar, wo er wohnt. Anders als ich ist er in das Dorf zurückgekehrt, in dem wir aufgewachsen sind. Er hat sich ein Haus direkt neben dem Haus seiner Eltern gebaut. Wenn ich zu meinen Eltern fahre, komme ich dort vorbei. Ich habe schon oft gedacht, dass ich einfach mal anhalten und klingeln müsste. Bei meinem nächsten Besuch mache ich das und schaue einfach mal, wie er reagiert. Der Stefan von früher würde sich darüber freuen.
Meinem Sohn wünsche ich, dass er es schafft, den Kontakt zu seinen Freunden zu halten. Oder dass er in etwas mehr als 30 Jahren auf die Idee kommt, sich bei ihnen zu melden.
Wie ist das bei Ihnen? Kennen Sie die Freunde noch, mit denen Sie groß geworden sind? Wann haben sich Ihre Wege verloren? Und wie ist das bei Ihren Kindern? Haben Sie schon miterlebt, wie Ihre Kinder Freunde aus den Augen verloren haben? Schreiben Sie mir gern an familiennewsletter@.de .
Meine Lesetipps
Das Schöne am SPIEGEL-Universum ist, dass man irgendwo Antworten auf die allermeisten Fragen findet, die man sich so stellt. Meine Kollegin Julia Stanek hat vor Kurzem zum Beispiel recherchiert und aufgeschrieben, wie Freundschaften ein Leben lang halten. Ihren ebenso klugen wie schönen Text finden Sie hier . Er ist in der aktuellen Ausgabe von SPIEGEL Wissen erschienen. Das Thema: »Tust du mir gut? Wie wir die richtigen Beziehungen pflegen und stärken«. Über diesen Link kommen Sie zum digitalen Magazin. Aber Sie finden das Heft natürlich auch im Zeitschriftenhandel.
Konkrete Tipps dafür, wie Sie Freundschaften auf Distanz erhalten können, liefert auch dieser Artikel meiner Kollegin Petra Maier . Sie hat mit Soziologinnen und Psychologinnen über das Thema geschrieben und sechs Ratschläge zusammengestellt.
Auch meine Kollegin Sophia Grabendorfer hat sich dem Thema gewidmet – aus persönlicher Perspektive. Sie fragt sich, wie sie es schafft, mit ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen in Kontakt zu bleiben, nachdem die Studienzeit vorbei ist, die sie zusammengeschweißt hat. Hier finden Sie Sophias Text .
Das jüngste Gericht
Die Familie meines Kindheitsfreunds Philipp betrieb das einzige Restaurant und Hotel bei uns im Dorf. Ich erinnere mich sehr gern an die Wochenenden, an denen ich bei ihm übernachten durfte. Seine Eltern erlaubten uns, in der Restaurantküche zu bestellen, und brachten das Essen dann in sein Zimmer. Am liebsten mochte ich das Kalbsschnitzel. Einfach lecker.
Wenn Sie jetzt Hunger bekommen haben, dann probieren Sie doch mal dieses Rezept unserer Kochkolumnistin Verena Lugert.
Philipp hat Hotel und Restaurant inzwischen zusammen mit seinem Bruder übernommen. Auch ihn sollte ich mal wieder besuchen. Zumindest an Weihnachten sehe ich ihn noch. Dann holen wir jedes Jahr eine fertige Gans samt Beilagen dort ab.
Mein Moment
In meinem letzten Newsletter schrieb ich über die Wackelzahnpubertät meines Sohns. Eine Leserin antwortete mir darauf:
»Bei unserer inzwischen zehnjährigen Tochter kam das mit fünf, und bei uns hieß es Tromptromptrompfump – weil sie bei der kleinsten Kleinigkeit aufsprang, in ihr Zimmer trampelte und die Tür knallte. Wir fanden das ehrlich gesagt immer ganz praktisch, denn sie kam erst wieder, wenn sie sich wieder beruhigt hatte!«
Wir alle, die beim SPIEGEL regelmäßig über Familienthemen schreiben, freuen uns immer sehr, von Ihnen zu hören und zu lesen. Deswegen haben wir beschlossen, den SPIEGEL Elternabend ab sofort auch als Liveveranstaltung anzubieten, exklusiv für Abonnentinnen und Abonnenten.
Am Donnerstag, dem 18. September, laden wir Sie herzlich zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch ins SPIEGEL-Haus nach Hamburg ein. Beginn ist um 18 Uhr. Das Thema des ersten SPIEGEL-Elternabends lautet: »Ich krieg die Krise – Umgang mit kleinen und großen Katastrophen in der Familie.«
Hier können Sie sich anmelden und für die Veranstaltung registrieren.
Das Kontingent ist limitiert, Anmeldungen werden in der Reihenfolge berücksichtigt, in der sie bei uns eingehen. Aber keine Sorge: Diese erste Veranstaltung soll nur der Auftakt zu einer Reihe von Elternabenden sein. Wenn Sie am 18. September nicht dabei sein können, bietet sich bestimmt schon bald eine neue Chance.
Herzlich
Ihr Malte Müller-Michaelis
Freunde: Nein, das sind weder Stefan und ich noch mein Sohn mit einem seiner Kumpels – aber das Gefühl kenne ich
Foto: Jose Luis Pelaez / Getty Images