Der Dichter Eugen Gomringer ist am Donnerstag in Bamberg gestorben. Das teilte sein Sohn Stefan Gomringer am Freitag mit.
Eugen Gomringer gilt als Mitbegründer der konkreten Poesie. Er kam 1925 in Bolivien zur Welt, wuchs in der Schweiz auf, verbrachte allerdings den Großteil seines Lebens in Deutschland. Der erste Gedichtband des Lyrikers erschien 1953 sogar dreisprachig: »konstellationen constellations constelaciones«.
»Nutzung der Sprache als unprätentiöses, klares Kommunikationsmittel«
Die konkrete Poesie ist eine avantgardistische Form der Lyrik, bei der die Sprache selbst zum Gegenstand des Gedichts wird. Sie löst Wörter, Buchstaben und Zeichen aus ihrem herkömmlichen Sinn und ihrer grammatischen Funktion und gestaltet sie visuell und akustisch, so wie in diesem Auszug aus Gomringers »es – immer wieder gelingt es«:
herbst
immer wieder reift es
immer wieder hüllt es
immer wieder reicht es
Gomringer zählte zu den bedeutendsten zeitgenössischen Lyrikern. Als »Spracharbeiter« bezeichnete ihn der Schriftsteller Max Frisch einst. Er stehe wie nur wenige für das Sprachexperiment, schrieb seine Tochter Nora-Eugenie Gomringer, selbst Lyrikerin. Die »Nutzung der Sprache als unprätentiöses, klares Kommunikationsmittel, der Werbesprache nah, doch der Vision dichterischen Weltverständnisses noch näher«.
Vor fünf Jahren, kurz vor seinem 95. Geburtstag, sagte Gomringer: »Ich habe mir gedacht: Man müsste doch auch mit Worten so einfache Werke schaffen können.« Konkrete Kunst sei für ihn das ästhetische Kapitel einer neuen literarischen Weltbewegung gewesen. Gomringer arbeitete auch als Kulturbeauftragter des Porzellanherstellers Rosenthal, von 1977 bis 1990 lehrte er als Professor für Theorie der Ästhetik in Düsseldorf.
Lange Zeit kleidete Gomringers bekanntestes Gedicht »avenidas« (von 1953) die Fassade der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin. Dann löste es eine Sexismus-Debatte aus und wurde 2018 übermalt. Die letzte Zeile lautete übersetzt: »Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer«. Frauen würden darin, so die Kritikerinnen, zum Objekt männlicher Bewunderung degradiert, gleichgesetzt der Alleen und Blumen.
Der damals 93 Jahre alte Poet hatte die Übermalung seiner Arbeit scharf kritisiert: »Das ist ein Eingriff in die Freiheit von Kunst und Poesie.« Es gehe den Verantwortlichen um die Entfernung eines »nicht weichgespülten Gedichts« im Sinne einer falsch verstandenen Political Correctness. Die damalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) pflichtete ihm bei und bezeichnete den Vorgang als »Akt der Kulturbarbarei«.
»welt im sonett« hieß Gomringers 2020 erschienene Autobiografie in metrischer Versform. Er könne sich nicht vorstellen, je mit dem Schreiben aufzuhören, sagte der Lyriker damals. Nun ist er im Alter von 100 Jahren gestorben.