Bitte nur noch fünf(zig) Minuten

Ein Kollege erzählte kürzlich, wie seine Teenager-Tochter versucht, nach Ende der Sommerferien morgens wieder aus dem Bett und mehr oder weniger pünktlich zur Schule zu kommen. Ahnend, dass ein Wecker dafür nicht reicht, stellt sie sich mehrere – zu unterschiedlichen Zeiten, um »in den Tag zu snoozen«, wie der Kollege es formulierte. Um 5:30 Uhr klingelt der erste. Das Problem: So konsequent wie sie die Wecker stellt, überhört die Tochter sie auch. Und so wanken der Kollege und seine Frau im Wechsel schlaftrunken durchs Haus, um das Gebimmel auszustellen und am Teenager zu rütteln. Es klingt nach einem anstrengenden Morgenritual, an dessen Ende alle ebenso müde wie schlecht gelaunt sind.

Ganz so schlimm ist die Lage bei uns zu Hause nicht. Unser Sohn ist acht, bis die Pubertät seinen Biorhythmus ruiniert, bleiben uns mit Glück noch ein paar Jahre. Aber auch ich verstehe inzwischen, was Menschen meinen, wenn sie sagen, dass der Schulbeginn nach den Ferien Segen und Fluch ist. Einerseits ist es schön, dass mein Sohn jetzt wieder täglich seine Freundinnen und Freunde trifft und spannende neue Dinge lernt. Andererseits wäre es auch schön, wenn er das nicht schon ab acht Uhr machen müsste.

Denn das bedeutet für uns: Aufstehen um 6.30 Uhr. Oder genauer: »Aufstehen« um 6.30 Uhr. Auf den Wecker folgt bei uns erst mal ein ins Kissen genuscheltes: »Bitte noch fünf Minuten ... oder fünfzig«. Aber irgendwann quäle ich mich dann doch aus dem Bett und wecke unseren Sohn. Oder versuche es zumindest. Er scheint dummerweise meine Eulengene geerbt zu haben. Meine Frau ist Chronotyp Lerche. Als ich ihr mein Leid klagte, wie schwierig es ist, nicht mehr bis 8 Uhr zu schlafen, und wie müde mich die verlorenen anderthalb Stunden am Morgen für den Rest des Tages machen, flötete sie: »Also ich bin seit 4.30 Uhr wach.«

Im Moment leide ich am meisten unter dem frühen Schulbeginn. Mein Sohn kommt zwar schwer aus dem Bett, aber wenn er mal in Fahrt ist, kann er die Müdigkeit schnell abschütteln. Ich habe es ihm noch nicht gesagt, aber: Das wird vermutlich nicht so bleiben. Wenn wir aus Elternperspektive auf das Thema Schlaf blicken, dann geht es meist um Babys, die uns die Nachtruhe rauben, oder um Kleinkinder, die nicht einschlafen wollen. Das Ausschlafbedürfnis älterer Kinder ist deutlich seltener Thema – und wenn, dann häufig im Zusammenhang mit Wochenenden, an denen Teenager überhaupt nicht oder nur durch den übertriebenen Einsatz von Staubsaugern aus dem Bett kommen.

Dabei ist wissenschaftlich nachgewiesen und unter anderem hier von meinen Kolleginnen Irene Berres und Jule Lutteroth ausführlich beschrieben , dass sich mit der Pubertät die innere Uhr verschiebt. Und nein, das liegt nicht (nur) daran, dass Teenager nicht rechtzeitig ins Bett gehen. »Früher herrschte die Annahme vor, dass Jugendliche morgens in der Schule so unaufmerksam sind, weil sie undiszipliniert sind oder zu lange ausgehen. Heute weiß man, sie werden abends um zehn Uhr einfach nicht müde«, sagt Somnologe Martin Glos.

Deswegen sollte die Schule später anfangen, wie auch Schlafmedizinerin Barbara Schneider betont: »Die Diskussion haben wir oft geführt. Der Punkt wird verstanden, aber nicht umgesetzt.« Der Grund: »Die Lehrerverbände sind nicht einverstanden. Auch, weil sie dann später anfangen und länger arbeiten müssten«, so Schneider. Lehrerinnen und Lehrer sind also schuld daran, dass mein Sohn und ich nicht ausschlafen dürfen. Kann man gegen deren Terrorherrschaft nicht irgendwas machen? Ich überlege, ob ich Demos organisieren, vor dem Bundesverfassungsgericht klagen oder gleich eine Revolution anzetteln soll. Meine Frau rollt derweil nur mit den Augen. Ich weiß nicht, ob ich es mal erwähnt habe, aber dreimal dürfen Sie raten, was sie beruflich macht. Sie ist – natürlich – Lehrerin.

Wie läuft das morgens bei Ihnen zu Hause? Finden Sie auch, dass die Schule später beginnen sollte, oder sind Sie Frühaufsteher? Und haben Sie vielleicht Tipps, wie man besser aus dem Bett kommt? Schreiben Sie mir gern an familiennewsletter@.de .

Meine Lesetipps

Alles, was Sie sonst noch über das Thema Schlafen wissen müssen, erfahren Sie in diesem hervorragenden Text , für den ein Team um meine Kollegin Jule Lutteroth im vergangenen Jahr vollkommen zu Recht mit dem »Deutschen Medienpreis Neurologie« ausgezeichnet wurde. Und welchen Einfluss Ernährung auf erholsamen Schlaf hat, können Sie in diesem Interview meiner Kollegin Nina Weber  nachlesen.

Aber wenn ich an die Sommerferien zurückdenke, dann natürlich nicht nur an das herrliche Ausschlafen. Unseren Urlaub haben wir im wunderschönen Schwarzwald verbracht. Ein paar Tipps, was man rund um Freiburg erleben kann, finden Sie hier . Meine Kollegin Heike Le Ker war ganz in der Nähe, in Basel nämlich. Dabei hat sie den Sommer über Jahrzehnte immer auf Mallorca verbracht. In diesem auch durch seine Melancholie sehr eindrücklichen Text  erklärt sie, warum sie das nun nicht mehr tut.

Warum und wie sich unser Urlaub verändert, können Sie auch in diesem tollen Text meiner Kollegin Franziska Bulban  nachlesen. Sie ist nach Schweden gefahren und hat dort Stefan Gössling getroffen, der sagt, »dass das Ende des Reisezeitalters angefangen hat«.

Meine Buchempfehlung

Mein Sohn und ich arbeiten uns gerade durch die Abenteuer von Rocco Randale. In der Reihe von Alan MacDonald sind etliche Bücher erschienen, mit verheißungsvollen Titeln wie »Oberstress mit Unterhose«, »Popel, Pech und Pannen« oder »Hungerstreik mit Gummibärchen«. Wir haben uns den Sammelband »Chaos ohne Ende« gegönnt. Auf den liebevollen Zeichnungen von David Roberts hat Rocco immer ein bisschen Dreck im Gesicht, was ihn mir schon deshalb sympathisch macht, weil es mich an meinen Sohn erinnert. Die Geschichten treffen sein Humorzentrum und sind in Häppchen von so angenehmer Länge unterteilt, dass wir sie im Wechsel lesen können. Die Grundidee eines Jungen, der im fröhlichen Wechsel seine Familie, seine Schule und die Nachbarschaft terrorisiert oder an ihr verzweifelt, ist alles andere als innovativ und die Erzählweise nicht ganz so gelungen wie etwa »Gregs Tagebuch«. Dafür haben die Nebencharaktere hübsch sprechende Namen (die Schulköchin heißt zum Beispiel Frau Vollkornsock) und sind wunderbar gehässig gezeichnet. So wird die Rocco-Reihe zu einem kurzweiligen Vergnügen für Eltern und Kinder.

Das jüngste Gericht

»Eine gesunde Ernährung unterstützt auch einen gesunden Schlaf«, sagt Anna Lena van der Felden im oben erwähnten Interview. Die gute Nachricht: Im »Nervennahrung«-Archiv unserer Kochkolumnistin Verena Lugert finden sich eigentlich nur Rezepte für gesunde Gerichte. Heute empfehle ich Ihnen einen köstlichen Gurken-Lachs-Topf . Verena beschreibt ihn als frühlingshaften Hochgenuss. Klingt für mich nach dem perfekten Stimmungsaufheller jetzt, wo der Herbst droht. Guten Appetit!

Mein Moment

In meinem letzten Newsletter schrieb ich über meinen alten Freund Stefan, den ich seit Kindertagen nicht gesehen habe, obwohl wir damals nahezu unzertrennlich waren. Ich bekam eine ganze Reihe von Zuschriften von Menschen, denen es ähnlich geht wie mir. Ein Leser schrieb:

»Gewiss war ich mit meinem Schulfreund und Mitabiturienten Erik nicht so dicke wie Sie mit Stefan, doch befreundet waren wir, eine Zeit lang zumindest übers Abi hinaus, bis der schlechte Keep-In-Toucher in mir ihn aus den Augen verloren hat. Erik ist neulich mit knapp 54 gestorben, plötzlich und unerwartet – das Herz.

Und dann ihr Artikel. Für Erik habe ich intuitiv einfach für den Abiturjahrgang das Trauergesteck fürs Grab organisiert. Die Anteilnahme und Beteiligung daran waren überwältigend, dank eines gut funktionierenden E-Mail-Verteilers und einer WhatsApp-Gruppe. Nun wurde aus der Organisation eines Trauergestecks für Erik eine kleine Spendenaktion, durch die rund 1250 Euro zusammengekommen sind und im Gedenken an Erik gespendet werden. Treffen konnte ich ihn leider nicht mehr, nur Abschied nehmen. Und jetzt in seinem vermuteten Sinne eines leidenschaftlichen Musikers die kleine Summe spenden.

Deshalb unbedingt bei Stefan klingeln, vielleicht sogar extra hinfahren. Wer weiß, was das Leben so bringt.«

Falls Sie jemanden haben, bei dem Sie sich lange nicht gemeldet haben, tun Sie das doch einfach.

Und wenn Sie uns, die Autorinnen und Autoren dieses Familiennewsletters sowie unserer Elternkolumne, mal persönlich kennenlernen wollen, haben Sie am Donnerstag, dem 18. September, die Chance dazu. Dann laden wir Abonnentinnen und Abonnenten zum exklusiven Gedanken- und Erfahrungsaustausch ins SPIEGEL-Haus nach Hamburg ein. Beginn ist um 18 Uhr. Das Thema unseres ersten »echten« SPIEGEL-Elternabends lautet: »Ich krieg die Krise – Umgang mit kleinen und großen Katastrophen in der Familie.«

Hier können Sie sich anmelden und für die Veranstaltung registrieren.

Das Kontingent ist limitiert, Anmeldungen werden in der Reihenfolge berücksichtigt, in der sie bei uns eingehen. Aber keine Sorge: Diese erste Veranstaltung soll nur der Auftakt zu einer Reihe von Elternabenden sein. Wenn Sie am 18. September nicht dabei sein können, bietet sich bestimmt schon bald eine neue Gelegenheit.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende, an dem Sie hoffentlich ausschlafen können.

Herzlich,
Ihr Malte Müller-Michaelis

Zeit zum Aufstehen: Die Terrorherrschaft der Lehrer muss aufhören

Foto: Monkey Business 2 / Shotshop / IMAGO

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