Das Szenario:
In der Festung der Einsamkeit. Eine Frau um die 30 (Bayan Layla) liegt stranguliert in ihrer adretten Single-Altbauwohnung, es vergehen mehrere Wochen, bis sie gefunden wird. Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) hören sich im Familien- und Freundeskreis um. Alles nette Menschen. Aber im Kontakthalten keine Koryphäen. Durch Rückblenden und Tagebucheinträge lernt das Publikum eine Frau kennen, die mit Blumensträußen und Geschenkkörben vor verschlossenen Türen stand. Was schreibt sie in ihr Tagebuch? »Es ist, als würde ich ganz laut um Hilfe rufen, aber es hört mich keiner.«
Der Clou:
Anatomie einer Isolation. Dieser »Tatort« schleicht sich mit hübschen Bildern an ein düsteres aktuelles Thema. In Deutschland sollen sich laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung 51 Prozent der jungen Menschen einsam fühlen. Ein kollektiver seelischer Notstand, der möglicherweise aus der Coronazeit rührt, in der sie jene Abschottung verinnerlicht haben, die sie jetzt nicht mehr loswerden. Das Perfide an diesen Schöner-Wohnen-Impressionen mit Verwesungsgeruch: Die Menschen leben hier in Geborgenheitskulissen, aus denen sie nicht mehr ins echte Leben rausfinden.
Das Bild:
Ich bin ein Star – wer holt mich hier raus? In den Rückblenden fantasiert sich die junge Frau immer wieder in eine TV-Show mit dem realen Fernsehunterhalter Pierre M. Krause, wo sie sich als Popsängerin inszeniert und sich feiern lässt. Die Männer, die sie auf Dating-Seiten trifft, zeigen indes wenig Ehrerbietung und wollen nur Sex. Dazu singt Nina Persson von der schwedischen Band The Cardigans den Hit »Lovefool« .
Der Auftritt:
Daniela Holtz als grantige temporäre Revierverstärkung Elvira Möbius. Sie mahnt im schönsten Fick-dich-Schwäbisch: »Beleidigungen sind wichtig, weil wir sonst in kaltem Respekt aneinander vorbeileben.« Kontakthalten auf die harte Tour – besser, als einsam zu sterben.
Der Song:
»Wenigstens bis morgen« von Gerhard Gundermann . Das Lied läuft einmal im Hintergrund. Es liefert den Titel der aktuellen »Tatort«-Folge und enthält diese in Bezug auf den Filmplot bittere Zeile: »Vergiss den Strick / denn du hast ja ein viel zu stabiles Genick / Lass den Gashahn zu / Wer soll denn die Rechnung bezahl’n / Du dumme Kuh / Überlebe wenigstens bis morgen / Morgen schon verzieht sich der Rauch«.
Die Bewertung:
8 von 10 Punkten. Ein Gefühl von 100 Jahren Einsamkeit, komprimiert in 90 Minuten. Nach dem »Tatort« am besten gleich Mutter, Tochter oder Sohn anrufen!
Die Analyse:
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»Tatort: Überlebe wenigstens bis morgen«, Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste
»Tatort«-Szene: Ich bin ein Star – wer holt mich hier raus?
Foto: Benoît Linder / SWR