Ein Treueschwur zwischen Schiebetür und Hotelbar

In den vergangenen Tagen haben die deutschen Basketballer zweierlei bewiesen. Zum einen, dass sie ziemlich gut in Form sind, so gut, dass sie als Favorit auf den EM-Titel gelten.

Und zum anderen hat die Basketballnationalmannschaft gezeigt, dass sie um die Macht der Bilder weiß.

Am Montagmittag gab der Deutsche Basketball-Bund bekannt, dass Bundestrainer Álex Mumbrú seine Aufgabe als Head Coach, also als hauptverantwortlicher Trainer, während der Spiele abgeben wird.

Der Spanier war kurz vor dem Start der Europameisterschaft erkrankt, musste wegen einer Pankreatitis fast eine Woche im Krankenhaus bleiben. Während der ersten fünf Spiele der EM betreute Co-Trainer Alan Ibrahimagic das Team ohne Mumbrú.

Fürs Achtelfinale gegen Portugal kehrte der Spanier zurück, er und Ibrahimagic probierten eine Art Jobsharing.

Mumbrú wirkt weiterhin angeschlagen

Doch nun wird dieses Modell beendet. Das gab der Verband zwei Tage vor dem Viertelfinale gegen Slowenien (20 Uhr; TV: RTL und MagentaSport) erst per Pressemitteilung bekannt, ehe am Nachmittag eine Pressekonferenz abgehalten wurde.

Mangels eines eigenen Tagungsraums im Teamhotel in Riga fand die Pressekonferenz in der Lobby statt. Drei Stühle, Mumbrú setzt sich in die Mitte, flankiert von Ibrahimagic und DBB-Pressesprecher Christoph Büker.

Hinter den dreien baute sich die Mannschaft auf. Dennis Schröder, Franz Wagner, Andi Obst, das ganze Team des Weltmeisters stellte sich hinter den Trainer, ein Treueschwur zwischen automatischer Schiebetür und Hotelbar. Später ergriffen die Spieler sogar das Wort.

Doch zunächst sprach Mumbrú, immer noch sichtlich angeschlagen. »Ich habe gelitten«, sagt er über die Zeit im Krankenhaus. Er sei dabei, sich zu erholen, aber noch lange nicht bei 100 Prozent.

Dann begann er mit einer Klarstellung in eigener Sache, er habe viele falsche Sachen zu seinem Schritt in die zweite Reihe gelesen. »Ich bleibe Head Coach des Teams und bleibe beim Team«, sagte er.

Wie schwer ihm diese Entscheidung gefallen sein muss, sieht man aber schon daran, dass eine für Sonntag mit ihm angesetzte Pressekonferenz abgesagt wurde. Der Rückzug in die zweite Reihe war kein Schnellschuss, sondern wurde ausgiebig durchdacht und besprochen.

Mumbrú betonte, er werde auf der Bank sitzen. Aber nicht mehr an den Spielfeldrand treten, keine Anweisungen reinrufen, nicht mit den Schiedsrichtern diskutieren. Die Hauptlast als Trainer abgeben.

Eine Entscheidung, die logisch und nachvollziehbar ist. Womöglich muss man sagen: alternativlos.

Denn Mumbrú wirkte am Samstag beim Achtelfinale weit weg von vollständiger Gesundheit. Dabei sah man vor wenigen Wochen in der Vorbereitung noch, wie der Spanier auftreten kann. Der in Gesprächen zurückhaltende Mumbrú schien an der Seitenlinie fast zu explodieren, mehrfach coachte er nicht am Spielfeldrand, sondern betrat den Platz, bei strittigen Entscheidungen diskutierte er gestikulierend mit den Schiedsrichtern.

Es war, als wollte er zeigen: Hier bin ich, der neue Bundestrainer, der auf Weltmeistercoach Gordon Herbert folgte. Dabei ging es damals nur um den sportlich bedeutungslosen Supercup, es war ein Vorbereitungsspiel, ein Härtetest, auch für Mumbrú, vor dessen erstem Turnier als verantwortlicher Trainer.

Am Samstag stand er im ersten Viertel an der Linie, sichtbar dünner als vorher, die Bewegungen langsam und bedächtig. Ihm anzulasten, dass Deutschland im Achtelfinale gegen Portugal einen Stotterstart hingelegt hat, wäre unfair.

Und doch fehlt einem der unbedingte Glaube daran, dass er das Team in dieser Situation hätte emotional stützen können.

Nach dem ersten Viertel saß Mumbrú dann auf der Bank, sein Assistent Alan Ibrahimagic übernahm wieder das Coaching.

Der Spanier ist beliebt im Team

Für Mumbrú ist es ein persönliches Drama. Er trat das schwere Herbert-Erbe an. Der hatte die Mannschaft erst zu Platz drei der EM geführt und anschließend zum sensationellen Weltmeistertitel 2023. Bei den Olympischen Spielen im Vorjahr verpasste das Team als Vierter eine Medaille, hatte sich aber nachhaltig in der Weltspitze etabliert.

Nun kam Mumbrú, sollte den Erfolgslauf fortführen, im besten Fall das Weltmeisterteam noch ein Stückchen besser machen.

Im Team kam der Spanier sofort gut an. Als Spieler gewann Mumbrú mit Spanien WM-Gold und Silber bei Olympia. Das verleiht ihm Autorität, ebenso wie seine Herangehensweise. Er beließ vieles beim Alten, veränderte den Kader kaum. Aber ging an das Spielsystem, lässt schneller angreifen, damit kommt er auch seinen wichtigsten Spielern Schröder und Wagner entgegen, denen das riskante Spiel mehr liegt als der bedächtige Aufbau.

Die Strategie, das System, das alles ist das Werk des Spaniers.

In der ersten Reihe wird aber fortan Ibrahimagic stehen. Der sagte, er habe Respekt vor Mumbrús Entscheidung. »Die erfordert Mut.« Er sehe sich weiter als Assistenzcoach, auch wenn er jetzt in einer größeren Verantwortung sei, bei noch maximal drei Spielen bei dieser Europameisterschaft, die mit dem Titel enden soll.

Ibrahimagic war als Spieler nicht ansatzweise so erfolgreich wie sein Chef, er genießt aber dennoch hohes Ansehen im Team. Er ist seit Jahren im Verband, leitet mit viel Akribie die Nachwuchsbasketballer an. Mit der U18 wurde er Europameister, mit der U19 Vizeweltmeister. Solche Erfolge wecken Begehrlichkeiten, Ibrahimagic hätte auch in den Klubbasketball wechseln können. Doch er blieb beim Verband, viele Spieler rechnen ihm das hoch an.

Spieler Lô kritisiert die Medien

Auch Patrick Femerling hält den Schritt für richtig. »Jetzt kommen die Do-or-die-Spiele. Da steigt der Spaß, aber auch der Druck«, sagt Deutschlands Rekordnationalspieler dem SPIEGEL. Femerling begleitet die EM als TV-Experte. »Da ist mehr Ruhe und mehr Struktur besser.«

Femerling sagt, diese Mannschaft sei zwar so gefestigt, dass sie sich auch von Wechseln an der Seitenlinie kaum ablenken lasse. Aber nun sei das Thema von der Agenda, und das helfe, sich zu fokussieren.

Was Femerling auch betont: »Trainer sein ist ein Hochleistungssport«. Emotional und körperlich anstrengend. »Da bist du fertig nach einem Spiel.« Ohne 100-prozentige Gesundheit sei das kaum zu bewältigen.

Im Mannschaftshotel kam es dann kurz vor Ende zu einer bemerkenswerten Szene. Pressesprecher Büker moderierte die Veranstaltung gerade ab. »Danke schön. Bis morgen.« Die ersten Journalisten packten ihre Sachen zusammen.

Da ergriff Aufbauspieler Maodo Lô das Wort. »Dürfen wir als Spieler auch noch was sagen?« Durften sie.

»Wir haben gesehen, dass online ein paar Sachen geschrieben wurden. Dass er (Mumbrú) wegtritt oder seine Pflichten nicht erfüllt«, sagte Lô. Doch das stimme nicht. »Er ist hier. Er sendet weiterhin die Impulse. Wir sind da, um unsere Unterstützung für Alex Mumbrú auszusprechen.«

Es war ein Treueschwur auf den sichtlich angefassten Trainer, verpackt im Gewand einer kleinen Medienkritik. Was Lô und seine Kollegen genau gelesen haben, was sie so gar nicht stimmig fanden? Wohl ihr Geheimnis.

»Wir spielen sein System, seine Philosophie, seine Ideen«, sagte Lô noch, dann traten die Spieler den Rückzug in ihre Zimmer an.

Sie hatten ihr Zeichen gesetzt.

Mumbrú beim Spiel gegen Portugal

Foto: Beautiful Sports / Wunderl / IMAGO

Trainer Ibrahimagic führte das Team zu sechs Siegen in sechs Spielen

Foto: Beautiful Sports / Wunderl / IMAGO

Spieler Lô bei Ansprache: »Er ist hier«

Foto: Alexander Trienitz / IMAGO

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