Muskelspiele im Generationenduell

Der »Djoker« verpasst die Pointe: Zum Ende des zweiten Satzes wurde es der erhoffte offene Schlagabtausch, mit wendungsreichen Ballwechseln und wilden Kunstschlägen, die die knapp 24.000 Zuschauer im Arthur Ashe Stadium von den Sitzen rissen. Carlos Alcaraz hatte den ersten Durchgang für sich entschieden, Novak Djokovic musste jetzt alles aufbieten, was ihn zum erfolgreichsten Tennisspieler der Geschichte gemacht hat: Präzise Aufschläge, krachende Grundschläge, fintenreiche Stoppbälle – und siehe da, der »Djoker« wusste sich noch einmal in den Tiebreak zu retten. Allein, die Pointe musste er Alcaraz überlassen.

Denn während der Spanier in seinem pinkfarbenen Muscle-Shirt auch nach zwei Stunden auf dem Platz noch so frisch wirkte, als würde er ein entspanntes Work-out nach Feierabend absolvieren, sah man Djokovic immer öfter pumpend in der Handtuchecke stehen. Alcaraz zog das Tempo noch einmal an und gewann folgerichtig den Tiebreak – die Vorentscheidung.

Das Ergebnis: French-Open-Champion Alcaraz hat sich im Halbfinale der US Open mit 6:4, 7:6 (7:4), 6:2 dank einer fokussierten Leistung gegen Djokovic durchgesetzt und zum zweiten Mal das Finale in New York erreicht. Der 38 Jahre alte Serbe hingegen muss seine Hoffnungen auf den 25. Grand-Slam-Titel, mit dem er sich zum alleinigen Rekordhalter vor der Australierin Margaret Court aufschwingen würde, auf 2026 vertagen.

Youngster gegen Altstar: Was würde Djokovic gegen diesen Alcaraz in Topform ausrichten können? Die beiden trennen ja nicht nur 19 Grand-Slam-Titel, sondern auch 16 Jahre Altersunterschied – und der trat in diesem Halbfinale vor allem gegen Ende immer offener zutage. Dem Serben ging merklich die Kraft aus, er humpelte phasenweise über den Platz. Alcaraz ließ sich nicht aus dem Rhythmus bringen, im Gegenteil: Wie ein Routinier spielte er das Match nach Hause.

»Es fühlt sich großartig an, hier wieder im Finale zu stehen«, sagte der Spanier gelöst, der vor den Augen seines Landsmanns, des Golfstars Sergio García, wieder seinen Abschlag-Jubel vollführte. Seinem Kontrahenten hielt er zugute: »Es war ein körperlich sehr forderndes Match.«

Warum tut der sich das an? Fragt man sich mitunter, wenn man sieht, wie sich Djokovic durch die Runden quält – und das nicht erst in New York. Die körperliche Verfassung des Serben war bereits vor und bei mehreren Grand Slams Dauerthema, und auch in diesem Match ließ er nach verlorenem zweiten Satz wieder den Physio anrücken. Der knetete Djokovic Schulter und Nacken, neue Lebensgeister vermochte er dem 38-Jährigen nicht einzuhauchen.

Ein Aus im Halbfinale eines der vier größten Tennisturniere ist wahrlich keine Schande. Djokovic hat auch in New York bewiesen, dass der Weg zum Titel über ihn führt. Bei jedem der vier Major-Turniere in diesem Jahr schaffte er es unter die letzten vier, erreichte aber erstmals seit 2017 kein Endspiel. Und auch dieses Halbfinale machte deutlich: Die Wachablösung hat sich längst vollzogen, die nächste Generation hat übernommen.

»Das Fünfsatz-Format macht es mir sehr, sehr schwer«, erklärte Djokovic, der seinen letzten Grand-Slam-Erfolg 2023 bei den US Open feiern konnte. »Natürlich ist es frustrierend, wenn man körperlich nicht mithalten kann. Es hängt mit dem Lauf der Zeit, mit dem Alter zusammen«, fügte er hinzu – und schwor sich und seinen Fans aber auch: »Ich genieße immer noch den Nervenkitzel des Wettkampfs. Ich gebe nicht auf.«

Spanischer Promi-Magnet: Alcaraz machte sein siebtes Grand-Slam-Finale binnen drei Jahren perfekt, seit April erreichte er bei jedem seiner Starts das Endspiel. Dort kommt es am Sonntag (20 Uhr MESZ) zur nächsten Auflage von »Sincaraz«, das von den Fans erhoffte Traumfinale gegen den Weltranglistenersten Jannik Sinner, wie auch schon zuvor bei den Grand Slams in Paris  und Wimbledon. Der topgesetzte Italiener setzte sich im zweiten Halbfinale mit 6:1, 3:6, 6:3, 6:4 gegen den Kanadier Félix Auger-Aliassime durch.

Und Alcaraz erwies sich erneut als Promi-Magnet. Unter blauem Himmel im größten Tennisstadion der Welt sonnten sich unter anderen Hollywoodstars wie Adam Driver, Hugh Jackman und Rami Malek, Dad-Rocker Jon Bon Jovi und natürlich »Vogue«-Grande-Dame Anna Wintour. Das dürfte im Endspiel nicht anders werden.

Finale mit Trump: Noch einer will sich dieses Spektakel nicht entgehen lassen: US-Präsident Donald Trump hat seinen Besuch für das Endspiel in seinem New Yorker Heimatstadtteil Queens angekündigt. Er werde versuchen, nicht darüber nachzudenken, er möchte nicht nervös werden, sagte Alcaraz in der Pressekonferenz,  angesprochen auf den geplanten Besuch Trumps. Es sei ein Privileg für Turniere, einen Präsidenten zu empfangen, egal welches Land er regiere, ergänzte der 22-Jährige.

Die Reaktionen? Ungewiss: Man darf gespannt sein, wie das liberale New Yorker Publikum Trump empfangen wird. Der war einst Stammgast in Flushing Meadows, ehe er 2015 kurz nach Beginn seiner ersten Präsidentschaftskampagne dem Viertelfinale zwischen Serena und Venus Williams beiwohnte – und ausgebuht wurde. Die US Open 2025 sind zudem Althea Gibson gewidmet, 75 Jahre, nachdem sie als erste Schwarze Tennisspielerin an einem Grand-Slam-Turnier teilnehmen durfte. Das Motto: »Celebrating 75 years of breaking barriers« – überkommen geglaubte Grenzen, die viele Menschen unter der Trump-Regierung wieder zu spüren bekommen.

Mit Material von sid

Alcaraz hechtet einem Passierschlag hinterher: »Ein körperlich sehr forderndes Match«

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Cristobal Herrera Ulashkevich / EPA

Djokovic ließ sich nach dem zweiten Satz behandeln: »Natürlich ist es frustrierend«

Foto: John G. Mabanglo / EPA

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