Die Abgezockten bezwingen den »Fight Club«

Fußballspiele, so heißt es landläufig, werden vom Ende her erzählt. Deswegen sind ganze Müllverbrennungsanlagen gefüllt worden mit vorgefertigten Berichten aus dem Stadion, Thesen und Erklärungen für Sieg und Niederlagen, die dann doch nie veröffentlicht wurden. Der Gewinner pachtet die Wahrheit. Oder eine von vielen, aber dazu später mehr.

An diesem Dienstagabend beim Pokalspiel von Eintracht Frankfurt und Borussia Dortmund konnte eine schwarz-gelbe Botschaft verbreitet werden: Die Dortmunder haben sich nach einem nicht hochklassigen, aber packenden Duell 4:2 im Elfmeterschießen durchgesetzt, weil sie von zwei gleichstarken Mannschaften die abgezocktere stellten.

Und so sprang Torwart Gregor Kobel faustend durch die Luft vor dem mit Pyro entzündeten schwarz-gelben Gästeblock, nachdem er den letzten Elfmeter des Frankfurters Farès Chaïbi gehalten hatte. Später führte der Keeper den Erfolg auf die besondere Energie in der Mannschaft zurück.

Julian Brandt, der Torschütze zum 1:1-Endstand nach 120 Minuten, scherzte in den Katakomben, dass er der fünfte Schütze gewesen wäre. »Weil ich dann gar nicht schießen muss bei unserem überragenden Torhüter.« Und der Trainer Niko Kovač konnte mit einem breiten Lächeln die lobenswerte Entwicklung des BVB herausstellen.

Die Prise Selbstverständlichkeit eingekauft

Denn noch vor einem Jahr habe es ständig Diskussionen über die fehlende Widerstandsfähigkeit des Teams gegeben. Unter Kovač haben die Spieler die Mentalitätsdebatten förmlich aus dem Körper herausgelaufen wie einen lästigen Krampf. Dortmund umgibt nun die Aura der Unbeeindruckten.

Sie hatten in Frankfurt das Spiel laufen lassen, als würden sie im Fitnessstudio auf dem Stepper einige Übungen absolvieren, während die Frankfurter Jugendlichen schnaubend Gewichte um Gewichte auflegten.

Waldemar Anton absorbierte die Bälle in den Zweikämpfen, Nico Schlotterbeck spielte wieder seine unnachahmlichen Seitenverlagerungen und selbst der oft gescholtene Jobe Bellingham riss im zweiten Durchgang das Geschehen an sich. Dass der unlängst noch als »Lebensversicherung« betitelte Serhou Guirassy erst später eingetauscht wurde, soll der Mannschaft gar nichts ausgemacht haben.

»Wir haben mehr Optionen. Ohne ihn fehlt zwar ein Anker, aber so spielen wir häufiger vertikal, wie eine Basketballmannschaft«, sagte Brandt. Wenn eine Mannschaft so viele Möglichkeiten hat, wirkt sie fast – um im Bild zu bleiben – wie ein All-Star-Team. Zu Spielbeginn versammelten sich allein auf der Dortmunder Ersatzbank wohl mehr als hundert Millionen Euro Ablösesumme. Mit all dem Geld hat der BVB augenscheinlich nicht nur Qualität, sondern auch die Portion Selbstverständlichkeit eingekauft, die sonst nur dem Branchenprimus FC Bayern zu eigen ist.

Das alles stimmte an diesem Abend im Frankfurter Stadtwald – und doch wieder nicht. Denn die Dortmunder hatten sich auch deswegen durchgesetzt, weil sie von zwei gleich starken Mannschaften die glücklichere stellten.

Der »Fight Club« wurde im Waldstadion entwickelt

Mit etwas Pech aus BVB-Sicht oder einer anderen Linie des Schiedsrichters hätte der Dortmunder Aaron Anselmino in der ersten Halbzeit Gelb-Rot gesehen. Mit einem VAR, der erst in den nächsten Runden zum Einsatz kommt, hätte das Dortmunder 1:1 womöglich aufgrund einer Abseitsstellung annulliert werden müssen. Mit etwas Pech wären die Schüsse von Frankfurts Ansgar Knauff (69.), Ritsu Doan (Latte, 79.) oder Chaibi (102.) im Dortmunder Tor gelandet – oder die Frankfurter Elfmeter. Aber wie sagte einst der ehemalige Dortmunder und Hobbyphilosoph Jens Lehmann: Der Konjunktiv ist der Feind des Verlierers.

Die Eintracht war es, die in der umkämpften Partie den Ton gesetzt hatte. Über weite Strecken des Spiels wirkte es, als sei der Geist von eben jenem Niko Kovač wieder in die Frankfurter gefahren. Zu seiner Zeit als Frankfurter Coach hatte er nämlich den »Fight Club« im Waldstadion entwickelt; eine laufintensive, kompromisslose Spielweise, die sie in Frankfurt jüngst oft hatten vermissen lassen.

»Wir wollten wieder Eintracht-like sein«, formulierte es Trainer Dino Toppmöller. Er hatte seinen Spielern eingebläut: »Bringt Jugendlichkeit auf den Platz! Wir haben vor niemandem Angst!«

Genauso wie der Trainer, der entgegen seinem gewohnten Naturell noch bei der Pressekonferenz hochtourig unterwegs war, agierte die Frankfurter Mannschaft. Die Hessen kratzten, spuckten und bissen sich zur besten Saisonleistung. Dabei ließe sich die Vorstellung von Weltmeister Mario Götze hervorheben, der vom rechten Mittelfeldspieler bis zum vorderen Anläufer alles spielte und das 1:0 von Ansgar Knauff mit einem Uwe-Bein-Gedächtnispass einleitete.

Spieler des Spiels war ein Frankfurter

Doch der wohl beste Mann des Abends war Nathaniel Brown. Der Linksverteidiger gewann so viele Zweikämpfe, Laufduelle und 50/50-Bälle, dass allein das Zusehen Muskelkater in den Augen verursachte. »Er war eigentlich schon mausetot und hat doch immer weiter auf die Zähne gebissen«, sagte sein Trainer Toppmöller.

Damit war ein weiterer Gewinner des Abends auch die deutsche Nationalelf, beim Spiel unter anderem vertreten durch DFB-Präsident Bernd Neuendorf und Sportdirektor Rudi Völler. Frankfurts Brown auf links, die BVB-Verteidiger Anton, Schlotterbeck sowie Robin Koch bei der Eintracht und selbst der eingewechselte Niklas Süle wirkten – ganz im Gegensatz zu einem Zitat von Bundestrainer Julian Nagelsmann – wie »echte Verteidigungsmonster«.

So resümierte auch Dortmunds Trainer Kovač: »Es gab wenig Chancen auf beiden Seiten, deswegen konnte das Spiel nur durchs Elfmeterschießen entschieden werden.« Sprach es und begrüßte reihum alte Frankfurter Bekannte, die ihm sogar noch ein Bild seiner Wahlheimat mit auf den Weg gaben. Vollbepackt und mit glücklichem Händchen verließ Kovač dann das Waldstadion als Trainer einer Spitzenmannschaft auf der Erfolgswelle. Stand jetzt.

Nathaniel Brown (r.) im Zweikampf mit Karim Adeyemi

Foto: Patrick Scheiber / Jan Huebner / IMAGO

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