Ein Finale wie lange nicht mehr: Zum ersten Mal seit 15 Jahren war die Formel 1 mit drei Titelkandidaten ins letzte Saisonrennen gegangen. Die besten Karten hatte Lando Norris: Der McLaren-Pilot hatte zwölf Punkte Vorsprung auf Verstappen und 16 auf seinen Teamkollegen Oscar Piastri – und benötigte lediglich einen Podestplatz, um sicher Weltmeister zu werden. Doch das ist leichter gesagt als getan, Verstappen hatte seit dem Sommer eine furiose Aufholjagd gezeigt. Ein Crash, ein strategischer Patzer, ein technischer Defekt hätten genügt, um die Karten neu zu mischen. Umso erleichterter war Norris, als er sich 58 Runden später seinen Kindheitstraum erfüllen konnte, wenn auch denkbar knapp. »Ich dachte, ich würde nicht weinen, aber ich musste«, sagte er nach dem Rennen mit Tränen in den Augen.
Das Ergebnis: Auf dem Siegerpodest ganz oben stand jedoch Verstappen, der den Großen Preis von Abu Dhabi für sich entschieden hatte. Piastri wurde Zweiter, Norris genügte der dritte Platz, um sich nach insgesamt mehr als 7500 Rennkilometern mit zwei Punkten (!) Vorsprung vor Verstappen zum Weltmeister zu krönen. »World Champion!«, brüllte McLaren-CEO Zak Brown seinem Fahrer ins Gesicht, Norris ließ sich den Champagner darüber laufen.
Der Start: Hatte Aufregerpotenzial. Verstappen auf der Pole, Norris daneben, Piastri folgte auf der Drei. Als die Ampeln ausgingen, blieb vorn jedoch zunächst alles ruhig. Doch schon in Runde eins ging Piastri an seinem Teamkollegen vorbei – und der geriet unter Druck durch Charles Leclerc im Ferrari, der sich mit Fernando Alonso (Aston Martin) um Platz vier duellierte. Mercedes-Pilot George Russell hatte seinen Start verpatzt und war auf Position sechs zurückgefallen. »Er stellt ihn an die Kante des Abgrunds«, rief Sky-Kommentator Sascha Roos angesichts des Überholmanövers von Piastri.
»Nachts hin und her gewälzt«: Wie aufgeregt nicht nur die Fahrer selbst vor Rennstart waren, konnten die Zuschauerinnen und Zuschauer exemplarisch an Nico Rosberg sehen. Der Deutsche war in Abu Dhabi im Jahr 2016 nach einem Duell mit Lewis Hamilton Weltmeister geworden – und erinnerte sich am Sky-Mikrofon an die Zeit vor Rennbeginn. »Ich habe mich nachts hin und her gewälzt, habe vielleicht drei Stunden geschlafen. Ich war so nervös«, sagte Rosberg, der nach dem Titelgewinn überraschend zurückgetreten war. Verstappen ist dabei gewiss kein leichterer Gegner als Hamilton, wie Ralf Schumacher bei Sky bestätigte. »Verstappen ist eine Macht, er ist ein richtiger Krieger«.
Norris kann den Ferrari nicht abschütteln: Der »Krieger« führte das Feld zunächst an, hatte über zwei Sekunden Abstand vor Piastri. Dahinter konnte sich Norris ausgerechnet von dem krisengeschüttelten Ferrari nicht absetzen. Erst ab Runde elf musste Leclerc abreißen lassen. Beide kamen in Runde 17 an die Box, sortierten sich als Neunter (Norris) und Zehnter (Leclerc) wieder ins Feld ein und arbeiteten sich zügig wieder auf die Positionen vier und fünf vor. Zu diesem Zeitpunkt lag Yuki Tsunoda zwischen den drei WM-Kontrahenten. Verstappen und Piastri hatten noch keinen Stopp eingelegt.
Hält Verstappens Teamkollege Norris auf? Nein, aber er wechselte mehrfach die Seite, als Norris ihn überholen wollte. Dieser geriet dadurch neben die Strecke. Für den Japaner ist es vorerst das letzte Formel-1-Rennen, er wird in der kommenden Saison im Red Bull durch Isack Hadjar ersetzt. Wenn Tsunoda Verstappen noch einen letzten Gefallen tun wollte, ging das daneben. Die Rennleitung brummte ihm eine Fünfsekundenstrafe auf. Derweil hatte Verstappen die Reifen gewechselt (Runde 23), Piastri führte das Rennen an, musste sich dem Niederländer aber letztlich noch geschlagen geben.
Was sagen die Unterlegenen? Der entthronte Weltmeister Verstappen wirkte gefasst, »schade« sei es, dass man mit zwei Punkten Rückstand verloren habe. Auf die Sky-Frage, ob er sich ärgere, dass die Leistungssteigerung des Autos im Sommer zu spät gekommen sei, winkte er verbal ab, so sei das eben. Ähnlich präsentierte sich Piastri, der in der ersten Saisonhälfte schon wie der kommende Champion ausgesehen hatte. Er sei zwar nicht glücklich, aber auch nicht unglücklich. »Lando hat den Titel verdient. Ich werde mich weiterentwickeln und wir werden versuchen, uns wieder zu schlagen«, kündigte der Australier an.
Hamilton denkt nur an Weihnachten: Düsterer dürfte die Stimmung hingegen bei Ferrari sein. Die Scuderia beendet die Saison nur als Vierter in der Konstrukteurs-WM; noch hinter Red Bull, wo Verstappen den Großteil der Punkte eingefahren hat. Das Ergebnis liegt hinter den Ansprüchen des italienischen Traditionsrennstalls , der mit seinen Spitzenfahrern Lewis Hamilton und Leclerc vorn angreifen wollte. Hamilton, Achter in Abu Dhabi, wollte unmittelbar nach dem Rennen gar keinen Ausblick wagen. Was geschehen sei, sei geschehen, sagte der Rekordchampion. »Ich denke auch nicht an die Zukunft, denke nur an Weihnachten und die Zeit mit meiner Familie. An nichts anderes«, ergänzte er beim Sender Sky.
Wie geht es weiter: Die neue Formel-1-Saison beginnt am 8. März 2026 in Melbourne. Dann tritt ein neues Reglement in Kraft, das die Machtverhältnisse durchmischen könnte.
Max Verstappen: Fünf Titel in Serie hatte in der Formel 1 bisher nur Michael Schumacher mit Ferrari erringen können
Foto: ANP / IMAGOOscar Piastri gratuliert seinem Teamkollegen Lando Norris zum WM-Gewinn
Foto: Andrej Isakovic / AFP