Winzigem Meeresorganismus droht extremer Schwund

Es ist einer der wichtigsten Sauerstofflieferanten der Erde und dürfte namentlich doch nur wenigen Menschen bekannt sein: Forschende haben nun herausgefunden, dass das Bakterium Prochlorococcus empfindlicher auf hohe Temperaturen reagiert als bisher gedacht.

Der im Fachjournal »Nature Microbiology«  vorgestellten Studie zufolge könnte die Prochlorococcus-Menge in tropischen Ozeanen in den kommenden Jahrzehnten immens schrumpfen. Bis zu 51 Prozent des Bestands könnten demnach unter moderaten und hohen Erwärmungsszenarien bis zum Jahr 2100 aus den Gewässern verschwinden. Die Forschenden befürchten, dass der Rückgang eine Kettenreaktion in den marinen Nahrungsnetzen auslöst.

Wichtig für die Nahrungsnetze

Fachleute halten Prochlorococcus für den zahlenmäßig häufigsten photosynthetischen Organismus der Erde. Photosynthetisch bedeutet, dass er mithilfe von Licht aus Kohlenstoffdioxid und Wasser andere Stoffe herstellt: Sauerstoff und Zuckerverbindungen. Fünf Prozent der global stattfindenden Photosynthese gehen auf das Bakterium zurück, heißt es in der Studie. Seine Entdeckerin Penny Chisholm schrieb einst, Prochlorococcus könnte  »für die Hälfte des im Meer produzierten Sauerstoffs verantwortlich sein – das wäre ein Viertel des Sauerstoffs, den wir Menschen zum Leben benötigen«.

Das Cyanobakterium lebt in den obersten Wasserschichten der Ozeane. Sehen kann man es mit bloßem Auge nicht, die Zellen haben einen Durchmesser von etwa 0,5 bis 1 Mikrometer. In einem Wassertropfen können Hunderttausende Zellen vorkommen.

Die ökologische Bedeutung von Prochlorococcus ist enorm: In den nährstoffarmen tropischen und subtropischen Gewässern machten die Bakterien fast die Hälfte der Phytoplanktonbiomasse aus, wie das Team um François Ribalet von der University of Washington in Seattle erläutert. Sie besiedelten über 75 Prozent der sonnenbeschienenen Meeresoberflächen der Welt. Damit sei Prochlorococcus auch für die Nahrungsnetze wichtig.

Bislang gingen Wissenschaftler davon aus, dass Prochlorococcus auch bei höheren Temperaturen stark wächst. Das zeigten Laborexperimente. Erwartet werde daher, dass sich das Verbreitungsgebiet des Bakteriums wegen des Klimawandels in Richtung der Pole ausdehnt, wie es in der Studie heißt.

Ab 28 Grad sinkt die Vermehrungsfreude

Messungen bei 90 Schiffstouren in tropischen und subtropischen Meeresgebieten zwischen 2010 und 2023 in Wassertiefen von drei bis acht Metern zeigten nun allerdings auch, dass die Teilungsrate von Prochlorococcus-Zellen nur bis zu einer Wassertemperatur von etwa 28 Grad steigt. Anschließend fällt sie steil ab und erreicht bei 31 Grad einen deutlich tieferen Wert.

»Die regionalen Oberflächenwassertemperaturen könnten bis zum Ende des Jahrhunderts sowohl bei moderaten als auch bei hohen Erwärmungsszenarien diesen Bereich überschreiten«, heißt es in der Studie. In den vergangenen Jahren waren die Ozeane zum Teil deutlich wärmer, als Klimawissenschaftler in ihren Prognosen vorhergesagt hatten .

Organismus könnte sich anpassen

Wird sich Prochlorococcus an höhere Temperaturen anpassen können? Frühere Studien zeigten dem Forschungsteam zufolge eine große genetische Vielfalt unter verschiedenen Stämmen. Doch Prochlorococcus habe viele Stressreaktionsgene verloren, »um den Ressourcenbedarf zu minimieren und gleichzeitig die Leistung innerhalb eines engeren Umweltbereichs zu optimieren«, heißt es in der Studie. Das gestraffte Genom könnte die Fähigkeit einschränken, sich an eine rasche Erwärmung anzupassen.

Von der klimatischen Entwicklung profitieren könnte dem Team um Ribalet zufolge das ebenfalls winzige Cyanobakterium Synechococcus. Computermodelle hätten ergeben, dass es die ökologische Lücke, die Prochlorococcus bei höheren Wassertemperaturen zu hinterlassen droht, zumindest teilweise füllen könne. Dadurch werde die »Änderung im Nahrungsnetz wahrscheinlich nicht so stark ausgeprägt« sein, sagt Gerhard Herndl, emeritierter Professor für Meeresbiologie der Universität Wien.

»Eine wesentliche Schwäche der Studie ist die auf die obersten Schichten beschränkte Probennahme«, sagt Bernhard Fuchs vom Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie in Bremen. Denn dadurch bleibe außen vor, was in tieferen Schichten geschehe – ob sich beispielsweise Prochlorococcus-Bakterien aus tieferen, kühleren Schichten wieder ansiedeln könnten, wenn nach einer Hitzewelle ein Teil der Population abgestorben ist.

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