Das »paläon Forschungsmuseum« ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur mühsam zu erreichen. Von manchen Städten aus geht es erst mit einem Fernzug nach Wolfsburg, dann weiter mit Linienbussen, die etwa anderthalb Stunden lang durch Örtchen wie Danndorf, Groß Twülpstedt und Büddenstedt zuckeln. Doch die Anstrengungen lohnen sich.
Das Ausstellungshaus im niedersächsischen Provinzstädtchen Schöningen zeigt steinzeitliche Objekte, die zu den wichtigsten Entdeckungen der Archäologiegeschichte zählen. Allerdings geben sie der Wissenschaft noch immer Rätsel auf. Eines davon will nun der Geowissenschaftler Tobias Lauer von der Uni Tübingen lösen.
Es geht dabei vor allem um das Alter der insgesamt zehn »Schöninger Speere«, die seit 1994 in der Nachbarschaft des Museums ausgegraben wurden. Einige Forschende glauben, dass die perfekt austarierten Jagdwaffen vor etwa 200.000 Jahren angefertigt wurden, andere sind überzeugt, dass sie deutlich älter sind. Lauer will jetzt einen weiteren Versuch unternehmen, die Fundstücke zu datieren.
Seine Analyseergebnisse werden mit Spannung erwartet. Sollte es stimmen, dass die Funde von Schöningen etwa 300.000 Jahre alt sind, dann wären sie ein Werk von Vertretern der »Homo heidelbergensis« – und damit eine Sensation. Die Urmenschen, die nach einem Knochenfund bei Heidelberg benannt sind und wohl vor etwa 250.000 Jahren ausstarben, galten bis zu den Schöninger Entdeckungen eher als Steinzeit-Dödel, die unter anderem von dem lebten, was Säbelzahnkatzen und andere Raubsäuger an Aasresten übrigließen.
Womöglich werden Lauers Forschungen aber auch darauf hindeuten, dass die Handwerkskunst nicht auf Homo heidelbergensis zurückgeht, sondern auf seine Nachfahren, die findigen Neandertaler. Das wäre ein weiterer Beleg für eine meiner Lieblingsthesen: Vieles, was wir uns bisher über die schriftlose Urgeschichte zusammengereimt haben, ist falsch.
Dank neuer Hightechforschung wird es zukünftig immer öfter gelingen, Licht ins Dunkel der düsteren Geheimnisse der Vergangenheit zu bringen. Das wird sicher noch für einige Überraschungen sorgen – und so manches Weltbild ins Wanken bringen. Welche Folgen Lauers Arbeit für das Museum in Schöningen haben könnte und wie seine Methode funktioniert, lesen Sie hier.
Herzlich,
Ihr Guido Kleinhubbert
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Schöninger Speere im paläon Forschungsmuseum: Handwerkskunst der Steinzeit-Dödel?
Foto: Julian Stratenschulte / dpa