Wer Wachstum will, muss Nebelkerzen löschen

Wenn eine Partei in der deutschen Politik eine bestimmte Lösung ablehnt, aber keine bessere anzubieten hat, vollzieht sich oft ein fürchterliches Schauspiel: Es werden Worthülsen verschossen und Ablenkungsmanöver gestartet.

Beispiel Atomkraftwerke: CSU-Chef Markus Söder forderte am Wochenende mal wieder »kleine, smarte Reaktoren« , die angeblich »nicht solche Subventionen« bräuchten, »wie das früher nötig war«. Söder meint damit sogenannte Small Modular Reactors (SMR).

SMR-Startups fallen derzeit aber vor allem dadurch auf, dass sie zuerst Subventionen verschlingen  und dann ihre Pläne einstellen oder gleich bankrottgehen. Etwa NuScale  und die sogenannte »Ultra Safe Nuclear Corporation«  in den USA. In Kanada und den USA existieren SMRs bis jetzt nur in Form von Planungen und Baugruben . Ein Projekt in Kanada, das Söder explizit erwähnte, wird mit mehr als zwei Milliarden US-Dollar vom kanadischen Staat gefördert . Atomkraft »ohne Subventionen« gibt es nun einmal nicht. Da sind die erneuerbaren Energien schon lange deutlich weiter .

Beispiel Elektroauto: Weil Union, FDP und Hubert Aiwangers Freie Wähler nicht akzeptieren wollten, dass batterieelektrischen Pkw die Zukunft gehört, schwenkten sie beidhändig Nebelkerzen. Links das Wasserstoffauto, rechts die E-Fuels, mit denen man dann in zehn Jahren noch neue Verbrennungsmotoren betanken wollte. E-Fuels haben mehrere so gravierende Nachteile, dass Fachleuten längst klar war, dass sie allenfalls für Nischenmärkte und Spezialanwendungen Potenzial haben.

Sie sind extrem ineffizient: Ein E-Auto fährt mit der gleichen Strommenge sechs- bis siebenmal so weit wie ein mit aus der gleichen Strommenge hergestellten E-Fuels betankter Verbrenner. Und ihre Inhaltsstoffe – flüssiges CO₂ und Wasserstoff aus erneuerbarem Strom – bleiben bis auf Weiteres rar und teuer.

Mehr Ferraris als H₂-Autos

BMW behauptet unterdessen unverdrossen, man wolle im Jahr 2028 einen Wasserstoff-Brennstoffzellen-Pkw auf den Markt bringen. Ein Vorserienmodell fuhr, sehr demonstrativ, Hubert Aiwanger von den Freien Wählern. Eine Wasserstofftankstelle in Aiwangers Landkreis ist allerdings gerade abgebaut worden – so wie viele andere in ganz Europa auch . Es tankt einfach niemand dort.

Kein Witz: Weltweit werden mittlerweile mehr Ferraris verkauft als Wasserstoff-Pkw .

Ein Witz: Am Freitag erhielt BMW für sein Wasserstoff-Projekt die Zusage über 273 Millionen Euro staatlicher Förderung.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder rühmte sich der Technologieoffenheit, und Aiwanger sah sich wohl bestätigt. Er hatte sich 2024 noch für bis zu 1,4 Milliarden EU-Förderung für die Wasserstoff-Auto-Entwicklung starkgemacht und behauptet , »dass die Ampel ein ideologisches Problem mit Wasserstoff im Verkehr hat«. Tatsächlich hat eher Aiwanger (und BMW, die die Förderung natürlich gern mitnehmen) ein ideologisches Problem mit der Realität. 2024 wurden weltweit knapp elf Millionen batterieelektrisch angetriebene Autos  verkauft (mit Plug-in-Hybriden über 17 Millionen ) – und weniger als 13.000 Wasserstofffahrzeuge. Der Markt schrumpft immer schneller: um 21,6 Prozent  von 2023 auf 2024, und um 27 Prozent  in der ersten Hälfte dieses Jahres. In Deutschland gibt es derzeit etwa 2300 Wasserstoffautos. Pro Monat werden derzeit aber 40.000 bis 50.000 neue Akku-Pkw zugelassen.

Die Messe ist gelesen, wie man in Bayern sagt

Das war abzusehen , denn Strom erst in Wasserstoff umzuwandeln, den dann in eine Brennstoffzelle zu leiten, ist teuer und umständlich. Gegen Physik hilft es nicht, wenn man sich in beide Ohren Finger steckt und laut »Technologieoffenheit!« brüllt.

Volvo, Mercedes, MAN und Co. verkaufen jetzt auch Schwerlaster und Busse mit Akku. Der weltgrößte Lkw-Bauer Daimler Truck hat die Entwicklung von Wasserstoff-Lkw vorerst eingestellt . Bei MAN ist der Elektro-Lkw das einzige Wachstumssegment (wenn auch noch auf sehr niedrigem Niveau).

»Picking winners«, Gewinner am Markt aussuchen, das sollte die Politik nicht tun, heißt es in den Wirtschaftswissenschaften. »Picking losers« ist aber auch keine gute Idee. Wenn eine Entscheidung längst gefallen ist, weil der Markt oder die Physik oder, meistens, beide dafür sprechen, verschwendet die Politik Zeit, Streit und Geld. In Zeiten exponentieller Veränderung rund um die Welt ist das besonders fatal.

Das Problem der deutschen Autobranche ist, dass China binnen fünf Jahren zum größten Autoexporteur der Welt aufgestiegen ist – weil es die E-Autos im Angebot hat, die der heimische und der Weltmarkt wollen. Die Verbrenner-Aus-Debatte ist eine weitere Nebelkerze. Der Verbrennungsmotor ist eine Technik der Vergangenheit. Der Absatz von Pkw, die von ihm angetrieben werden, ist seit Jahren rückläufig.

Nebelkerze Kernfusion

Die Lieblingsnebelkerze der Union bei der Stromerzeugung ist die Kernfusion. Doch die Wahrscheinlichkeit ist sehr gering, dass in der Lebenszeit von Friedrich Merz noch irgendwo auf der Welt ein kommerzielles Fusionskraftwerk ans Netz geht. Noch nirgends hat jemand auch nur im Laborversuch eine Fusionsreaktion erreicht, die mehr Energie erzeugt, als sie verbraucht. Es wäre toll, wenn das eines Tages klappen sollte. Wir haben aber keine Zeit, die Klima- und Energieprobleme sind zu dringend.

Ähnlich ist es mit der Atomkraft, auch jenseits der Mini-AKW. Von einer »Renaissance« zu sprechen, gleicht einem Märchen. Fakt ist: Im Jahr 2025 wurde der Internationalen Energieagentur (IEA) zufolge mehr als zehnmal so viel Geld in erneuerbare Energien  investiert wie in Atomkraft. Und sechseinhalbmal so viel in Speicher und Netze. Das liegt daran, dass Atomkraft nicht, wie hierzulande gern behauptet, billig ist, sondern teuer. Polens neues Kernkraftwerk soll an die 50 Milliarden Euro kosten, das in Großbritannien womöglich noch mehr. Deshalb will in Deutschland kein Betreiber welche bauen. Für das Geld bekommt man einfach viel mehr erneuerbare Energien plus Speicher plus Netze.

Eines der wenigen Länder, die zuletzt AKW ans Netz angeschlossen haben, ist China. Es ist ein Land mit Atomwaffen – nur für solche Staaten rechnet sich Kernenergie aufgrund der Synergieeffekte. Und auch China baut um Größenordnungen mehr Erneuerbare aus. »Es gibt kein einziges Atomkraftwerk auf dieser Welt, das sich ökonomisch rechnet«, sagt Joe Kaeser, Aufsichtsratsvorsitzender bei Siemens Energy – einem Unternehmen, das Komponenten für Atomkraftwerke herstellt.

Jens Spahn erfindet eine Heizung

All die Nebelkerzen verzögern nötige, absehbare, unausweichliche Entwicklungen. Und sie sorgen dafür, dass sinnvolle Investitionsentscheidungen vertagt oder sinnlose getroffen werden. Steuergelder fließen in aussichtslose Projekte. Nur weil nicht gut sein kann, was die Grünen wollten?

Nebelkerzenkönig Hubert Aiwanger pries kontinuierlich die Wasserstoffheizung als Zukunftstechnologie an. Dabei war absolut klar, dass sie eine Totgeburt ist: Für Wasserstoffheizungen bräuchten wir ein zweites, bundesweites Gasnetz, Wasserstoff ist knapp und teuer. Jens Spahn machte mit und erfand in einer Talkshow  sogar ein System aus Photovoltaik und Wasserstoffheizung, das es einfach nicht gibt. »Bild« applaudierte tags darauf.

Entscheidung im Bundestag – gibt es doch Hoffnung?

Besonders problematisch ist es, wenn betroffene Industrien beim Nebelkerzenschwenken mitmachen: Vaillant organisierte ein Fotoshooting mit Hubert Aiwanger vor einer Wasserstoffheizung (»die realistischste Lösung «), BMW hält die Fiktion vom H₂-Pkw tapfer aufrecht. Wenn man Wachstum will, muss man aber eben auf echte Wachstumsmärkte setzen, nicht auf Nebelkerzen.

Bislang schien die Bundesregierung weiterhin auf diesem Pfad zu bleiben. Doch am Donnerstag ist im Bundestag etwas passiert, das Hoffnung macht: Obwohl Wirtschaftsministerin Katherina Reiche die rasant wachsende Zukunftstechnologie Batteriegroßspeicher bisher weitgehend ignoriert und Gaskraftwerke favorisiert, brachten Union und SPD am Donnerstag eine Gesetzesänderung durch, die diese Anlagen betrifft und revolutionären Charakter hat.

Künftig werden  »Großbatteriespeicher ausdrücklich eigenständig im Außenbereich privilegiert und bauplanungsrechtlich erleichtert zugelassen«. Das sind sensationell gute Nachrichten für all jene, die gerade verzweifelt versuchen, Großspeichergenehmigungen zu bekommen. Und für uns alle, denn wenn man es richtig anstellt, werden Großspeicher nicht nur das Netz stabilisieren, sondern auch die Netzentgelte und damit die Strompreise senken helfen.

Unklug war das Verhalten der Grünen im Bundestag: Sie stimmten gegen das Gesetz, wie die AfD, wenn auch wohl aus anderen Gründen. Offenbar ging es ihnen nicht weit genug.

Dabei erlaubt die schwarz-rote Koalition jetzt auch bidirektionales Laden für Elektroautos ohne Zusatzkosten . Hunderttausende deutsche Batterie-Pkw können damit Strom zurück ins Netz speisen und als Puffer dienen. Zudem erleichtert die Gesetzesänderung Energy Sharing, »zur gemeinschaftlichen Erzeugung, zum Verbrauch und Austausch von selbst erzeugtem Strom innerhalb einer lokalen Gemeinschaft, etwa einer Nachbarschaft oder einer Region«. Die Regierung wird zudem aufgefordert, die Verbreitung von intelligenten Stromzählern (Smartmeter) zu beschleunigen. Diese sind etwa fürs bidirektionalen Laden wichtig.

All das sind fantastische Nachrichten für alle, die verstanden haben, dass die Zukunft ein weitgehend erneuerbar mit Energie versorgtes, elektrifiziertes Deutschland ist. Milliardeninvestitionen warten derzeit darauf, endlich ausgegeben zu werden, und zwar ganz ohne Subventionen. So, und nicht mit Nebelkerzen, erzeugt man tatsächlich – sinnvolles – Wachstum.

Verwandte Artikel

Next Post