Die Wut entlädt sich am Dienstagabend um 19 Uhr Ortszeit. Im Belémer Konferenzzentrum, einer riesigen Zeltstadt im Stadtzentrum am Rande des Amazonas, sind viele Teilnehmende der 30. Weltklimakonferenz zu dem Zeitpunkt bereits in Feierabendstimmung. Da dringt von draußen Lärm in die großen Zelthallen, dann stürmen Dutzende indigene Aktivisten durch den Haupteingang, vorbei an den Sicherheitsschleusen, es folgt ein Gerangel, bei dem zwei Sicherheitskräfte verletzt werden. Die Protestierenden schwenken Fahnen und skandieren auf Portugiesisch etwas von Landraub und dem Schutz des Amazonas-Regenwaldes.
Solch einen Vorfall gab es auf einer Uno-Klimakonferenz noch nie. Sicher, Protest von akkreditierten Aktivisten ist üblich, teils auch lautstark. Ein Sturm auf das Gelände ist jedoch eine neue Qualität. Dort befinden sich seit vergangenem Montag nicht nur Tausende Diplomaten, Journalisten und zivilgesellschaftliche Vertreter, sondern auch hochrangige Politiker. Sie diskutieren und verhandeln darüber, wie die Welt mehr Treibhausgase einsparen und sich an die Folgen des Klimawandels besser anpassen kann.
Wenn es den Aktivisten darum ging, Aufmerksamkeit zu generieren, ist ihnen das gelungen. Die brasilianischen Gastgeber, die Regierung unter Präsident Lula sowie das Uno-Klimasekretariat sind seitdem hoch alarmiert. Das Uno-Gelände soll ein geschützter Raum sein; die 194 Länder plus die EU und ihre Delegierten sollen sich sicher fühlen.
Seit Mittwoch gleicht das Zentrum der COP30 in Belém deshalb einer militarisierten Zone, umstellt von der Armee, zu den Panzern am Eingang kommt berittene Polizei hinzu und zahlreiche Soldaten.
Sponsoren und Lobbyisten
Die indigenen Protestierenden hingegen sieht man inzwischen eher auf dem Gegengipfel zur Konferenz, der an der Bundesuniversität Pará am anderen Ende der Stadt stattfindet. Dort kritisieren Klimaaktivisten, dass die offizielle COP30 auch von großen Konzernen gesponsert wird, etwa der Bergbaukonzern Vale. Dieser ist für die größte Umweltkatastrophe Brasiliens verantwortlich. Zudem sind auch rund 1600 Lobbyisten aus der Öl-, Gas- oder Kohlebranche auf der COP akkreditiert, wie eine Analyse von Kick Big Polluters Out ergab. Auch das finden viele anrüchig.
Bei aller Kritik an diesen Umständen ist Belém jedoch seit 2021 (damals fand die COP in Glasgow statt) die erste Konferenz, bei der überhaupt wieder Protest möglich ist – auch wenn der Vorfall am Dienstag sicher kein gutes Beispiel dafür ist. So werden am Samstag Tausende Indigene zusammen mit Klimaaktivisten – hoffentlich – friedlich durch Belém ziehen. Der Alternativgipfel startete mit einer Wasserdemo aus Kanus und Booten, ein Schiff legte sogar 3000 Kilometer per Schiff von den Anden bis in den Amazonas zurück. Die 60 indigenen Aktivisten erreichten Belém bereits am Dienstag.
Einige von ihnen zogen am Freitagmorgen dann übrigens wieder zum Konferenzzentrum und blockierten mit einer friedlichen Sitzblockade den Eingang: Dieses Mal waren es laut Beobachtern Vertreter der indigenen Bevölkerung der Munduruku. Sie pochen auf ein Treffen mit Präsident Lula und verlangen zugleich, geplante Großprojekte auf ihrem Gebiet zu stoppen.
Die indigenen Gemeinschaften in Brasilien haben allen Grund zu demonstrieren: Laut einem Bericht von Cimi , einem indigenen Missionsrat der katholischen Kirche, wurden zwischen 1985 und 2022 bis zu 1500 Indigene im brasilianischen Amazonas-Regenwald ermordet. Auch gibt es weitere Gewaltakte gegen die Hüter des Waldes: Beschneidung von Landrechten, Besitzübergriffe, illegale Ausbeutung natürlicher Ressourcen oder Sachbeschädigungen.
Zudem setzen Abholzung, absichtlich gelegte Brände und der Klimawandel dem Amazonas-Wald und damit dem Lebensraum der Menschen zu. Laut einem aktuellen Bericht internationaler Klimaforscher betrifft der Niedergang des Waldes rund 30 Millionen Menschen direkt, vorwiegend indigene und traditionelle Gemeinschaften, schreibt meine Kollegin Alina Schadwinkel in ihrem lesenswerten Beitrag zu den Kipppunkten des Regenwaldes. »Ihr Alltag, ihre Kultur und ihr Lebensraum sind eng mit dem Wald verbunden. Viele von ihnen müssten ihre Heimat verlassen, was den Wald zusätzlich schwächen würde«, sagt Forscherin Marina Hirota von der Universidade Federal de Santa Catarina in Alinas Beitrag. Sie sorgten dafür, dass der Wald erhalten bleibt und sich regenerieren kann, schützen große Flächen vor illegaler Abholzung, pflegen traditionelle Nutzungsformen und verfügen über ein tiefes Wissen über die Natur.
Gute Stimmung in den Verhandlungen
Auf der Uno-Konferenz selbst ist die Stimmung trotz des Zwischenfalls und der Soldaten so gut wie lange nicht. Über den vergangenen COPs in Aserbaidschan, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten lag stets der Schatten von Überwachung, eingesperrten Dissidenten oder massiven Menschenrechtsverletzungen. Das wurde nun gegen die unfassbar herzlichen Bewohner von Belém eingetauscht, die sich rührend um ihre Gäste aus aller Welt kümmern und stets für gute Laune sorgen – egal ob es der Taxifahrer, die Frau an der Supermarktkasse oder die vielen Helfer auf dem COP-Gelände sind. Es wird viel gelacht, gescherzt und gefeiert.
Auch die Verhandlungen führt der brasilianische COP-Präsident Corrêa do Lago mit viel Charme und Geschick: Öffentlichen Streit, Provokationen oder gar Blockaden gab es in der ersten Woche nicht. Dennoch dürfte es hinter den verschlossenen Türen der Meeting-Rooms hoch hergehen. Denn an roten Linien und teils unrealistischen Forderungen mangelt es nicht.
Die zweite Woche in Belém wird deshalb zeigen, wie harmonisch es auf der COP wirklich zugeht. Und ob es die Länder in Belém schaffen, ein starkes Signal für Klimaschutz und internationale Zusammenarbeit zu setzen.
Der SPIEGEL berichtet auch die zweite Woche der COP30 für Sie aus Belém. Alle Beiträge finden Sie immer laufend aktualisiert hier.
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Die SPIEGEL-Beiträge zur COP30 in Belém:
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Ihre Susanne Götze
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