»Nein!« – »Doch!« – »Ohh!« Früher, als ich selbst beinahe noch ein Kind war, liebte ich diesen Dreiklang. Allerdings war die wütende kleine Figur in dem Dialog der französische Komiker Louis de Funès auf dem Höhepunkt seiner Filmkarriere. Heute spielt die Hauptrolle in diesem Drama meine zweijährige Tochter inmitten ihrer Autonomiephase. Die Mitteilungen »Neinnnnn!«, »Alleine!«, »Ich will!« und »Selbeeeer!« höre ich daheim gerade in Dauerschleife.
Meine Frau und ich begleiten den ersten, wichtigen Ablösungsprozess unseres Kindes. Bei uns herrscht aktuell das Streben nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Diese Werte unterstütze ich als Vater und Journalist natürlich vollkommen. Wenn es nur nicht so anstrengend wäre! Meinten die Menschen das, als sie uns nach der Geburt rieten: »Genießt die Zeit, sie geht so schnell vorbei«?
Doch eigentlich dürfen wir uns gar nicht beklagen. Von sagenhaften Gefühlsausbrüchen blieben wir bisher verschont. Das typische Schreckensszenario vieler Eltern, den emotionalen Zusammenbruch an der Supermarktkasse, haben wir bislang nur als Zeugen erlebt. Doch wer weiß? Stimmungen und Meinungen ändern sich bei uns zu Hause gerade schneller als im Oberstübchen von Donald Trump.
Außerdem belasten diese Krisen die Kleinen tausendmal mehr als uns Große. Wir vergessen viel zu schnell, wie frustrierend es sich anfühlt, wenn man einfach nur Socken überstreifen möchte und es trotz aller Anstrengung nicht schafft. Oder wenn die Eiswaffel im Supermarkt so verlockend aussieht, aber Mama und Papa einfach nicht kapieren, dass man sie JETZT haben will. Nichts enttäuscht mehr als ein Wille ohne Umsetzungsmöglichkeit.
Wollen und Können liegen im Leben oft weit auseinander, aber wohl nie mehr so spürbar wie in den ersten drei Lebensjahren. Während die rechte Gehirnhälfte, die für Gefühle zuständig ist, auf Hochtouren läuft, hinkt die linke, die Denken und Sprache steuert, noch hinterher. Kein Wunder also, dass bei einem Gefühlsausbruch die linke Seite einfach mal Feierabend macht. Deshalb benötigen Kinder in solchen Stürmen besonders unsere Unterstützung.
Der Trick? Ein Balanceakt: Freiheit gewähren, aber auch Grenzen setzen. Ein Kind muss seinen Willen ausprobieren dürfen, ohne dass es dabei das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit verliert. Wird diese Phase durch zu strenge Erziehung vermasselt, lehrt uns die Entwicklungspsychologie, droht schlimmstenfalls ein Leben als Ordnungsfanatiker: geizig mit Liebe, Zeit und Geld, besessen von Pünktlichkeit und Perfektion – und ständig von Selbstzweifeln geplagt.
Diese Aussicht verleiht vielleicht Standhaftigkeit, wenn um einen herum der nächste Gefühlstornado tobt. Und wenn gar nichts mehr hilft, denken Sie daran: Ihr Kind meint es nicht böse. Diese Phase geht vorbei, spätestens mit sechs Jahren. Oder auch nicht. Denn, mal ehrlich: Die Autonomiephase endet nie wirklich. Der Wunsch, selbst zu entscheiden, bleibt ein Leben lang. Nein! Doch! Ohhh!
Meine Lesetipps
Das Prostatakarzinom ist der häufigste bösartige Tumor bei Männern in Deutschland, allein 2022 erhielten knapp 75.000 Betroffene die Diagnose. Um Tumoren zu erkennen, zahlen gesetzliche Krankenkassen ab einem Alter von 45 Jahren einmal jährlich eine rektale Tastuntersuchung. Die Methode gilt allerdings seit Jahren als überholt. Zu häufig führt sie zu Fehlalarmen. Zu häufig schlägt sie erst an, wenn der Krebs nicht mehr heilbar ist. Wie sie ersetzt werden soll, und was Männer sonst noch über Früherkennung wissen müssen, steht in diesem Text .
Der Mai läutet traditionell die Hochzeitssaison ein. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie demnächst ebenfalls zu einer Trauung eingeladen sind, ist also gar nicht so gering. Doch was schenken zum großen Tag? Klassiker wie bestickte Servietten, luxuriöse Bettwäsche oder ein Porzellanservice, an denen nichts verkehrt ist, gelten vielen als altmodisch. Hier berichten sieben Paare über ihre wertvollsten Geschenke .
»Mein letztes stolzes Fotoshooting war im Kindergarten, als meine kindliche Beziehung zu mir noch keine Scham kannte. Die Resultate davon hängen bis heute an der Wand über dem Esstisch meiner Eltern. Danach reißt auch dort meine Sichtbarkeit ab.« Diese Passage stammt aus einem Text unserer Kolumnistin Laura Binder. In der Reihe »Ich gegen mich« schreibt sie schonungslos über ihr Leben mit Übergewicht .
Das jüngste Gericht
Beim SPIEGEL wird jetzt sehr viel mehr gekocht. Seit Mai haben wir das neue EXTRA Genuss. Jeweils freitags läutet das Format das Wochenende ein – mit kulinarischen Geschichten, Warenkunde, Produkttests und vielen Rezepten. In dieser Woche empfehle ich Ihnen Spaghetti »Don Alfonso« (der Link führt Sie auf die Seite von Effilee, das nun zum SPIEGEL gehört). Nudeln mit Tomatensoße gehen schließlich immer, egal, in welcher Phase sich die Kinder gerade befinden. Diese hier sind in unter einer halben Stunde aufgetischt, schmecken aber um Welten besser als die Mirácoli-Variante.
Mein Moment
Zu meinem Text über die Legende vom Osterhasen schrieb mir Beate Kaiser aus Limburg: »Ich finde, dass man dabei bleiben kann, dass Hühner immer noch die Eier legen. Wie Sie dann den Bogen dazu bekommen, dass der Osterhase diese mittlerweile angemalten Eier bringt, hängt von Ihnen ab. Wir haben ja auch einen Nikolaus, einen Knecht Ruprecht oder einen Beelzebub, ein Christkind und einen Weihnachtsmann, und in den Märchen können Tiere reden und es gibt Hexen und Riesen. All das belebt die Fantasie der Kinder und schafft für die Kinder an den Festtagen magische Momente, die auch uns Erwachsene bezaubern.«
Herzlich
Ihr Philipp Löwe
Die Autonomiephase: Wo kleine Rebellen groß träumen, aber an Socken scheitern
Foto: Milan_Jovic / Getty Images