»Wie schön für uns, eine neue Erziehungsaufgabe«

Eins von vielen guten Argumenten für Kinder ist ja, dass es mit ihnen nie langweilig wird. Ständig muss man sich auf Neues einstellen und im Grunde immer auf alles gefasst sein. Das hält den Kopf flexibel und den Geist fit. »Wie schön für uns, endlich eine neue Erziehungsaufgabe«, sagt meine Frau, wenn wir gerade mal wieder nicht wissen, wie uns geschieht. Also ziemlich oft.

Wobei ich nach wie vor davon überzeugt bin, dass wir in einer sehr komfortablen Lage sind, weil unser Sohn im Grunde ein umgänglicher und pflegeleichter kleiner Kerl ist. Sicher, wir hatten Probleme mit seinen Ängsten, und ich frage mich, warum er manchmal so hart zu sich ist. Aber unterm Strich stellt er uns selten vor übergroße Herausforderungen. Oder sollte ich sagen: stellte?

Im Moment durchläuft er nämlich eine, sagen wir, besonders spannende Phase. Mit leichter Verzögerung ist er in der Wackelzahnpubertät angekommen. Während er bisher ein eher ruhiges, zurückhaltendes und folgsames Kind war – vor allem in der Öffentlichkeit, aber auch zu Hause – findet er nun Gefallen daran zu widersprechen, sich über Regeln hinwegzusetzen oder am liebsten gleich seine eigenen zu machen. Mit Freude probiert er, uns herumzukommandieren, und ich bilde mir ein, dass er mit noch mehr Freude sauer wird, wenn das nicht gelingt.

Was ich beobachte, geht über die Trotzphase hinaus, über die mein Kollege Philipp Löwe kürzlich in einem Newsletter schrieb. Unser Sohn kann inzwischen ganz prima mit Türen knallen. Und wenn er mit entsprechender Laune unsere Holztreppe nach oben stapft, dürften das auch die Nachbarn auf der anderen Straßenseite hören. Er hat auch einen bunten Strauß an Beleidigungen aufgeschnappt, deren Effekt getestet werden will. Die Entwicklung ist so frisch, dass ich mir noch keine Gedanken darüber gemacht habe, wie ich adäquat reagiere. Meist schaue ich ihm einfach fasziniert zu, was ihn manchmal nur noch wütender zu machen scheint.

Natürlich ist das nicht immer so. Er kann auch wahnsinnig lieb sein, man sollte sich einfach nicht zu sehr darauf verlassen, dass das anhält.

Besonders schön finde ich die Momente, in denen seine Wutausbrüche ins herzhafte Lachen kippen, weil er entweder vergessen hat, worüber er eigentlich sauer war, oder einsieht, dass es dafür gar keinen echten Grund gibt. Dann lache ich gern mit. Doch auch wenn er brüllt oder erst brüllt und dann schmollt, hält die schlechte Laune nie besonders lang an. Im Anschluss wird er dann schmusig. Und auch das ist schön.

Was mir bislang nicht gelingt: Mit ihm über seine Gefühlsausbrüche zu sprechen. Mitten in der Situation ist das ohnehin unmöglich, weil er dann immun ist gegen irgendwelche Fragen oder klaren Gedanken. Und später scheint er schon wieder vergessen zu haben, wie es ihm in dem Moment ging. Zumindest möchte er sich dazu nicht äußern. Ich versuche ihn zu locken, indem ich ihm erzähle, was ich so fühle oder in einer bestimmten Situation gefühlt habe. Bisher steigt er nicht darauf ein, aber vielleicht kommt das noch.

Wirkliche Erklärungen für sein Verhalten brauche ich ohnehin nicht. Die liefern einschlägige Elternratgeber zur Genüge. Daher weiß ich unter anderem, dass man meinen könnte, unser Sohn sei ein bisschen spät dran. Schließlich wird die Wackelzahnpubertät auch Sechs-Jahres-Krise genannt – und da ist er schon ein Stück drüber hinaus. Auf der anderen Seite wissen die Ratgeber auch, dass Jungs (wie in so vielen Dingen) später dran sein können als Mädchen. Zudem können seine mittlerweile glücklicherweise überwundenen Ängste nur andere Symptome und Vorläufer der jetzigen Stimmungsschwankungen gewesen sein.

Im Grunde zeigt uns unser Sohn nur: Hui, hier verändert sich ganz schön viel. In mir und um mich herum. Und das ist nicht nur fein beobachtet, sondern ja auch gut und richtig so. Der Begriff Wackelzahnpubertät ist übrigens irreführend, denn mit Hormonen hat das alles nichts zu tun. Der kleine Kerl wird einfach groß. Er entwickelt mehr Autonomie und Selbstbewusstsein. Und wir dürfen dabei sein und verständnisvoll zugucken. Viel mehr können wir nämlich ohnehin nicht tun. So schwer ist das gar nicht mit der Erziehung.

Wie ist oder war das bei Ihnen? Erinnern Sie sich an Momente, in denen Ihre Kinder Emotionen gezeigt haben, die sie vorher nicht kannten? Und wie sind Sie damit umgegangen? Sind oder waren Sie ähnlich überrascht wie ich? Schreiben Sie mir gern eine Mail mit dem Betreff »Wackelzahnpubertät« an familiennewsletter@.de .

Meine Lesetipps

Auch wenn wir mit unserem Sohn schon ziemlich viel erlebt haben und jeden Tag Neues erleben, ist es schön, daran zu denken, was alles noch kommt. Unter anderem wartet ja noch die richtige Pubertät auf uns, wenn sich wirklich die Hormone einschalten. Zum Glück bin ich darauf dank vieler kluger Kolleginnen und Kollegen gut vorbereitet. Etwa durch diesen Text unserer Kolumnistin Fatma Mittler-Solak .

Sagen Sie Ihrem Kind auch manchmal, dass Sie gerade keine Zeit oder Lust zum Spielen haben und werden anschließend vom schlechten Gewissen geplagt? Dann habe ich eine gute Nachricht für Sie: Es ist alles halb so schlimm. Das sagt die Erziehungswissenschaftlerin Bettina Lamm in diesem Text meiner Kollegin Hanna Zobel. Kinder brauchen fürs Spielen nämlich keine Erwachsenen. Hanna hat alles Wichtige zusammengetragen, was Sie über das Thema wissen müssen.

Bei der Erziehung geht es auch darum, sich in andere hineinzuversetzen und die Gefühle anderer zu verstehen. Deswegen möchte ich Ihnen noch diesen Artikel meiner Kollegin Veronika Hackenbroch  empfehlen, der mich sehr berührt hat. Darin erklärt die Autistin Karena Beissert, wie sie die Welt wahrnimmt. Veronika hat die persönlichen Erzählungen durch wichtige Informationen rund ums Thema Autismus ergänzt. Herausgekommen ist ein herausragender Text.

Mein Buchtipp

Eigentlich empfehle ich an dieser Stelle gern Bücher, die Sie mit Ihren Kindern gemeinsam lesen können. In dieser Woche bin ich bei der Recherche zum Thema Wackelzahnpubertät auf ein Fachbuch gestoßen, dessen Titel mich so sehr abholt, dass ich es Ihnen unbedingt ans Herz legen wollte. »Immer darf ich alles nie! Erste Hilfe für Familien, die die Phase voll haben« von Matthias Jung. Vielversprechender kann ein Ratgeber nicht klingen.

Das jüngste Gericht

In dieser Woche muss ich Ihnen einfach Eier in Senfsoße empfehlen. Und das nicht, weil ich sie besonders gern essen würde. Ehrlicherweise können Sie mich damit jagen. Aber die Geschichte meiner Kollegin Philine Gebhardt zu dem Thema ist einfach so gut, dass ich jetzt ernsthaft überlege, nicht vielleicht doch mal ein paar Senfeier zuzubereiten und zu essen. Für Philine. Und für die Völkerverständigung. Den Artikel mit der Geschichte und einem Rezept finden Sie hier im aktuellen SPIEGEL Extra Genuss .

Mein Moment

Wir schreiben – aus guten Gründen – oft darüber, wie schwer es ist, in Deutschland wirklich gleichberechtigt zu leben und sich die Aufgaben in der Familie möglichst gleich und gerecht zu teilen. Umso schöner ist es, wenn uns Zuschriften wie diese erreichen, in denen Paare davon berichten, dass sie es schaffen.

»Wir haben das tatsächlich gemacht, wovon viele nur sprechen.

Wir versuchen seit der Geburt unseres Sohnes im Januar 2024 Gleichberechtigung, soweit dies im Rahmen des Alltags möglich ist, zu leben.

Das bedeutet für mich als Frau, dass ich nach drei Monaten wieder angefangen habe zu arbeiten. Das bedeutet aber auch für meinen Mann, dass er im Gegensatz zu vielen anderen Männern viel Zeit mit seinem Sohn verbringen konnte, beziehungsweise verbringen kann. Ich habe gestillt/Muttermilch abgepumpt und dafür die gesetzlichen Regelungen beim Arbeitgeber eingefordert.

Mein Mann hat unserem Sohn in der Zeit, in der ich gearbeitet habe, Muttermilch gegeben. Wir haben uns die Hausarbeit geteilt, beziehungsweise tun es auch immer noch, und auch die Kindererziehung mit dem Besuch von verschiedensten Krabbelkursen versuchen wir partnerschaftlich aufzuteilen. Das bedeutet auch, dass jeder unabhängig voneinander abends oder auch tagsüber Zeit mit seinen Freunden bekommen kann und wir uns so auch »me-time« einräumen.

Als wir unsere Ideen mit der Familie und auch beim Arbeitgeber geteilt haben, stießen wir auf Verständnis. Steine wurden uns eigentlich nicht in den Weg gelegt, aber dass das Modell tatsächlich klappt und dass wir damit auch zufrieden sind, damit hat, glaube ich, keiner so richtig gerechnet.

Mir/uns ist wichtig, dass es eben nicht nur den einen Weg gibt.

Wir haben beide Elterngeld plus bezogen. Netto standen wir nur 200 Euro schlechter da, als hätte eine Person voll gearbeitet und eine Person wäre voll zu Hause geblieben. Bei unserem Modell konnten wir so aber, bedingt durch die maximale erlaubte Arbeitszeit unter Elterngeld plus Bezug, auch über ein Jahr einen gemeinsamen freien Tag haben, der uns beim klassischen Modell nicht möglich gewesen wäre. Viele wissen nicht um die rechtlichen Möglichkeiten, die das Gesetz sowohl der Frau als auch dem Mann ermöglicht (Kündigungsschutz, Teilzeit in Elternzeit, Stillzeiten mit entsprechenden Räumlichkeiten, Bezug von Elterngeld plus).

Dadurch, dass wir beide in Teilzeit gearbeitet haben, haben wir beide immer Veränderungen bei Projekten im Job mitbekommen. Das wäre nach einer vollen Pause einer Person anders gewesen.

Ich wollte dies einfach nur einmal loswerden, weil immer wieder davon gesprochen wird, dass eine vollständige Gleichberechtigung nicht möglich ist. Ich würde sagen, wir haben eine Gleichberechtigung von 51 und 49 % hinbekommen. Und das liegt nur daran, dass mir als Frau nun einmal die Brüste gewachsen sind.«

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und eine gute Zeit mit Ihrer Familie!

Herzlich,
Ihr Malte Müller-Michaelis

Verzweifelter Junge: Keine Angst, Stimmungsschwankungen bei Kindern sind ganz normal (Symbolbild)

Foto:

Westend61 / Getty Images

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