Dieses Wochenende hatte ich herbeigesehnt: Die Mama verreist und ich drei Tage allein mit unserer Tochter. Endlich würden wir mal wieder ununterbrochen gemeinsam Zeit verbringen, so wie damals während meiner Elternzeit. Nur sie, ich und 72 Stunden voller Möglichkeiten für kleine und große Papa-Tochter-Momente.
Gleichzeitig hatte ich ein wenig Bammel, was ich natürlich geleugnet habe. Würde ich alles allein hinbekommen? Was, wenn mein Kind zu seiner Mutter möchte, die dann weit weg sein würde? Drei Tage können lang sein, wenn die Stimmung kippt: 72 Stunden voller Sehnsucht und Tränen.
Um es kurz zu machen: Wir hatten einen Heidenspaß. Papa hat aber auch alle Register gezogen: Schwimmbad, niedliche Tiere, unverschämte Mengen Eiscreme, Spielplatz-Action und Karussellfahren auf dem Rummel. Außerdem waren die Umstände günstig: Ich musste nicht arbeiten und dank cleverer Planung (und liebevoller Nachbarn) wenig kochen.
Trotzdem war ich am Sonntagabend heilfroh, als meine Frau wieder da war. Solch ein Programm kann kein Mensch länger durchhalten – außer vielleicht Superhelden oder Leute, die für den Ironman trainieren, dachte ich mir, als das Kind bereits im Bett war und ich ermattet daneben lag. Doch viele Eltern haben keine andere Wahl.
In Deutschland gibt es laut Statistischem Bundesamt etwa 2,8 Millionen Familien mit alleinerziehenden Elternteilen. Das ist fast jede vierte Familie. Der Großteil dieser Eltern sind Mütter. Sie – und die wenigen alleinerziehenden Väter – machen alles allein: Erziehung, Bildung, Bürokratie, Finanzen. Sie jonglieren nicht nur mit Bällen, sondern oft auch mit Existenzängsten. Nebenbei räumen sie vermutlich noch die Spülmaschine aus.
Anne Bormann weiß, wovon die Rede ist. Als Pädagogin und Familienberaterin kennt die 32-Jährige die Herausforderungen von Alleinerziehenden aus erster Hand. Bormann war gerade mit ihrem dritten Kind schwanger, als ihre Beziehung zerbrach. Damals nahm sie sich vor: »Ich kann alles genauso schaffen wie mit Partner. Bei manchen Dingen hole ich mir Hilfe, andere benötigen etwas mehr Zeit, schlussendlich lasse ich mich niemals einschränken, nur weil ich alleinerziehend bin.«
Heute arbeitet Bormann wieder als Kindergärtnerin und coacht Familien , denen es ähnlich geht. Daher habe ich sie gebeten, mir ein paar ihrer Überlebensstrategien zu verraten. Ihr erster Tipp: »Entlastet euer Familiensystem, indem ihr Hilfe annehmt und Strukturen schafft, die zu eurem Leben passen.«
Alltag mit Kindern bedeutet für Bormann, »ehrlich hinzuschauen und zu reflektieren, ob wir ihn so meistern können, wie er ist – oder ob es an manchen Stellen Unterstützung braucht«. Familie sei nicht dafür gemacht, dass wir alles allein schaffen. Sie habe außerdem gelernt, loszulassen und Prioritäten zu setzen.
Ihr selbst helfen einfache Routinen, »ein Wochenplan und To-do-Listen, die ich abarbeiten kann, um den Überblick zu behalten«. Das gemeinsame Frühstück und Abendbrot sind feste Rituale im Leben mit ihren drei, fünf und sieben Jahre alten Kindern – Momente, in denen die Familie zusammenkommt und durch Gespräche den Tag teilt.
Ihr Sohn sagte zum Beispiel neulich zu ihr: »Immer wenn es für mich schwierig ist, bist du für mich da.« Momente wie dieser zeigten ihr, dass sie ihr Leben mit Kindern meistert. »Das Ziel ist«, so Bormann, »dass Eltern und Kinder an ihrer Beziehung wachsen und auch in schwierigen Zeiten verbunden bleiben.«
Echte Verbindung statt perfektes Familienleben
Echte Verbindung zeigt sich für Bormann, »wenn Kinder sich trauen, mit allen Gefühlen zu uns zu kommen – Freude, Wut, Traurigkeit – und wissen, dass sie gehört werden«.
Um eine gute Eltern-Kind-Beziehung aufzubauen, sei es essenziell, allen ein Gefühl der Sicherheit und der Verbundenheit zu geben. »Und dass alle Familienmitglieder auch Autonomie leben dürfen.« Entscheidend ist für die Familienberaterin die emotionale Präsenz zwischen Eltern und Kindern: »Es geht nicht darum, dass es immer perfekt und ohne Konflikte abläuft, sondern in Kontakt zu bleiben.«
Doch wie schafft es Bormann, inmitten all der Herausforderungen auch für sich selbst zu sorgen? »Der erste Schritt ist immer: Meine Grundbedürfnisse ernst nehmen – Schlaf, Bewegung, Ernährung, wenig Bildschirmzeit.« Sie schöpfe zudem Kraft aus ihrer Arbeit sowie aus kleinen Erholungsinseln, wie einem ruhigen Kaffee allein oder einem Konzertabend.
In diesem Sinne: Schnaufen Sie kurz durch und gönnen sich was!
Sie sind auch alleinerziehend? Welche Tipps und Kniffe retten Ihren Alltag? Schreiben Sie mir gern an: familiennewsletter@.de . Einige Ihrer Antworten möchten wir gern veröffentlichen – auf Wunsch auch anonym.
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Das jüngste Gericht
Passend zum Thema dieses Newsletters gibt es diese Woche einen kulinarischen Seelentröster, der Fast Food imitiert. Mit den Nahrungsimitaten aus der Systemgastronomie hat unser Fried Chicken aber nur die kurze Zubereitungszeit gemein. Dazu gibt es mit süßer Chilisauce und Limetten verfeinerte Mayonnaise. Da wird das Huhn in der Pfanne verzückt. (Nicht wundern, der Link führt zu Effilee.de. Die Marke gehört zum SPIEGEL.)
Mein Moment
Zu meinem vergangenen Newsletter haben mich ungewöhnlich viele Zuschriften erreicht. Anscheinend haben sehr viele Familien dieses Problem. Zwei Perspektiven möchte ich an dieser Stelle mit Ihnen teilen.
Ein Vater, der lieber anonym bleiben möchte, schrieb mir: »Wenn man die alte, patriarchale Rollenverteilung auch während der Elternschaft vermeiden möchte, müssen die Väter Wege finden, von Beginn an voll dabei zu sein, und zwar nicht nur aushelfend an der Spülmaschine, sondern direkt bei der Fürsorge und körperlichen Nähe. […] Das müssen aber auch beide wirklich wollen und zulassen. Es stellt nämlich auch die herausgehobene traditionelle Mutter-Rolle infrage. Beide müssen ihre Rollen neu finden. Ich bin überzeugt, dass das langfristig für Vater, Mutter und Kinder am besten ist.«
Eine alleinerziehende Mutter schrieb mir: »Ja, es ist viel und häufiger auch zu viel, wenn man immer und alles allein machen muss. Aber es hat auch Vorteile: Die Aufgabenverteilung ist klar, der Umfang auch, niemand ist enttäuscht oder fühlt sich zurückgesetzt. Man muss (und kann) nichts diskutieren, alles allein nach Gusto entscheiden, trägt dafür aber auch alle Konsequenzen. Es ist also nicht alles zu bedauern. Erleichternd wirkt es sich aus, wenn man keine finanziellen Sorgen hat (was ja ganz allgemein und für alle Menschen gilt) und sich bei Bedarf Hilfe »dazu buchen« kann, also etwa eine Haushaltshilfe oder Kinderbespaßung. Leider sind nur wenige Alleinerziehende in einer solchen Position finanzieller Sorgenfreiheit. Das macht es oft besonders schwer.«
Herzlich,
Ihr
Philipp Löwe
Alleinerziehende mit Kind auf dem Arm: alle Hände voll zu tun
Foto:Willie B. Thomas / Getty Images
Fried Chicken: Weil Salat nicht alle Probleme löst
Foto: Matthew Mead/ AP/dpa