Junge Erwachsene sind heute unglücklicher als früher

Das psychische Wohlbefinden des Durchschnittsmenschen galt lange Zeit als berechenbar: Wer jung ist, ist häufiger glücklicher. Dann, so war es noch vor wenigen Jahren, nimmt die mentale Gesundheit bis zu einem Alter von etwa 50 Jahren ab. Kinder, Karriere, möglicherweise auch noch die Pflege der Eltern, all das belastet. Bis es ab 50 wieder aufwärtsging. Das galt laut Studien nicht nur in Industrie-, sondern auch in Entwicklungsländern.

Neue Daten einer Studie, die aktuell im Fachmagazin »Plos One« veröffentlicht wurden , stellen diese Erkenntnisse jedoch infrage. Demnach sind junge Erwachsene, also Menschen zwischen 18 und 24 Jahren, heute im Schnitt deutlich unglücklicher, als sie es noch vor ein paar Jahren waren. In den anderen Altersgruppen hat sich nicht so viel geändert. Die U-Kurve scheint nicht mehr zu gelten. Stattdessen geht es den Menschen erst im Alter mental besser, die jungen Erwachsene sind sogar am unzufriedensten.

Die Ergebnisse decken sich mit denen weiterer Untersuchungen. Auch in Deutschland kam eine Analyse des Robert Koch-Instituts kürzlich zum Schluss, dass fast 40 Prozent der 18- bis 29-Jährigen ihr psychisches Wohlbefinden als gering einstufen. Bei den 65- bis 79-Jährigen lag der Wert nur bei etwa 17 Prozent.

Daten von Millionen Menschen weltweit

Für die Auswertung, die aktuell zu Schlagzeilen führt, analysierte ein internationales Forscherteam Befragungen von Hunderttausenden Erwachsenen aus Großbritannien und den USA. Außerdem zogen sie Daten der sogenannten Global-Minds-Studie hinzu, die von fast zwei Millionen Menschen aus 42 weiteren Ländern stammten.

Die Ergebnisse zeigten für die USA und Großbritannien, dass »psychische Probleme bei jungen Menschen am häufigsten auftreten und mit zunehmendem Alter abnehmen«, schreiben die Autorinnen und Autoren. »Dies ist eine enorme Veränderung gegenüber der Vergangenheit, als psychische Probleme ihren Höhepunkt im mittleren Alter erreichten.« Ihre Auswertung spreche außerdem dafür, dass es sich um ein weltweites Phänomen handle.

Zumindest in den USA scheint die Entwicklung relativ neu zu sein: Bei den gemittelten Daten ergab sich für die Zeitspanne von 2009 bis 2018 noch der bekannte Verlauf mit einem Tief in der Lebensmitte beim psychischen Wohlbefinden. Die Daten für die Zeitspanne von 2019 bis 2024 hingegen zeigen die neue Tendenz hin zur späteren Zufriedenheit.

Die Ergebnisse der Studie seien »sehr besorgniserregend«, findet auch der Makroökonom und Glücksforscher Karlheinz Ruckriegel von der Technischen Hochschule Nürnberg, er war selbst nicht an der Untersuchung beteiligt. Andere Studien hätten ähnliche Tendenzen gezeigt. »Die Evidenz ist schlagend«, sagt er.

Weshalb aber schneiden jüngere Erwachsene bei den Studien heute so viel schlechter ab, als es noch vor einigen Jahren der Fall war?

Die Rolle der sozialen Medien

»Die Gründe für diese Veränderung sind umstritten, aber wir sind besorgt, dass es heute eine ernsthafte Krise der psychischen Gesundheit unter jungen Menschen gibt, die angegangen werden muss«, schreiben Studienautor David Blanchflower vom Dartmouth College in Hanover (USA) und seine Kollegen.

Sie sehen drei mögliche Ursachen für die beobachteten Effekte:

  • langfristige Nachwirkungen der Finanzkrise auf jüngere Generationen auf dem Arbeitsmarkt,

  • Auswirkungen der Beschränkungen während der Coronapandemie sowie

  • die Auswirkungen der von Jüngeren viel genutzten sozialen Medien.

Eine übermäßige Nutzung sozialer Medien bewertet auch Ruckriegel als großen Einflussfaktor. Jugendliche würden sich dort ständig vergleichen, mit anderen oder mit unrealistischen Idealen. »Wir wissen, dass diese Vergleiche hochproblematisch sind für unser Wohlbefinden.«

Die Soziologin Hilke Brockmann von der Bremer Constructor Universität sieht das ähnlich. Ihr zufolge könnten soziale Medien auch erklären, warum Mädchen und junge Frauen häufig besonders unzufrieden sind. Dort würden Mädchen oft auf ihre Optik reduziert oder sexualisiert.

Darüber hinaus provozierten die Netzwerke, dass sie sich nicht nur mit den Mädchen aus der eigenen Clique verglichen, sondern mit weit mehr Menschen, auch mit Figuren, die es so real gar nicht gebe. »Die ganze Welt wird zu meiner Peer Group. Der Druck, sich anzupassen und zu bestehen, ist brutal«, erklärt die Wissenschaftlerin.

Daneben sehen sowohl Brockmann als auch Ruckriegel einen großen Einfluss der Coronapandemie. Auch halten es beide für wahrscheinlich, dass die düstere, unberechenbare Weltlage mit Kriegen und Klimakrise einen Einfluss auf die Entwicklung hat.

Die Zukunftshoffnung bleibt

Die aktuellen Daten reichen nicht aus, um längerfristige Veränderungen abzulesen. Laut Brockmann ist es zumindest denkbar, dass sich diese beobachteten Effekte nur auf eine Kohorte von jungen Menschen beschränken, etwa auf diejenigen, die in der Coronazeit in der Pubertät waren und besonders stark unter den Beschränkungen gelitten haben.

»Deshalb weiß man jetzt nicht: Werden die Jüngeren auch in Zukunft eine labilere mentale Gesundheit haben oder ist das vielleicht nur ein vorübergehendes Phänomen? Letzteres wäre meine Vermutung – und Hoffnung«, so Brockmann.

Das Forschungsteam, das die aktuellen Daten ausgewertet hat, mahnt hingegen zur Vorsicht. Die Entwicklung habe sowohl in den USA als auch in Großbritannien schon vor der Pandemie begonnen, schreiben sie. Die Pandemie habe die Entwicklung nur verstärkt.

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