Die dreifache Dosis des Abnehmspritzen-Wirkstoffs Semaglutid erhöht bei Menschen mit Adipositas den Gewichtsverlust, belegen zwei neue Studien. Mit einer Dosis von 7,2 Milligramm Semaglutid pro Woche sank nicht nur das Körpergewicht signifikant stärker als mit der bereits zugelassenen Standarddosierung von 2,4 Milligramm. Auch besserten sich im Schnitt bei höherer Dosierung Blutdruck, Taillenumfang, Blutzuckerwerte sowie verschiedene Blutfettwerte und Entzündungsmarker. Allerdings nahmen bei dreifacher Dosierung auch die Nebenwirkungen zu, etwa Übelkeit und Durchfall.
Bei den zwei Studien handelt es sich um sogenannte Phase-IIIb-Studien, die im Fachjournal »The Lancet Diabetes & Endocrinology« erschienen sind. Solche Studien werden durchgeführt, um zum Beispiel bereits bestehende Zulassungen zu erweitern. Finanziert wurden beide Studien vom Semaglutid-Hersteller Novo Nordisk. Bisher sind Spritzen mit maximal 2,4 Milligramm Semaglutid unter dem Handelsnamen Wegovy erhältlich. Der ursprünglich gegen Typ-2-Diabetes entwickelte Wirkstoff ahmt ein körpereigenes Hormon nach und senkt so das Hungergefühl und auch den Blutzucker.
Die größere der beiden Studien umfasste 1407 Erwachsene ohne Typ-2-Diabetes mit einem Body-Mass-Index ab 30. Nach dem Zufallsprinzip wurden die stark übergewichtigen Personen in drei Gruppen aufgeteilt und erhielten ein Jahr lang einmal pro Woche entweder die Standarddosis Semaglutid, die dreifache Dosis oder ein Placebo. Zuvor wurde die jeweilige Zieldosierung über 20 Wochen aufgebaut, sodass sich ein beobachteter Behandlungszeitraum von fast anderthalb Jahren ergab. Alle Teilnehmenden erhielten zusätzlich eine Lebensstilberatung.
Dreifache Dosis führt nicht zu dreifacher Wirkung
Wer die dreifache Dosis Semaglutid erhielt, verlor im Mittel mehr als 20 Kilogramm Körpergewicht. Mit der Standarddosis waren es rund drei Kilogramm weniger. Das entsprach 18,7 Prozent und 15,6 Prozent Gewichtsabnahme. Die Placebogruppe reduzierte ihr Gewicht im Mittel um 4,6 Kilogramm (rund vier Prozent). Mit der Höchstdosis von 7,2 Milligramm Semaglutid verlor fast die Hälfte mindestens ein Fünftel ihres vorherigen Körpergewichts. Dies gelang mit der Dosis von 2,4 Milligramm nur einem Drittel und in der Placebogruppe weniger als drei Prozent.
Mehr Semaglutid führte also zu deutlich mehr Abnahme. Doch andere positive Effekte nahmen mit höherer Semaglutid-Dosis mitunter nur gering zu: Der Blutdruck besserte sich mit dreifacher Dosis nur ein wenig stärker, einzelne Blutfettwerte zeigten sogar keine zusätzliche Besserung, auch der Blutzucker unterschied sich im Mittel nur minimal bei höher dosiertem Semaglutid.
Dafür nahmen bereits bekannte Nebenwirkungen durchweg zu, wenngleich in moderatem Maß. Bei dreifacher Dosis traten Übelkeit und Durchfall in der Studie um fast zehn Prozentpunkte häufiger auf (70,8 versus 61,2 Prozent). Auffällig war aber vor allem, dass in dieser Gruppe sogenannte Dysästhesien prozentual fast viermal häufiger auftraten als bei Standarddosierung (22,9 versus 6 Prozent). Dysästhesien sind unangenehme Hautempfindungen wie Kribbeln, Brennen oder Taubheitsgefühle. Aufgrund solcher Nebenwirkungen reduzierten Menschen in der Gruppe, die 7,2 Milligramm Semaglutid gespritzt bekam, häufiger die Dosis (18,5 versus 12,4 Prozent). Insgesamt waren schwere Nebenwirkungen, die eine Krankenhauseinweisung erforderlich machten, selten und konnten nicht eindeutig auf das Medikament zurückgeführt werden.
Die zweite, kleinere Studie wiederholte die Untersuchung der verdreifachten Standarddosis von 7,2 Milligramm nun für stark übergewichtige Menschen mit Typ-2-Diabetes. Hier fiel die Gewichtsabnahme im Mittel etwas geringer aus. Ansonsten ähneln sich die Ergebnisse beider Studien weitestgehend.
Was bedeuten die Ergebnisse?
Die Forschenden betonen zwar, dass in der größeren Studie Frauen deutlich überrepräsentiert waren und auch, dass der Zeitraum der Nachbeobachtung begrenzt war. Jedoch kommen sie zu dem Schluss, dass eine höhere Dosierung von Semaglutid als die bisher verfügbaren 2,4 Milligramm sinnvoll sein kann und sicher ist. Eine Dosis von 7,2 Milligramm biete eine zusätzliche Therapieoption vor allem für die Menschen, die mit der aktuellen Standarddosis ihre Ziele nicht erreichten.
Unbeteiligte Fachleute hingegen bewerten die Ergebnisse verhaltener. Sie sehen zwar einerseits die grundsätzlichen Vorteile einer höheren Dosierung von Semaglutid. So spricht etwa Timo Müller vom Institut für Diabetesforschung des Helmholtz-Zentrums München von einer »nennenswerten Steigerung der Gewichtsabnahme«, die erhöhte Dosis stelle »einen deutlichen Mehrwert« auch für Betroffene ohne Diabetes dar. Andererseits: »Der Zusatzeffekt der dreifachen Dosis ist vorhanden, aber nicht riesig«, sagte Stefan Kabisch dem Science Media Center. Er ist Studienarzt an der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin der Berliner Charité.
Gleich mehrere Experten betonen: Der zusätzliche Nutzen werde durch mehr Nebenwirkungen »erkauft«. Dies müsse man gut gegeneinander abwägen. Im direkten Vergleich wäre eine Semaglutid-Dosis von 7,2 Milligramm bereits vorhandenen Alternativen tendenziell unterlegen.
Daher fasst es Stephan Martin, Chefarzt für Diabetologie und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums in Düsseldorf, so zusammen: »Aus ärztlicher Sicht steht die etwas stärkere Gewichtsabnahme der Dosiserhöhung von Semaglutid zu den dadurch erkauften Nebenwirkungen in keinem Verhältnis.« Es stelle sich vielmehr die Frage, wieso man die Semaglutid-Dosis überhaupt erhöhen sollte, wenn man mit dem Wirkstoff Tirzepatid bei »deutlich besserer Verträglichkeit« mindestens genauso gute Ergebnisse bei Gewicht und Blutzucker erzielen könne.