Merz fehlt die Sprache gegenüber Erdoğan

Ignorieren geht nicht

Fast auf den Tag genau vor neun Jahren nahmen türkische Polizisten den Oppositionspolitiker Selahattin Demirtaş, damals Co-Vorsitzender der linken, prokurdischen Partei HDP, fest. Sie sperrten ihn in ein Hochsicherheitsgefängnis in der Stadt Edirne, wo er bis heute gefangen gehalten wird – trotz der Aufforderung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs an die Türkei, ihn freizulassen. Bundeskanzler Friedrich Merz hat sich zu dem Fall Demirtaş bis heute nicht wirklich positioniert, so wie er auch die Verhaftung des Istanbuler Oberbürgermeisters Ekrem İmamoğlu vergangenen März nicht groß angeprangert hat (mehr zu dem Fall hier ).

Auch Angela Merkel und Olaf Scholz hielten sich mit Kritik an Präsident Recep Tayyip Erdoğan häufig zurück. Die Sprachlosigkeit des Kanzlers Merz ragt trotzdem heraus – nicht zuletzt, weil sich der Demokratieabbau in der Türkei in den vergangenen Monaten weiter verschärft hat. Erdoğan folgt inzwischen mehr oder weniger offen dem russischen Modell, wonach der Machthaber entscheidet, wer bei Wahlen gegen ihn antreten darf, analysiert unsere Türkeiexpertin, Anna-Sophie Schneider.

Merz war bislang peinlich darum bemüht, Erdoğan nicht zu verprellen. Er ist offenbar überzeugt davon, den türkischen Staatschef zu brauchen, etwa in der Flüchtlingspolitik, bei dem Bemühen um Frieden in Gaza oder als Partner in der Nato gegen Russland. Unter türkischen Oppositionellen ist der Eindruck entstanden, im Kampf um die Demokratie von Deutschland im Stich gelassen zu werden.

Merz hat die Chance, diese Wahrnehmung zu korrigieren, etwa indem er bei seinem Treffen mit Erdoğan heute die Fälle Demirtaş und İmamoğlu deutlich anspricht. Meine Kollegin Marina Kormbaki, die mit dem Kanzler nach Ankara gereist ist, hält das für »eher unwahrscheinlich«. Sie sagt: »Es soll ein netter, ein freundlicher Antrittsbesuch werden. Da wären Einlassungen zur türkischen Innenpolitik nicht hilfreich, glaubt man im Kanzleramt.«

  • Mehr Hintergründe hier: Deutschland und die Türkei streben engere Zusammenarbeit an

Handschlag zwischen Trump und Xi

Bislang lief Donald Trumps Asienreise ganz nach dem Geschmack des US-Präsidenten (mehr dazu hier ): Bei der Ankunft in Malaysia tanzte er auf dem Rollfeld. Die Südkoreaner überreichten ihm als Geschenk eine Krone. In Japan gab es Kirschbäume als Gastgeschenk (hier mehr zum Thema).

Der wichtigste Termin fand dann am Donnerstagvormittag Ortszeit statt. Am Rande des Gipfels der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (Apec) kamen Trump und Chinas Präsident Xi Jinping zusammen. China und die USA liefern sich seit Monaten einen Handelskonflikt. Beide Länder hatten Importe aus dem jeweils anderen Land zwischenzeitlich mit Aufschlägen von mehr als 100 Prozent belegt.

Doch nach Konflikt sah es bei dem Termin in der Stadt Busan zunächst gar nicht aus. Betont freundlich traten beide Präsidenten vor dem persönlichen Gespräch vor die Kameras. Xi sagte wenig später, zwar seien beide Seiten nicht immer einer Meinung, und Reibungen zwischen den beiden führenden Volkswirtschaften der Welt seien ab und an normal.

Trump wiederum erklärte, er gehe davon aus, dass man für eine lange Zeit eine »fantastische Beziehung« haben werde. Er lobte Xi als einen großartigen Führer eines großartigen Landes.

Dann ging es für rund 100 Minuten ins Gespräch, die Medien mussten draußen bleiben. Der Termin wurde auf die Minute pünktlich beendet, dann machten sich beide Staatschefs ohne Stellungnahme auf den Weg zu ihren jeweiligen Flugzeugen.

Der straffe Ablauf spricht dafür, dass das Treffen gut vorbereitet war, so Georg Fahrion, SPIEGEL-Korrespondent in Peking. Er sagt: »Zumindest ihre Körpersprache ließ darauf schließen, dass der Gipfel in etwa nach ihren Vorstellungen verlaufen sein könnte. Details ihrer Abmachungen werden allerdings erst in den kommenden Stunden veröffentlicht.«

  • Mehr Hintergründe hier: Trump und Xi treffen sich in Südkorea – freundliche Worte zum Auftakt

Dieter S. – Spion oder Aufschneider?

Als Dieter S. im Juni zum ersten Mal vor dem Münchner Oberlandesgericht erschien, da wurde er von Polizisten mit Helmen und Sturmmasken in den Saal begleitet. Der Generalbundesanwalt wirft dem 40 Jahre alten Deutschrussen aus Bayreuth vor, vor zehn Jahren für prorussische, paramilitärische Einheiten im Donbass gekämpft zu haben (mehr hier). Später soll er für den russischen Militärgeheimdienst GRU Industrieanlagen, Gleise und Militärtransporte in Deutschland ausgespäht haben. Er fordert acht Jahre und acht Monate Haft. Dieter S.’ Anwalt hingegen behauptet, sein Mandant habe die Spionage lediglich vorgetäuscht, um sich den Behörden als V-Mann anzudienen.

Wenn an diesem Donnerstag das Münchner Gericht sein Urteil fällt, dann geht es nicht nur um die Frage, ob Dieter S. ein Aufschneider war, wie sein Anwalt behauptet. Oder eben ein Handlanger des Regimes in Moskau, der ohne Ausbildung in Europa spionierte, ein sogenannter »Low Level Agent«. Es geht auch darum, wie sich Deutschland gegen die immer aggressivere hybride Kriegsführung des russischen Machthabers Wladimir Putin wehrt.

Putin fordert den Westen heraus, indem er Kampfjets und Drohnen in den Nato-Lufttraum schickt (dazu mehr hier ), in Wahlen eingreift, wie zuletzt in Moldau, Cyberattacken befiehlt. Dagegen hilft nur Entschlossenheit. Deutschland und Europäer müssen die Gefahr, die von Putins Russland ausgeht, ernst nehmen. Sie müssen mutmaßliche Handlanger des Regimes zur Rechenschaft ziehen und sich gegen weitere Attacken wappnen.

  • Mehr Hintergründe hier: Er habe für Russland spioniert, sagt die Staatsanwaltschaft – er wollte sich nur wichtig machen, sagt der Angeklagte 

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Verlierer des Tages…

…sind die Journalistinnen und Journalisten von Radio Free Asia, die an diesem Donnerstag ihren vorerst letzten Arbeitstag bestreiten.

Seit fast drei Jahrzehnten war der US-Sender in einer Vielzahl von asiatischen Ländern, in denen die Pressefreiheit eingeschränkt ist, wie Vietnam oder Myanmar, ein unverzichtbarer Bestandteil des journalistischen Angebots. Nun fällt er den generellen Kürzungen durch die Trump-Regierung sowie der Haushaltssperre zum Opfer. Ob Radio Free Asia nach Ende des Shutdowns noch einmal auf Sendung geht, ist fraglich. Eine wichtige Stimme in Asien würde dann endgültig verstummen.

  • Verstummt die Stimme Amerikas? 

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

  • Rechter Populist Wilders holt auf – Kopf-an-Kopf mit linksliberalen Demokraten: Wer gewinnt die Wahl in den Niederlanden? Zuletzt lag die sozialliberale Mitte-Partei D66 vorn. Doch die jüngsten Hochrechnungen zeigen eine Aufholjagd der rechtspopulistischen Partei für die Freiheit.

  • Trump genehmigt Südkorea Bau von atomgetriebenem U-Boot: Der US-Präsident lobt das Militärbündnis mit Südkorea – es sei nie stärker gewesen. Nun will er dem asiatischen Land den Bau eines atomgetriebenen U-Boots gestatten. Produziert werden soll in Philadelphia.

  • Italiens Rechnungshof verweigert Genehmigung für Melonis Megabrücke: Die längste Hängebrücke der Welt soll das italienische Festland mit Sizilien verbinden. Der Rechnungshof will das Prestigeprojekt jedoch so nicht absegnen. Regierungschefin Meloni kritisiert eine »unerträgliche Einmischung«.

Heute bei SPIEGEL Extra: »Wollen Sie mit 65 einen Herzinfarkt haben oder mit Ihren Enkeln spielen?«

Die Leber ist entscheidend dafür, ob man gesund alt wird, sagt der Mediziner Ali Canbay. Hier erklärt er, was das Organ entlastet und was man unbedingt vermeiden sollte .

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihr Maximilian Popp, stellvertretender Ressortleiter Ausland

Landung in Ankara: Friedrich Merz wird auf seiner Türkeireise von Ehefrau Charlotte begleitet

Foto: Michael Kappeler / dpa

Trump bei der Ankunft in Kuala Lumpur: Eine Reise nach seinem Geschmack

Foto: Hasnoor Hussain / REUTERS / EPA

Dieter S. vor Gericht in München: Es drohen mehr als acht Jahre Haft

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Radio-Free-Asia-Büro: Eine wichtige Stimme verstummt

Foto: Staff / REUTERS
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Carol Yepes / Getty Images

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