Szene des Spiels: Momente vor der Halbzeitpause schallte zum dritten Mal Tom Schillings »Major Tom« durch das gut gefüllte Bremer Weserstadion, die Torhymne bei Länderspielen der DFB-Auswahl. Die Szene kurz davor erinnerte tatsächlich an das Lied, als Außenverteidigerin Sarai Linder plötzlich völlig losgelöst auf das Tor zulief, ganz allein, fast über den halben Platz, weil die Niederländerinnen das Zentrum offengelassen hatten. Dann war der Ball drin – zum 3:0 für Deutschlands Fußballerinnen. Es war der Höhepunkt einer starken ersten Hälfte wenige Wochen vor dem Start der EM in der Schweiz.
Ergebnis: 32.398 Fans sahen eine nicht mehr ganz so furiose zweite Hälfte im Nations-League-Duell, am Ende hieß es 4:0 (3:0) für Deutschland. Das macht Mut für die EM und das weitere Fußballjahr: Durch den Sieg steht bereits vor dem letzten Spieltag am Dienstag fest, dass sich Deutschland für das Halbfinale der Nations League im Oktober qualifiziert hat. Wer der Gegner sein wird, entscheidet die Auslosung am 6. Juni.
Abteilung Attacke: Das Spiel gegen die niederländischen Vizeweltmeisterinnen von 2019 galt als finaler Härtetest vor der in einem Monat stattfindenden EM, und wie die DFB-Auswahl diesen anging, war beeindruckend. Angetrieben von einer starken Linda Dallmann im Mittelfeld sorgten die Außenstürmerinnen Jule Brand (Vorlage zum 2:0) und Klara Bühl (maßgeblich am 1:0 beteiligt) für ständige Unruhe. Wenn dann auch noch Lea Schüller ihren Dienst wie bei den Toren zum 2:0 und 4:0 erfüllt, scheint die Auswahl von Bundestrainer Christian Wück im Angriff schon in EM-Form.
Ärger adé? Für den inneren Frieden dürfte dieser Abend wohltuend gewesen sein, denn die letzte Länderspielphase vor der Mitte Juni stattfindenden Nominierung des EM-Kaders begann mit erheblichen Störgeräuschen. Die zuletzt nicht mehr berücksichtigten Spielerinnen Felicitas Rauch und Nicole Anyomi hatten Bundestrainer Wück öffentlich schlechte Kommunikation vorgeworfen. Den Instagram-Post von Rauch markierten damals gleich mehrere aktuelle Nationalspielerinnen mit »Gefällt mir«, inzwischen entfernte manch eine Spielerin ihre Angabe wieder. Wück sagte nach der Rauch-Bombe, dass es eine Aussprache gegeben habe und das Thema geklärt sei. Nationalspielerin Laura Freigang klang etwas defensiver, sie sagte: »Wir haben darüber gesprochen. Alle sind bemüht, zueinanderzufinden, das ist das Wichtigste.«
Weiße Weste: In einem Trainingsanzug ganz in Weiß verfolgte Lena Oberdorf das Spiel im Bremer Stadion. Fast so, als wolle sie mit dem Anzug dokumentieren: Seht her, ich spiele nicht, mache mich heute nicht schmutzig. Zuvor hatte Wück für Irritationen gesorgt, als er die Zweikämpferin erstmals nach ihrem Kreuzbandriss überhaupt in den Kader berief, obwohl der FC Bayern und der DFB zuvor eine andere Vereinbarung getroffen hatten. Hinterher erklärte Wück, er wolle die 23-Jährige bloß im Training sehen, er nannte sie aber auch »zu 100 Prozent einsatzfähig«. Diese Aussagen kamen beim mächtigen FC Bayern, der nun seit einem Jahr auf seinen so lange verletzten Toptransfer des vergangenen Sommers wartet, nicht gut an. Der Verein pochte auf das Versprechen, Oberdorf nicht einzusetzen.
Sonderapplaus: In der 18. Minute sprang der Bundestrainer auf und applaudierte Rebecca Knaak für eine Balleroberung. Die 28-Jährige erarbeitet sich gerade einen Stammplatz in der Innenverteidigung – auf jener Position, wo die DFB-Auswahl bisher die größten Sorgen hatte. Knaak selbst hat am wenigsten damit gerechnet, dass sie plötzlich die Hoffnungsträgerin für diese Problemzone ist. Die Verteidigerin hatte die Nationalauswahl laut eigener Aussage eher abgeschrieben. Von 2022 bis Ende 2024 spielte sie fast ein wenig im Abseits in Schweden. Zur Jahreswende folgte der Wechsel zu Manchester City und von dort aus spielte sie sich auch für das DFB-Team in den Vordergrund. Am Abend bestritt sie ihr drittes Länderspiel, und es werden wohl noch einige folgen.
Zitat des Spiels: »Wenn wir richtig Bock haben, sieht man, was möglich ist«, sagte Dallmann nach dem Spiel. Damit spielte sie auch darauf an, dass dieses Team zu häufig zwei Gesichter zeigt, eins mit Licht, eins mit Schatten, oft auch innerhalb eines Spiels. Heute, so Dallmann, »war mehr Licht«. Wück sprach hinterher zwar nicht von dem besten Spiel seiner Amtszeit, aber vom konstantesten.
Ausblick: Am 12. Juni gibt Wück seinen EM-Kader bekannt. Bis dahin muss die Entscheidung getroffen werden, ob Lena Oberdorf dabei sein darf oder nicht. Am kommenden Dienstag im letzten Vorrundenspiel der Nations League gegen Österreich soll die Mittelfeldspielerin jedenfalls erneut fehlen. Es ist zugleich das letzte DFB-Spiel vor dem EM-Auftakt gegen Polen am 4. Juli, danach wird nur noch trainiert. Es könnte eine tröstliche Erkenntnis sein, dass die DFB-Auswahl gegen die eigentlich stark einzuschätzenden Niederländerinnen auch ohne Oberdorf zurechtkam. Gleichzeitig bedeutet das: Nach diesem überzeugenden Abend wird keine Spielerin ihren Platz für eine Teamkollegin freiwillig räumen wollen, die zwar hochbegabt ist, aber seit fast einem Jahr kein Spiel mehr bestritten hat.
Lena Oberdorf (links): Bislang nur Zuschauerin
Foto: Carmen Jaspersen / dpaKnaak mit Power im Zweikampf: neu und schon Hoffnungsträgerin
Foto: Carmen Jaspersen / dpa