Sind Islands CO₂-Staubsauger in Wahrheit CO₂-Schleudern?

»War ich ein leichtgläubiger Idiot?«, fragt der britische Physiker Michael de Podesta in seinem Blog  und gibt sich selbst die Antwort: »Ja, bestätigt.«

De Podesta, der seinen Ruhestand mit Aufklärung in Klimafragen verbringt, sieht sich hereingelegt, weil er über Jahre 1650 britische Pfund (fast 2000 Euro) an die Schweizer Firma Climeworks für eine der großen technologischen Hoffnungen zahlte: Maschinen, die klimaschädliches CO₂ aus der Luft filtern, sammeln und dann im Erdboden unschädlich machen. Mit dieser Direct Air Capture (DAC), so die Hoffnung, könnte eines Tages mehr CO₂ aus der Atmosphäre entfernt werden, als hineingelangt. Das Ziel: negative Emissionen. Mit ihnen könnte die Menschheit den von ihr verursachten Anstieg der CO₂-Konzentration nicht nur bremsen, sondern auch umkehren.

Die erste Firma, die DAC im großen Stil umsetzt, ist Climeworks. Das Unternehmen wurde von zwei deutschen Tüftlern in der Schweiz gegründet. Firmen wie Microsoft, Airbus oder Amazon zahlen für den DAC-Dienst. Bill Gates nennt Climeworks den »Goldstandard«, im vergangenen Jahr gab es einen 50-Millionen-Dollar-Zuschuss von den USA. Auch Privatleute wie Michael de Podesta nutzen das Angebot. 2,2 Tonnen CO₂ aus der Atmosphäre zu entfernen, hat de Podesta bestellt.

Mitte Mai veröffentlichten isländische Investigativjournalisten dann einen Bericht in dem Medium »Heimildin« . Sie kamen zu dem Schluss, dass Climeworks mit seinen beiden in Island aufgestellten DAC-Sauganlagen »Orca« und »Mammoth« bis heute weniger CO₂ aus der Atmosphäre holt, als das Unternehmen zugleich mit dem eigenen Betrieb ausstößt. Die Geräte verbrauchen Unmengen Strom und Wärme, was selbst im Erneuerbaren-Paradies Island nicht emissionsfrei vonstattengeht, und leisten dafür noch recht wenig. »Mammoth«, für 36.000 Tonnen CO₂ pro Jahr ausgelegt und noch nicht ganz fertiggestellt, saugte laut offiziellen Firmendaten in den ersten zehn Betriebsmonaten gerade einmal 105 Tonnen des Treibhausgases ein.

Damit enden die schlechten Nachrichten für das DAC-Vorzeigeunternehmen nicht. Ein noch größeres Climeworks-Projekt im US-Staat Louisiana steht unter der Trump-Regierung infrage. An diesem Mittwoch gab Climeworks bekannt, dass ein Fünftel der Belegschaft entlassen werden soll. »Wir kommen aus einer Phase extremen Wachstums«, sagte Firmenchef Jan Wurzbacher nun in einem »Bloomberg«-Interview . »Jetzt müssen wir uns ein wenig konsolidieren.« Die Firma bestreitet ihre Schwierigkeiten nicht.

Alibi für die Ölindustrie – oder doch mehr?

Betrug im juristischen Wortsinn ist die miese Bilanz in Island wohl nicht. Es war immer klar, dass das heute eingesammelte Geld dazu dient, die Technik auszubauen, damit sie dank Größenvorteilen und Lerneffekten effizienter wird und irgendwann wirklich so viel Treibhausgas aus der Atmosphäre holt wie zugesagt. Zumindest mit der Ansage im Gründungsjahr 2017, bis zum Jahr 2025 ein Prozent alles bisher emittierten CO₂ zu neutralisieren, dürfte das Unternehmen aber zu viel versprochen haben.

Kritiker scheuen sich daher nicht, doch von Betrug zu sprechen, im moralischen Sinne. Gegenüber »Heimildin« urteilte Umweltingenieurwissenschaftler Mark Z. Jacobson harsch und verallgemeinernd: »DAC ist Betrug, CO₂-Abscheidung ist Betrug, blauer Wasserstoff ist Betrug, E-Fuels sind Betrug.«

Tatsächlich sind all diese energieintensiven Techniken umstritten, weil sie mit der Hoffnung auf potenziell klimaschonende Kompensation in der Zukunft ein grünes Etikett für klimaschädliche Geschäfte heute liefern. Der hohe Aufwand lässt höchst fraglich erscheinen, ob das Versprechen der Kompensation damit jemals erfüllt werden kann, während viel günstigere erneuerbare Energien unter diesem Vorwand ausgebremst werden.

Bei E-Fuels, mithilfe von erneuerbarem Strom erzeugten künstlichen Treibstoffen, wird das besonders deutlich. Zumindest für den Straßenverkehr stehen sie in Konkurrenz zu Elektroantrieben, die den Ökostrom auch direkt ohne Umwandlungsverluste nutzen könnten. Damit E-Fuels klimaneutral werden, bräuchten die Produktionsanlagen zusätzlich zu den ohnehin schon aufwendigen Prozessen auch noch DAC. Denn am Ende stoßen Fahrzeuge unweigerlich CO₂ aus, wenn sie E-Fuels verbrennen.

Die Kraftstoffe werden aus CO₂ gemacht, nur holen die bisherigen Pilotprojekte den Kohlenstoff aus Industrieprozessen und biogenen Quellen, nicht extra aus der Luft. So wird die Atmosphäre um kein Gramm entlastet. Porsche hatte angekündigt, für sein chilenisches E-Fuel-Projekt  bis 2024 eine eigene DAC-Technik zu entwickeln.

»Diese Technologie verlängert das Geschäftsmodell der Öl- und Gasindustrie«, urteilt Umweltingenieurwissenschaftler Jacobson. Sie helfe dem Klima nicht, sondern verschlimmere die Lage. Naheliegend ist die Alibifunktion bei dem US-Ölkonzern Occidental Petroleum. Er hat Milliarden in DAC investiert und will noch in diesem Jahr Project Stratos in Texas in Betrieb nehmen, mit bis zu 500.000 Tonnen CO₂-Jahreskapazität, mehr als 13-mal so groß wie »Mammoth« von Climeworks. Vor einer Woche stieg der Ölkonzern Adnoc aus den Vereinigten Arabischen Emiraten mit ein.

Climeworks schloss früher eine Zusammenarbeit mit der fossilen Industrie aus. Jetzt, unter dem Eindruck von Geldsorgen, klingt das Unternehmen nicht mehr so verbindlich.

Unter Klimaexperten kommen aber auch Stimmen zu Wort, die davor warnen, die Technik zu verwerfen. Negative Emissionen müssen nach gängigen Klimamodellen in jedem Fall erzielt werden, um die Erderwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. Das gilt selbst in einem optimistischen Szenario, in dem die Welt schnellstmöglich davon abkehrt, Öl, Gas und Kohle zu verbrennen.

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Ihr Arvid Haitsch,
Redakteur Mobilität

Climeworks-Anlage »Mammoth« in Island

Foto: Halldor Kolbeins / AFP

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