Stellen Sie sich vor, Sie dümpeln gemütlich im trüben Wasser im Kanalsystem von Xochimilco herum, einem Bezirk von Mexiko-Stadt – und plötzlich beißt Ihnen ein Artgenosse ein Bein oder eine Hand ab. Beim Axolotl, einem Schwanzlurch, dessen letzte natürliche Vorkommen in Mexiko zu finden sind, kann das passieren.
Es ist aber nicht allzu tragisch. Ist das Bein ab, sprießt aus dem Stumpf binnen Wochen oder Monaten ein neues; so vollkommen, als wäre der ursprüngliche Körperteil nie abhandengekommen.
Die Salamander sind Meister der Regeneration von Gliedmaßen und Organen. Sie können nicht nur Extremitäten nachwachsen lassen, sondern auch defekte Organe wiederherstellen, darunter das Herz, die Bauchspeicheldrüse und das Gehirn.
Und so kommt es, dass zwar nicht mehr allzu viele Axolotl in der Natur vorkommen, dort gelten sie als vom Aussterben bedroht. Dafür gibt es umso mehr von ihnen in molekularbiologischen Laboren.
Etwa in dem von Elly Tanaka in Wien. Die Biochemikerin ist Wissenschaftliche Leiterin am Institut für Molekulare Biotechnologie. Vor Jahren habe ich sie dort besucht – und ihre Axolotl-Kolonie besichtigt. Damals hatten Tanaka und ihr Team gerade das Erbgut des Schwanzlurchs entschlüsselt. Es ist zehnmal so groß wie das des Menschen.
In der Erbinformation, hoffte Tanaka, würde sie Antworten auf wichtige Fragen finden: Was unterscheidet das Erbgut des Axolotl von Arten, die keine Gewebe nachwachsen lassen können, von Menschen zum Beispiel? Lässt sich die Fähigkeit zur Regeneration durch molekularbiologische Tricks womöglich auch bei Menschen wecken?
Dieser Möglichkeit sind Tanaka und ihre Kolleginnen und Kollegen jetzt einen Schritt nähergekommen, wie sie im Fachblatt »Nature« berichten. Sie haben eine Art molekulares GPS-System entdeckt, das Körperzellen bei der Regeneration den Weg weist. »Wir haben gezeigt, dass es nur das Signal von einem einzigen Faktor braucht, um Zellen mitzuteilen, was aus ihnen werden soll«, sagte sie mir, »das heißt, dass wir Zellen umprogrammieren können.«
Auch bei Menschen könnte dies einst funktionieren. Nach dem Vorbild des Axolotl erzeugte Ersatzzellen könnten bei der Therapie von Herzkrankheiten helfen, auch Gliedmaßen könnten zumindest teilweise nachwachsen. Nach dem Verlust von einem großen Stück Knochen durch eine Krankheit oder Verletzung könne sich natürlicher Ersatz bilden, glaubt die Wissenschaftlerin.
Wann wird es so weit sein? Das habe ich Elly Tanaka gefragt. Ihre Antwort können Sie hier nachlesen.
Herzlich,
Ihre Julia Koch
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Bild der Woche
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Tibor Kulcsar / IMBA