Der Phallus aus dem Damenstift

»Das Glas ist erstaunlich naturalistisch ausgearbeitet«, sagt Susanne Jülich über eines der außergewöhnlichsten Objekte in ihrer Ausstellung: Ein Trinkgefäß aus nur etwa 1,2 Millimeter dickem Glas, das aussieht wie ein Penis. Eichel, Hoden, Schamhaare sind deutlich zu erkennen.

Jülich ist stellvertretende Leiterin des LWL-Museums für Archäologie und Kultur in Herne. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen hat sie für die Sonderausstellung »Mahlzeit!« unter anderem skurriles Geschirr aus den vergangenen Jahrhunderten zusammengetragen.

Phallus als Machtsymbol

Pikant: Archäologen haben den Trink-Phallus in einer Toilettenanlage im Damenstift Herford entdeckt. (Mehr dazu lesen Sie hier.)

Die Kloake grenzte unmittelbar an die Gemächer der Äbtissin. Wofür benötigte sie ein solches Trinkgefäß? »Es galt als Symbol für Männlichkeit, Aggressivität und Fruchtbarkeit«, sagt Expertin Jülich. »In der Hand der Äbtissin dürfte es auch als Statement zu verstehen gewesen sein: Ich bin mächtig genug, mir diese Attribute anzueignen und mit Tabus zu brechen.«

Wie alt das Objekt ist, können die Fachleute nur ungefähr eingrenzen, auf das 16. bis 17. Jahrhundert. Warum es in der Kloake landete, ist unklar.

Das anrüchig anmutende Trinkgefäß ist längst nicht die einzige exzentrische Kostbarkeit der Ausstellung.

Der Kurfürst August von Sachsen, der von 1526 bis 1586 lebte, deckte etwa einen sogenannten Natternbaum auf. Das Objekt erinnert an einen Baum, oben in der Krone sitzt eine Marienstatue. Statt Blättern hängen an dem Gewächs Zähne.

Was aussieht wie die eigenwillige Tischdekoration einer Gothik-Party, sollte die anwesenden Gäste vor Vergiftungen schützen.

Kurfürst August und seine Zeitgenossen hielten die Zähne für sogenannte Natternzungen, die angeblich anzeigen, wenn Gift in der Nähe ist. Sie änderten dann ihre Farbe oder sonderten Feuchtigkeit ab, so die Erzählung. Ähnliches wurde auch Bezoaren nachgesagt – Magensteine aus verklumpten Überresten, die aus unverdaulichen Pflanzenresten und Tierhaaren bestehen, die sich etwa im Verdauungstrakt von Schafen bilden.

Tatsächlich handelt es sich bei den Anhängseln allerdings um versteinerte Zähne von Haien. »Hinter der Marienfigur, die auf dem Baum sitzt, befindet sich ein besonders großer Zahn, wahrscheinlich eines Megalodons, einer vor Millionen Jahren ausgestorbenen Hai-Art«, sagt Matthias Bensch, der die Ausstellung als Kurator verantwortet.

Dass man bei Hofe zuweilen beim Essen zu Scherzen aufgelegt war, beweist eine Terrine aus dem 18. Jahrhundert, die aussieht wie der Kopf eines Ebers. Die Nachbildung aus Porzellan ist täuschend echt, das Gesicht des Schweins lässt sich jedoch anheben.

In dem Gefäß wurden wahrscheinlich feine Speisen serviert, vor allem Wildgerichte. »Die Terrine ist ein sogenanntes Schaugericht«, sagt Bensch. »Sie sollten die Gäste täuschen und erheitern.«

Die Ausstellung »Mahlzeit!« in Herne öffnet am 3. Oktober und wird bis zum 13. September 2026 zu sehen sein.

Natterbaum von Kurfürst August von Sachsen: Die Ausstellung »Mahlzeit!« öffnet am 3. Oktober

Foto: Paul Kuchel / Grünes Gewölbe, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Essen aus dem Eberkopf: Die Terrine aus Porzellan sollte die Gäste erheitern

Foto: Roman Raacke / Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

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