High Noon in Heterohausen

Diesen Krimi muss man ausnahmsweise vom Ende her besprechen. In einer der letzten Szenen überreicht die Kommissarin drei drangsalierten Dragqueens eine Pistole, die sie offenbar aus der Asservatenkammer geklaut hat. Die drei Queens sollen damit wohl zurückschlagen, falls sie mal wieder belästigt werden oder ihnen jemand nach dem Leben trachtet. Die Bewaffnung als Ultima Ratio bei der Selbstbehauptung in einer unheilbar homophoben Welt? High Noon in Heterohausen?

Man würde ja gern versuchen, dieser finalen militanten Selbstermächtigungsfantasie zu folgen – wenn nur der Weg dorthin plausibel erzählt wäre. Und wenn man die Hoffnung hätte, dass die drei schwulen Männer in Frauenkleidung überhaupt etwas mit der Pistole anfangen könnten. Aber will man eine tödliche Waffe in den Händen von drei Charakteren sehen, die in den 80 Minuten davor ausschließlich als ängstlich kreischend, obszön lästernd, altklug dozierend und generell schwer lebensunfähig dargestellt worden sind?

Das ist das Hauptproblem dieses »Polizeirufs«, der wahrscheinlich besser gemeint als gemacht ist.

Im Mittelpunkt stehen die drei Dragqueens Menora (Božidar Kocevski), Peekabou (Meik van Severen) und Tulip (Patrice Grießmeier), die im Münchner Bahnhofsviertel den sympathisch trashigen Nachtklub »Rainbow« betreiben. Als sie nach einer Show den Laden verlassen, beobachten sie einen Mord, der wahrscheinlich mit den Verteilungskämpfen rund um die Gentrifizierung des Stadtteils zu tun hat. Kommissarin Cris Blohm (Johanna Wokalek) und ihr Kollege Dennis Eden (Stephan Zinner) versuchen die drei zu einer Aussage zu überreden, aber die Annäherung gestaltet sich schwierig.

Queere Klischees en masse

Beim Clash von Polizei und queerer Szene wird kein Klischee ausgelassen. Bei einem der ersten Treffen schwadronieren Menora, Peekabou und Tulip lautstark über den »Fuckboy«, den sie sich bis vor Kurzem unfreiwillig geteilt haben. Sie belehren die Ermittler in Vorträgen über die Hintergründe des Christopher Street Day, der seinen emanzipatorischen Ursprung in den Stonewall-Unruhen in New York 1969 hatte. Als später Schüsse auf sie abgegeben werden, verstecken sie sich wimmernd hinter den starken Schultern des bajuwarischen Bären Eden: Hier der anpackende Hetero-Heroe, dort die prinzipiell überforderten Kreisch-Queens.

Der Feind der Drag-Künstler: die Mafia, die offenbar beim großen Beton-Poker um das Bahnhofsviertel mitmacht. Kommissarin Blohm und Kollege Eden versuchen ihre Zeugen aus der Schusslinie zu bringen und eskortieren sie im Auto in einen verlassenen, heruntergekommenen Dorfgasthof fernab von München. Die Erzählfäden dieses abstrusen Fluchtkrimis flattern da bereits wie Lametta über einer Dragshow, und die Restplausibilität ist längst in dem Fanta-Rotwein-Mix untergegangen, mit dessen Hilfe sich die Fluchtgemeinschaft näherkommt.

Trotz Bedrohungslage feiern die Queens und ihre Beschützer nämlich eine ausgelassene Party in dem auf einmal bunt geschmückten Gasthof. Getanzt wird zu, kein Witz, »YMCA« von den Village People .

Generell fühlt man sich in diesem »Polizeiruf« in die Siebzigerjahre zurückgeworfen. Die Beschreibung queerer Lebenswelten erinnert in ihrer plakativen, antiquierten Fummelhaftigkeit ein bisschen an das Travestie-Lustspiel »Ein Käfig voller Narren« , das 1978 mit Michel Serrault verfilmt wurde, also in dem gleichen Jahr, in dem Village People »YMCA« herausbrachten.

Ausschlachten des Drag-Kosmos

Regie bei dem retroseligen Gesellschaftskrimi führte Dror Zahavi, der bereits den ersten Fall um das Münchner Ermittlungsteam Eden und Blohm inszeniert hatte. Damals wurden die echten und vermeintlichen Auswüchse der politischen Korrektheit im gegenwärtigen Universitätsbetrieb übertrieben ironisch ins Visier genommen . Das Buch zu der neuen Episode schrieb Günter Schütter, der über die vergangenen Jahre einige exzellente ältere Münchner »Polizeirufe« mit den Teams um Matthias Brandt und Verena Altenberger verfasst hatte. Etwa jenes aufwühlende Krimi-Psychogramm aus dem Jahr 2013, in dem Lars Eidinger eine trans Frau spielt, die versucht, auf dem Strich das Geld für die Transition zu verdienen.

Der neue »Polizeiruf« schlachtet dagegen einfach nur den Drag-Kosmos aus – und das umso mehr, je stärker die Filmemacher vorgeben, die psychische Verfasstheit ihrer Figuren auszuleuchten. Denn immer wieder gibt es »leise« Szenen, in denen die drei Queens ihre privaten Tragödien enthüllen. Das Aufwachsen als verstoßenes Heimkind. Der Druck durch das spießige Elternhaus. Die Entfremdung von der migrantisch geprägten Familie.

Das ist vielleicht die größte (unfreiwillige?) Unterstellung, die den Dragqueens gemacht wird: dass ihre Lust, sich als schwule Männer in Frauenkleider zu schmeißen, nur eine Folge seelischer Deformation sein kann.

Bewertung: 1 von 10 Punkten

»Polizeiruf 110: Ein feiner Tag für Bananenfisch«, Sonntag, 20.15 Uhr, Das Erste

Darsteller van Severen, Kocevski, Grießmeier: Schwul, laut, peinlich?

Foto: Jürgen Olczyk / BR

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