Eltern schlüpfen in viele Rollen und Funktionen während ihres langen Lebens mit Kindern. Dompteur(in), Kuscheltier, Diktator(in), Prellbock, Netz, Taschentuch, Ernährer(in), starke Schulter, Geldgeber(in), Projektionsfläche, erste Liebe – und vielleicht auch die letzte.
Trotz aller Seminare und Regalmeter voller Ratgeberliteratur und natürlicherweise eigener prägender Erfahrungen mit Eltern taumelt man doch meist unvorbereitet durch das Improvisationstheater Elternschaft. Das Ende der Geschichte scheint immer offen, ein Happy End ist nie garantiert und die eigene Rolle wird ständig hinterfragt, kritisiert, entwickelt – zumal in Krisenzeiten. Und die sind gefühlt mittlerweile immer.
Was dazu führt, dass Kindheit zunehmend als Drama dargestellt und erzählt wird – und seltener als Lovestory. Warum ich mich hier so verstolpere mit den ganzen Analogien und Vergleichen aus der Schauspielwelt? Zurzeit hängt gefühlt an jeder Großstadt-Ecke Werbung für die neue Serie »Call my agent Berlin« (auf Disney+). Darin geht es um eine Schauspieleragentur in der Krise und den mehr oder minder gelungenen Versuch zur Selbstironie der fast gesamten deutschen Schauspielerriege, von Heiner Lauterbach bis Moritz Bleibtreu, von Iris Berben bis Veronica Ferres, von Jürgen Vogel bis Katja Riemann usw. Ich habe darin einen bedeutenden Gastauftritt als Statist, circa eine Sekunde lang, unscharf im Hintergrund.
Die Anforderung der Agentur an meine »Rolle« für eine Sekunde Ruhm lautete: »Schlecht gelaunter Zuschauer im Kabarett«. Hey, dachte ich, das kriege ich hin, kenne ich von zu Hause – und von den unzähligen Elternabenden, denen ich in den vergangenen 20 Jahren als Vater beiwohnte.
Denn inzwischen ist mir auch dort, nachdem ich so ziemlich jedes Amt mehrfach innehatte, die Rolle des schlecht gelaunten Statisten deutlich lieber. Wenn mich Lehrpersonal oder Eltern erwartungsvoll anblicken bei der Frage nach Hauptrollen in Ämtern, dann winke ich nur noch müde ab und murmele: Call my agent.
Ich will keine Sprechrolle mehr, ich mache nur noch Stimmung.
Deshalb aus dem Fundus der Erfahrung ein paar Schauspieltricks für alle noch kommenden Elternabende – und am Ende als Entschädigung eine Einladung zu einem wirklich gut gelaunten Elterntreffen.
Mimik und Gestik! Üben Sie vor dem heimischen Spiegel das verständnisvolle und bestätigende, aber dennoch dezent zurückhaltende Nicken. Zu heftige Kopfbewegungen ziehen zu viel Aufmerksamkeit auf sich, und dann droht ein Loyalitätskonflikt im Rollenspiel: Bin ich noch Elternteil oder schon Hilfslehrer?
Atemübungen: Empörung ist die zweite Natur von Eltern. Wer sich nicht permanent empört und beklagt, hat vermutlich nur einen Hund, aber keine Kinder. Ob Schulessen, Stundenplan oder Hausaufgaben: Empören Sie sich! Es ist das Identitätsmerkmal von Eltern. Wer sich nicht regelmäßig empört, ist entweder teilnahmslos, trotzig oder tot. Augenrollen, heftiges Atmen, unverständliches Gemurmel und verschwörerische Blicke gehören zur Grundausstattung. Lautes Schnaufen signalisiert, dass Sie jeden dunklen Plan direkt durchschaut haben. Ihnen macht keiner was vor.
Maskerade! Stellen Sie zum Schein einen Antrag zur Abstimmung. Das suggeriert Engagement und Checker-Qualitäten. Völlig egal, worum es geht: die regelmäßige Messung der Raumtemperatur, den Höchstbetrag für das Dankeschön-Geschenk oder die Beflaggung des Schulwegs. Ihr Antrag sollte nur irgendwie Gemeinsinn heucheln und äußerst achtsam formuliert sein. Für Fortgeschrittene: Stimmen Sie dann heimlich gegen Ihren eigenen Antrag!
Rollentausch! Bringen Sie ungewöhnliche Ideen ein und durchbrechen damit die quälende Routine wie bei der Suche nach der Elternvertretung. Schlagen Sie vor: keine Abstimmung, sondern eine Bestimmung. Der Mensch, meist Mütter, mit der längsten E-Mail-Signatur wird so zur Sprecherin bestimmt. Das Sammeln von diversen, wohlklingenden Coaching-Titeln, erworben durch 14-tägige Onlineseminare, und dann aufgelistet in jeder Mail, ist immer ein Hinweis auf die für das Amt nötige Mischung aus Engagement, Geltungssucht – und viel Zeit. Das veraltete Prof. Dr. Dr. im Vorspann eines Namens sollte hingegen abschrecken: Wer noch so dumm ist, für seine Titel jahrelang zu studieren und zu forschen, ist für das schnelllebige, harte Geschäft der Elternvertretung zu langsam und zu reflektiert. Moderne Schule braucht Titelsammler mit Macherqualitäten statt verkopfter Akademiker.
Gage! Tragen Sie in die Kontaktliste unbedingt nur die Mailadresse und Handynummer des zu Hause rumlümmelnden Elternteils ein und erteilen die Zustimmung zur Gründung diverser WhatsApp-Gruppen und Mailverteiler. Dasselbe hat sich auch bewährt bei Einzugsermächtigungen für Klassenkasse, Klassenfahrt, Schul-Trägerverein, Sommer-, Herbst- und Weihnachtsfeste. Wer Sie zum Elternabend schickt, soll dafür bezahlen.
Kostüm! Wickeln Sie einen weißen Verband um den Mittelfinger Ihrer Schreibhand. Und wenn die Frage kommt »Wer schreibt das Protokoll?«, dann heben Sie den Mittelfinger und sagen seufzend: »Ich würde ja gerne, aber leider verstaucht.«
Drehbuch! Wehe demjenigen, der entnervt nach Hause kommt und auf die Frage »Wie war’s?« nicht hundertprozentig genau und erschöpfend Auskunft geben kann (oder will). Wer ist denn nun alles in der Gluten-Gruppe, hmmm??? Welche Farbe hatten die Schuhe des Lehrpersonals??? Können wir denn nun drei Tage früher in die Weihnachtsferien starten, die Kanarenflüge sind dann billiger, und die basteln doch sowieso nur noch?
Der Hinweis, da komme ja noch ein Protokoll »in den nächsten Tagen«, gilt als Provokation und ist gleichbedeutend mit Liebesentzug. Profi-Tipp, illegal, aber nützlich: heimlich eine Tonaufnahme machen, und bevor man nach dem Elternabend in die Kneipe geht, das Ganze ungeschnitten als Sprachnachricht an den Partner schicken. So bekommt dann jeder, was er gerade braucht.
Haben Sie auch ein paar Tricks und Tipps für Elternabende auf Lager? Meet the Maniacs! Wenn Sie uns, die Autorinnen und Autoren der Elternkolumne und des Familiennewsletters, mal persönlich kennenlernen wollen, haben Sie am Donnerstag, dem 18. September, die Chance dazu. Dann laden wir Abonnentinnen und Abonnenten zum exklusiven Gedanken- und Erfahrungsaustausch ins SPIEGEL-Haus nach Hamburg ein. Beginn ist um 18 Uhr. Das Thema unseres ersten »echten« SPIEGEL-Elternabends lautet: »Ich krieg die Krise – Umgang mit kleinen und großen Katastrophen in der Familie«.