Seltene Einigkeit in Berlin
Es ist schon eine Weile her, dass Berlin Schauplatz weltwichtiger Entscheidungen gewesen ist, umso bemerkenswerter war der Staatsbesuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj (mehr hier). Er traf hier nicht nur auf den deutschen Bundeskanzler und den deutschen Bundespräsidenten, sondern war vor allem gekommen, um mit den US-amerikanischen Ukraine-Unterhändlern Steve Witkoff und Jared Kushner über einen möglichen Frieden mit Russland und das Schicksal seines Landes zu verhandeln.
Viele Stunden saßen sie zusammen, danach zeigten sich alle Beteiligten zufrieden mit dem Verlauf der Gespräche. Der Ukrainer, weil er seine Position den Amerikanern verständlich machen konnte. Und die Trump-Vertreter, weil man in einer Reihe von Fragen Konsens erzielt habe, die für einen Friedensdeal unerlässlich seien. Gastgeber Friedrich Merz betonte am Abend die Gemeinsamkeiten zwischen Ukrainern, Amerikanern und Europäern – davon hatte man schon länger nicht mehr gehört.
»Am Ende werden es zwei Tage, die Deutschland, die Europa wieder einen Platz am Verhandlungstisch gebracht haben«, analysieren meine Kollegen Christian Esch, Florian Gathmann, Matthias Gebauer und Paul-Anton Krüger. Und schränken ein: »Fürs Erste zumindest.« Denn es sind noch viele Fragen offen. Werden die USA ihre zugesagten Sicherheitsgarantien tatsächlich erfüllen? Wird Donald Trump sich an gefundene Kompromisse und Vereinbarungen mit den Europäern und der Ukraine halten – oder nach dem nächsten Telefonat mit Moskau doch wieder auf Wladimir Putins Linie einschwenken? Wer weiß schon, welche Laune der Herrscher im Weißen Haus morgen und übermorgen hat. Wahrscheinlich nicht einmal er selbst.
Die ganze Geschichte hier: Wie der Kanzler Europa zurück ins Spiel bringt
Klimaschutz war gestern
Es darf wohl weiter gequalmt werden: Heute will die EU-Kommission ihre Vorschläge zur Veränderung der Abgasvorgaben für Autos ab dem Jahr 2035 vorstellen. Erwartet wird eine deutliche Aufweichung der bisher geplanten Regeln, dem Verbrenner-Aus droht das Aus. Nicht ganz unmaßgeblich mag dabei ein Brief sein, den Friedrich Merz Ende November an die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geschickt hat. Darin teilte der Kanzler die gerade gefundene gemeinsame Position der schwarz-roten Koalition mit: »Unser gemeinsames Ziel sollte eine innovationsfreundliche und technologieoffene Regulierung sein, die Klimaschutz und industrielle Wettbewerbsfähigkeit in Einklang bringt.«
Wem das noch nicht emissionsfreundlich genug war, der konnte sich daran erfreuen, was Merz auf dem CSU-Parteitag am vergangenen Samstag verkündete (mehr zu dem Auftritt hier ). Er sei nicht bereit, sagte der Kanzler, »das Thema Umwelt- und Klimaschutz so hoch aufzuhängen, dass damit ein großer Teil unseres industriellen Kerns in der Bundesrepublik Deutschland verloren geht«.
Wie weit die EU-Kommission der Autobauernation Deutschland entgegenkommt und wie tief sie den Klimaschutz künftig hängen wird, das werden wir heute erfahren. Möglich sind Ausnahmen für Hybridfahrzeuge, sogenanntes Biobenzin oder in Europa gefertigte Autobauteile.
Mehr Hintergründe hier: Ökonomen üben scharfe Kritik an der Abkehr vom Verbrenner-Aus
Die Erledigung des Mercosur-Abkommens – diesmal aber wirklich
In der EU zeichnet sich nach zwei Jahrzehnten ein Showdown beim Mercosur-Abkommen ab. Ab Januar übernimmt Paraguay die Präsidentschaft der lateinamerikanischen Freihandelszone; in der EU-Kommission wird befürchtet, dass das Land das Abkommen kippt. Deswegen will man die Kooperation unbedingt noch in diesem Jahr unter Dach und Fach bringen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will am Samstag nach Brasilien fliegen, um das Abkommen zu unterzeichnen.
Heute findet im EU-Parlament die Abstimmung zu den Ausgleichsmechanismen für die Bauern statt. Französische Rinderbauern fürchten die Konkurrenz aus Südamerika. Obwohl umfangreiche Hilfszahlungen geplant sind, wollen die Bauern in Brüssel wieder demonstrieren, wenn sich die Staats- und Regierungschefs ab Donnerstag zum EU-Gipfel treffen.
Mein Kollege Timo Lehmann beobachtet das Gerangel um das Handelsabkommen schon lange. Seiner Einschätzung nach ist offen, ob die Abstimmung in Straßburg heute durchgeht. Neben den Franzosen sind nicht nur Österreich und die Niederlande skeptisch, sondern vor allem Italien. Nach der Abstimmung im Parlament muss noch eine qualifizierte Mehrheit der Länder zustimmen.
Für Bundeskanzler Friedrich Merz sind die EU-internen Verhandlungen um das Mercosur-Abkommen mit einer außenpolitischen Peinlichkeit verbunden. Ende Oktober hatte Merz nach einem EU-Gipfel bereits eine Einigung verkündet: »Es ist erledigt. Es ist durch.« Tatsächlich war nichts erledigt, gleich mehrere EU-Staatschefs widersprachen Merz öffentlich.
Mehr Hintergründe hier: Merz verkündet angebliche Einigung auf Mercosur-Deal – Macron widerspricht
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Gewinner des Tages …
… ist Jens Spahn. Der Fraktionschef der Union und frühere Bundesgesundheitsminister stand gestern der Corona-Enquetekommission des Bundestags zu seinen Maskengeschäften Rede und Antwort – und ließ wie gewohnt alle Vorwürfe der Misswirtschaft an sich abperlen. Einen ihm potenziell wesentlich gefährlicheren Masken-Untersuchungsausschuss hatte ihm die schwarz-rote Koalition erspart. So waren es nur wenige Stunden, in denen sich Spahn noch einmal mit einer unangenehmen Vergangenheit beschäftigen musste, die er sich doch längst verziehen hat.
Die ganze Geschichte hier: Dreieinhalb Stunden, dann hat es Jens Spahn hinter sich
Die jüngsten Meldungen aus der Nacht
Opernhaus von Sydney erstrahlt mit Bild von Chanukka-Leuchter: Sydney trägt Trauer, auch am Wahrzeichen der Metropole wird den Opfern des Terrorangriffs am Bondi Beach gedacht. Eine gewaltige Projektion zeigt einen neunarmigen Leuchter, der das jüdische Lichterfest symbolisiert.
Moskau stuft Pussy Riot als »extremistische Organisation« ein: Mit ihren Protestaktionen ziehen Pussy Riot immer wieder die Wut des Kreml auf sich. Nun reagiert Russlands Regierung: Die Gruppe gilt ab sofort als kriminell – mit erheblichen Folgen.
Trump erntet massive Kritik für Kommentar zu getötetem Regisseur Rob Reiner: Nach dem Tod von »Harry und Sally«-Regisseur Rob Reiner und seiner Frau Michele bekunden viele Stars und Politiker ihre Trauer. Der US-Präsident sorgt mit seinen Abschiedsworten für Irritationen und Entrüstung – auch bei seinen Republikanern.
Heute bei SPIEGEL Extra: Warum Padel boomt und ein perfekter Sport für Anfänger ist
Squash trifft Tennis – Padel ist ein rasantes Doppelspiel im Glaskasten. Die Topathleten sprechen Spanisch, weltweit entstehen neue Plätze, Einsteiger können sofort loslegen. Hier erklären zwei Experten, worauf es ankommt .
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Stefan Kuzmany, Autor der Chefredaktion
Ukraineverhandlungen in Berlin: Fürs Erste wieder mit am Verhandlungstisch
Foto: Kay Nietfeld / REUTERSAutoabgase im Jahr 2025 – und wahrscheinlich noch über 2035 hinaus
Foto: Bernd Weißbrod / dpaBauernprotest in Brüssel gegen Freihandelsabkommen der EU (Archivbild von 2024)
Foto: Olivier Matthys / EPAIhm kann keiner was: CDU-Politiker Jens Spahn
Foto: Soeren Stache / dpavisualspace / Getty Images