Szene des Rennens: Es lief die Runde 55 von insgesamt 70, auf den vorderen Plätzen waren alle Boxenstopps erfolgt. McLaren-Pilot Oscar Piastri, Führender der Fahrerwertung, kämpfte sich mit Mühe an seinen Teamkollegen Lando Norris heran. Auf der Strecke waren vor ihm aber noch andere Fahrer unterwegs, im Titelkampf nur Statisten, die Piastri überrunden wollte. Einer von ihnen war Franco Colapinto im Alpine. Normalerweise werden die Protagonisten fair vorbeigelassen, offenbar pennte der Argentinier aber – als Piastri rechts vorbei wollte, drängte Colapinto den WM-Führenden von der Strecke. Der hatte Glück, dass er bloß ein paar Meter über Kies fuhr und nicht beschädigt, geschweige denn rausgeworfen wurde. Trotzdem verlor Piastri wertvolle Zeit in seiner Verfolgung von Norris.
Das Ergebnis: Norris und Piastri holten einen nahezu ungefährdeten Doppelsieg für McLaren beim Großen Preis von Österreich. Dahinter folgten die beiden Ferraris von Charles Leclerc und Lewis Hamilton.
Das Vorspiel: Im Qualifying am Vortag hatten klare Verhältnisse geherrscht. Norris blieb fehlerfrei und distanzierte das restliche Feld mit einer halben Sekunde, während Piastri überraschend hinter Leclerc auf Platz drei landete. »Ein guter Tag, ein gutes Wochenende«, sagte Norris, »hoffentlich bleibt es so.« Ein Wunsch, der erfüllt werden sollte.
Früher Feierabend: Alles war angerichtet für den Start, und das Feld setzte sich in Bewegung für die Formationsrunde. Ein Auto blieb aber stehen, es war der Williams von Carlos Sainz. Der Bolide sollte schon von der Strecke geschoben werden, als er doch noch ansprang. Nach einer Runde fuhr der Spanier aber in die Boxengasse, wo er anhielt und funkte: »Ich glaube, das Auto bremst immer noch.« Tatsächlich gab es an seiner Hinterachse Rauch und Flammen. Schon vor dem Start war Sainz' Arbeitstag vorüber.
Der Start: Mit 15 Minuten Verspätung wegen Sainz' Panne ging es dann los. Vorne schoss Norris davon und verteidigte sich erfolgreich gegen Leclerc, der in der ersten Kurve auf der Innenseite angriff. Damit bot der Monegasse die Außenseite an, wo Piastri vorbeizog und sich zu seinem McLaren-Kollegen an die Spitze des Felds gesellte. Auf Platz vier behauptete sich Hamilton (Ferrari) gegen eine Attacke von seinem Ex-Teamkollegen George Russell (Mercedes), das eigentliche Spektakel ereignete sich aber noch weiter hinten, wo Max Verstappen nichtsahnend von Kimi Antonelli (Mercedes) am Heck getroffen und damit aus dem Rennen geworfen wurde.
Der GAU: Im Qualifying nannte Verstappen, der nach vier WM-Titeln in Folge in der schlechtesten Saison seit langem steckt, sein Auto »unfahrbar«. Trotzdem hätte es vielleicht für mehr als P7 gereicht, wenn seine entscheidende Runde nicht wegen eines Drehers von Pierre Gasly unterbrochen worden wäre. Im Rennen war es erneut ein fremder Fehler – Antonelli verbremste sich –, der den Niederländer um eine faire Chance brachte. »Idioten«, schimpfte Verstappen im Funk, garniert mit einem weiteren Wort, das zensiert wurde.
Das Duell: Der ärgste Konkurrent der beiden McLaren-Jungs im Titelkampf war direkt raus. Die beiden Ferraris konnten nicht mithalten, Russell erst recht nicht. Also duellierten sich die beiden Papaya-Boliden teamintern. In Runde elf wagte Piastri die erste Attacke, Norris behauptete sich knapp, in Runde 15 lief es gleich. Als Piastri ein drittes Mal angriff, musste er so spät und hart bremsen, dass die Reifen qualmten. Nur wenige Zentimeter verhinderten den erneuten Crash zwischen den McLarens nach dem Eklat vor zwei Wochen in Kanada. Für den Rennstall ein gutes Zeichen: Das Duell Norris gegen Piastri, es funktioniert auch sorgenfrei. Hakuna Papaya quasi, frei nach dem König der Löwen.
Die Grünen: In der Teamwertung stand Sauber vor dem Rennen auf dem vorletzten Platz, aber der Große Preis von Österreich wurde zu einer Party für den Schweizer Rennstall. Schon im Qualifying hatte der Brasilianer Gabriel Bortoleto einen sensationellen Rang acht geholt, Nico Hülkenberg enttäuschte allerdings mit P20. Vom allerletzten Platz aus fuhr der Deutsche aber bis auf die Neun vor, direkt hinter Bortoleto. Beide Fahrer fuhren in ihren grellgrünen Boliden in die Punkte, bei kaum einem anderen Team dürfte die Stimmung noch besser sein als bei Sauber.
Die Tabelle: In der Konstrukteurswertung ist an der Spitze längst alles klar. McLaren scheint uneinholbar, der Doppelsieg hat den Vorsprung nur noch vergrößert. Und auch im Klassement der Piloten wird es deutlicher. Piastri steht jetzt bei 216 Punkten, Norris bei 201. Verstappen hingegen bleibt bei 155 Zählern. Beim Red Bull stellt sich bereits Resignation ein. »Wenn nichts mehr Außergewöhnliches passiert, müssen wir davon ausgehen, dass die WM dahin ist«, sagte Teamchef Helmut Marko im Sky-Interview.
So geht es weiter: Nur eine Woche Pause gibt es, dann folgt mit dem Großen Preis von Großbritannen ein Klassiker im Rennkalender der Formel 1. Am kommenden Sonntag um 16 Uhr geht die Rennserie in Silverstone an den Start.
Max Verstappen (l.) und Kimi Antonelli nach ihrem frühen Aus
Foto: Gintare Karpaviciute / REUTERS