Jedes Jahr schicken chinesische Fabriken und Händler über Plattformen wie Shein oder Temu Milliarden Päckchen direkt an Endkunden in der EU. Weil die meisten einen Warenwert von weniger als 150 Euro haben, muss für sie kein Zoll gezahlt werden. Der EU entgehen so Milliardeneinnahmen – noch dazu überlastet die Vielzahl der Pakete die Zollkontrollen. Unsichere Produkte können nicht zuverlässig aus dem Verkehr gezogen werden. Und heimische Händler leiden unter den Schlupflöchern. Die EU bastelt an Gegenmaßnahmen. Doch dem Handelsverband Deutschland (HDE) geht das nicht schnell genug.
In einem Brandbrief an Lars Klingbeil (SPD) fordert der HDE den Finanzminister auf, sich auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass die Maßnahmen schneller beschlossen und eingeführt werden. »Es kann nicht sein, dass die Unternehmen in der EU, die alle Bestimmungen einhalten müssen, am Ende die Dummen sind, weil ihre Konkurrenz aus China nicht auf die Einhaltung der EU-Normen kontrolliert werden kann und auch nicht wird«, schreiben HDE-Präsident Alexander von Preen und Hauptgeschäftsführer Stefan Genth.
Hintergrund ist ein geplantes Treffen der EU-Finanzminister am 20. Juni. Dort solle Klingbeil ein »entschlossenes Zeichen gegen die Paketflut sowie die Zigtausenden nicht verkehrsfähigen Produkte aus China« setzen, so der HDE. Die Instrumente dazu lägen auf dem Tisch.
Temu und Shein betonen stets, sich an geltendes Recht zu halten und dies auch von den Händlern zu verlangen. Während Temu lediglich als Plattform auftritt und selbst keine eigenen Produkte verkauft, lässt Shein unter seinem Markennamen auch Kleidung produzieren. Shein spricht sich in der EU für einen fairen Wettbewerb aus.
Konkret erwägt die EU unter anderem, die Zollfreigrenze in Höhe von 150 Euro abzuschaffen. Der HDE befürwortet das. Nach bisheriger Planung würde dies im Rahmen der EU-Zollreform jedoch frühestens 2028 greifen. Zu spät, findet der Lobbyverband.
Laut den EU-Überlegungen könnte bis dahin zunächst eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von bis zu zwei Euro pro Paket eingeführt werden. Dies begrüßt der Verband, allerdings müsse sichergestellt werden, dass diese nur für »Sendungen aus Ländern von außerhalb der EU erhoben wird und nur Waren betrifft, die direkt an die Endkunden versendet werden. Ansonsten könnte das die internationalen Einkäufe der heimischen Handelsunternehmen verteuern.«
Temu und Shein wenden sich Europa zu
Ein Ziel der angedachten EU-Maßnahmen ist es, den Versand einzelner Pakete für die Plattformen durch höhere Kosten uninteressant zu machen. So könnten sie dazu gebracht werden, Produkte in Großlieferungen über den Zoll einzuführen, wie es andere internationale Händler auch tun. Das würde Zollkontrollen erleichtern und unsichere Produkte könnten effektiver abgefangen werden, so die Hoffnung.
Der HDE verweist auf die USA, die ihre Zollfreigrenze in Höhe von zuvor 800 Dollar Anfang Mai abgeschafft haben. Laut dem Verband drohen deshalb aber neue Probleme für die EU. »Sichtbar ist, dass insbesondere Temu und Shein sich deutlich gen Europa orientieren, weil der US-Markt für diese Unternehmen aufgrund der US-Zollpolitik uninteressant geworden ist«, heißt es im Brandbrief.
In den USA würden die Plattformen nun weniger Werbung schalten, in der EU mehr. Die Firmen hätten »den EU-Binnenmarkt nunmehr als Hauptabsatzmarkt für ihre Produkte identifiziert«, mutmaßt der HDE.
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Neben der Abschaffung der Zollfreigrenze fordert der HDE unter anderem umfassende Testkäufe durch eine zentrale staatliche Stelle sowie eine Clearingstelle, die rechtsverletzende Plattformen schnell sperren können soll.
Nicht nur der Handel, sondern auch Tausende Zuliefererunternehmen seien derzeit »einem unfairen Wettbewerb ausgesetzt«, so der Vorwurf. Sie hätten mit Umsatzrückgängen von bis zu 60 Prozent zu kämpfen. »Der Handel bleibt folglich auf den zu deutlich höheren Preisen produzierten Waren sitzen.«
Päckchen von Temu: Kommt eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von zwei Euro pro Paket?
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