Deutschland und Europa sind massiv von seltenen Erden aus China abhängig, und an Warnungen vor den Folgen herrschte schon bisher kein Mangel. Doch die Lage ist offenbar noch bedrohlicher als bisher vermutet. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) mit Sitz in Wien.
Hauptgrund sei, dass der Westen nicht nur bei den Rohstoffen selbst stark von China abhängig ist, sondern vor allem bei kritischen Zwischenprodukten wie Magneten, Spezialkeramiken oder Legierungen. Bei den Permanentmagneten etwa, die für E-Autos, Windturbinen und Robotik unerlässlich sind, kontrolliere China zwar nur rund 58 Prozent des Abbaus der notwendigen seltenen Erden, aber 92 Prozent der Herstellung entsprechender Produkte.
Die EU sei bei ihren Magnetimporten zu 98 Prozent von China abhängig. Europa und die USA verfügten dagegen kaum über eigene Verarbeitungskapazitäten. »Diese Abhängigkeit birgt massive Risiken«, warnt ASCII-Direktor Peter Klimek, einer der Autoren der Studie. Sie würden oft unterschätzt, »weil viele Länder sich nur auf den Rohstoffzugang konzentrieren«.
Seit 2007 würden die dadurch entstehenden Verwundbarkeiten in den Lieferketten »erheblich zunehmen«. Schon geringe geopolitische Spannungen oder logistische Engpässe könnten Produktionsausfälle auslösen. »Ohne gezielte Investitionen in eigene Verarbeitungskapazitäten, strategische Partnerschaften und eine Diversifizierung der Bezugsquellen droht langfristig der Verlust technologischer Souveränität und der Zugang zu Zukunftsmärkten«, sagt Klimek.
Für Deutschland und seine Autozulieferer seien etwa Seltenerdmagneten besonders wichtig. Solche Engpässe könnten »ganze Produktionslinien gefährden«, warnen die Forscher. Die wirtschaftlichen Implikationen seien enorm: Von 168 für die Studie untersuchten Produktkategorien, für die seltene Erden benötigt würden, seien 77 für die deutsche Exportwirtschaft hochrelevant. Sie machten im Jahr 2023 ein Exportvolumen von rund 65 Milliarden Euro aus.
Auch Schlüsselkomponenten für die Energiewende sind potenziell betroffen, darunter Windturbinen. Allein in Offshore-Windparks werden pro Megawattleistung rund 500 bis 600 Kilogramm Permanentmagnete mit seltenen Erden verbaut, rechnen die Forscher vor. Eine einzige Zehn-Megawatt-Turbine enthalte bis zu sechs Tonnen dieser kritischen Hochtechnologiekomponenten.
Das Bundeswirtschaftsministerium legte am Dienstag zudem einen Plan vor, die Abhängigkeit von China bei Windturbinen zu reduzieren. Demnach sollen bis 2030 insgesamt 30 Prozent der benötigten Permanentmagnete aus anderen Quellen stammen. Bis 2035 soll dieser Anteil auf 50 Prozent steigen. Gelingen soll das mit staatlichen Garantien für Investitionen, die an langfristige Lieferverträge geknüpft sind, und neuen Partnerschaften mit Ländern wie Australien und Japan.
Auf EU-Ebene ist bereits im Mai 2024 das Gesetz zu kritischen Rohstoffen in Kraft getreten, das die sichere und nachhaltige Versorgung der europäischen Industrie mit seltenen Erden und anderen Rohstoffen gewährleisten und die Abhängigkeit von einzelnen Lieferländern verringern soll.
Dass das nötig ist, zeigt Chinas Bereitschaft, sein Quasimonopol bei seltenen Erden auch als politisches Druckmittel zu benutzen. Die deutsche Industrie etwa steckt schon jetzt in Schwierigkeiten, weil Peking die Ausfuhr seltener Erden gedrosselt hat – vermutlich auch, um im Streit mit der EU über Dumpingpreise und Marktzugänge Druck auszuüben. Wirtschaftsministerin Katherina Reiche hat kürzlich eingeräumt, dass in deutschen Betrieben bereits »stellenweise Produktionsbänder stillliegen« wegen des Mangels an seltenen Erden.
Selbst die USA bleiben davon nicht verschont. Als US-Präsident Donald Trump Importe aus China mit Zöllen belegte, drosselte Peking die Ausfuhr seltener Erden. Nach einer Einigung im Juni ließ Chinas Regierung zwar wieder mehr Exporte zu, doch die Ausfuhr von Rohstoffen, die für Rüstungsgüter wichtig sind, blieb beschränkt. Laut einem Bericht des »Wall Street Journal« kommt es dadurch bereits zu Engpässen etwa in der Herstellung militärischer Drohnen.
Eine schnelle Besserung der Lage ist laut den Autoren der ASCII-Studie nicht in Sicht: Chinas Anteil an der globalen Verarbeitung seltener Erden werde nach Zahlen der Internationalen Energieagentur bis 2040 lediglich um sechs Prozentpunkte sinken, von derzeit 91 auf 85 Prozent.
Gewinnung seltener Erden in China
Foto: Wang chun / Wang chun - ImaginechinaWirtschaftsministerin Reiche (vor einer Gasturbine im Werk von Siemens Energy in Berlin): Abhängigkeit von China soll sinken
Foto: Clemens Bilan / EPA