Eine äußerst miserable Idee

Zum Einstieg eine einfache Frage: Nehmen wir einmal an, der derzeitige Vizepräsident JD Vance würde der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden, könnte Europa, könnte Deutschland diesem Amerika dann vertrauen?

Manche Leserinnen und Leser werden bei dieser Frage innerlich bitter auflachen, denn dass man den USA unter Donald Trump noch trauen kann, scheint doch sehr fragwürdig. Es gibt aber gute Gründe, anzunehmen, dass es unter einem Präsidenten JD Vance noch schlimmer werden könnte. Und das liegt nicht zuletzt an dem Mann, der ihn  gefördert und mit dorthin gebracht hat , wo er jetzt ist: Peter Thiel. Er war in dieser Kolumne schon öfter Thema.

Wer sich für den Mann genauer interessiert, kann sich einen aktuellen Deutschlandfunk-Podcast  zum Thema anhören, der Thiel sogar zu Beginn vergleichsweise unvoreingenommen gegenübertritt, aber dann doch zu dem Schluss kommt, dass der Mann eine gewaltige Gefahr ist.

Peter Thiels Angst vor dem Antichrist

Hier ein paar Originalsätze von Thiel, dem Großinvestor des Silicon Valley, der mit PayPal und anschließend mit Investments in Facebook, SpaceX und Palantir reich wurde und der als eine treibende Kraft  hinter dem erstaunlichen Rechtsruck des Valley  gilt.

»Vor allem aber glaube ich nicht mehr daran, dass Freiheit und Demokratie kompatibel sind.«

»Seit 1920 haben die gewaltige Zunahme der Bezieher von Sozialleistungen und die Ausweitung des Wahlrechts auf Frauen – zwei für Libertäre notorisch schwierige Gruppen – die Idee einer ›kapitalistischen Demokratie‹ in einen unauflöslichen Widerspruch verwandelt  (Original: an oxymoron).«

»Wenn man eine Firma gründet, will man immer auf ein Monopol hinarbeiten und Wettbewerb vermeiden. Wettbewerb ist etwas für Verlierer. «

»Die apokalyptische Bedrohung [Thiel, bekennender Christ, bezieht sich hier auf das Neue Testament] wäre entweder der Antichrist oder Armageddon. Und ich glaube, etwas an dieser rasenden Wissenschaft und Technologie drängt uns in Richtung Armageddon. Dagegen gibt es natürlichen Widerstand: dass wir Armageddon verhindern mit einem Welt-Staat, der echte Zähne hat, echte Macht. Und der biblische Ausdruck dafür wäre der Antichrist 

In Thiels Gedankenwelt sind multinationale Organisationen wie die EU oder die Uno Vorboten dieses Superstaat-Antichrists. Er wünscht sich möglichst viele Staaten, die miteinander konkurrieren wie Unternehmen und auch so geführt werden.

Irrer ideologischer Cocktail

Dass Thiel »libertäre« Positionen vertrete, stimmt aber schon lange nicht mehr. Der Mann hat sich aus Katholizismus, marktradikalen Ideen, Ayn Rands Verachtung für Altruismus und ihrer Heroisierung des rücksichtslosen Unternehmers und bedingungsloser Technologiegläubigkeit eine ganz eigene, wirklich irre Ideologie gebastelt. Einer seiner Lieblings-Ideengeber, der frühere Programmierer Curtis Yarvin , möchte in den USA gern eine Monarchie einführen (bei der der König aber »CEO« genannt wird), die keine Rücksicht mehr auf die Schwachen nimmt. Seine Ideen sind äußerst finster . Yarvin könnte sich JD Vance wohl als ersten König vorstellen. Die versuchte Zerstörung der US-Verwaltung, die Elon Musk gerade begonnen hatte, entstammt direkt der Ideenwelt von Thiel und Yarvin.

Die Staatsverächter Musk und Thiel haben zugleich keinerlei Probleme damit, wenn ihre Unternehmen Hunderte von Millionen oder gar Milliarden von staatlichen Stellen einnehmen. Im Gegenteil, sie treiben das aktiv voran. Das dürfte einer der Gründe sein, warum Elon Musk nach dem Eklat mit Trump nun öffentlich zu Kreuze kriecht.

Doge und Palantir, Hand in Hand

Thiels derzeit erfolgreichste und vor allem mächtigste Investition ist das Techunternehmen Palantir, das Programme anbietet, die es autorisierten Nutzern ermöglichen, große Datenmengen aus Quellen wie etwa Mobilfunkzellen oder Social-Media-Posts zu kombinieren und zu analysieren. Für Unternehmen, Sicherheitsbehörden oder Militär macht Palantir dann Muster erkennbar. Palantir ist an der Börse derzeit knapp 280 Milliarden Euro wert. Dieser Wert hat sich seit der Wahl, die Donald Trump erneut zum Präsidenten und JD Vance zum Vizepräsidenten machte, fast verdreifacht . Mehrere Mitarbeiter von Musks Schattenbehörde Doge arbeiteten zuvor für Palantir. Die Kooperation ist eng .

Palantír heißen die magischen Steine zur Fernwahrnehmung und Kommunikation in »Der Herr der Ringe«, die insbesondere Sauron und Saruman benutzen, die Bösen in der Geschichte also. Das weiß Thiel, ein glühender Fantasy- und Science-Fiction-Fan, natürlich. Thiel selbst hält sich aber offenbar vor allem für einen Kämpfer gegen einen nebulösen »totalitären Staat«. Mittlerweile, siehe oben, mit offen religiösen Konnotationen. Thiel scheint die Offenbarung des Johannes, oder besser: spätere Interpretationen dieses halluzinierenden Textes, für eine echte Prophezeiung zu halten. Für den Fall einer echten Apokalypse plante er bereits den Bau einer Festung in Neuseeland.

Der CEO von Palantir heißt Alex Karp. Hier ein Originalzitat  von ihm:

»Amerikaner sind die liebevollsten, gottesfürchtigsten, fairsten, am wenigsten diskriminierenden Menschen auf dem Planeten. Und sie wollen sicher sein, dass wenn jemand nach dem Aufwachen auf die Idee kommt, amerikanischen Bürgern zu schaden, oder wenn amerikanische Bürger als Geiseln genommen und in Verliesen gefangen gehalten werden, oder wenn eine fremde Macht Fentanyl schickt, um unser Volk zu vergiften, dass denjenigen und ihren Freunden, ihren Cousins, ihren Bankkonten und ihren Geliebten und jedem, der daran beteiligt war, dann etwas sehr Schlimmes passieren wird

Rache an Verwandten und Freunden, das passt zur Grundhaltung von Donald Trump, der Rechtsstaatlichkeit auch überwiegend lästig findet. Und auch bei ihm hat man das Gefühl, dass sein taktisches Vorbild nicht Ronald Reagan, sondern Vito Corleone aus dem »Paten« ist.

Trump will Palantir künftig einsetzen , um Daten über alle US-Bürger zusammenzuführen. Diverse Behörden setzten die Software des Unternehmens dort längst ein, nicht nur CIA und Militär, sondern beispielsweise auch Gesundheits- und Einwanderungsbehörden. Bei der Investmentbank JPMorgan Chase drehte ein Mitarbeiter, der Palantir nutzte, schon mal durch ob seiner gefühlten Allmacht, wie man in diesem spektakulären Bloomberg-Text von 2018  nachlesen kann.

Kann man diesen Firmen trauen? Nein

Palantir ist ein Softwareunternehmen, dessen Software erst dann nützlich wird, wenn man ihr Zugriff auf große Datenmengen gewährt. Palantir beteuert stets , dass der Zugriff auf diese Daten selbstverständlich durch die Kunden geregelt und bestimmt werde. Und dass man die Daten nicht unbedingt auf US-Cloud-Servern, sondern auch lokal, auf eigenen Rechnern, lagern könne. Wie wenig solche Zusicherungen von US-Tech-Unternehmen wert sind, wissen wir spätestens seit den Snowden-Enthüllungen .

Ganz grundsätzlich gilt: Eine Software, die nicht quelloffen ist und zudem selbstverständlich von regelmäßigen Updates aus dem Mutterhaus abhängt, ist immer ein potenzielles Einfallstor für Manipulationen und Datenabflüsse. Das ist ein unverrückbares Faktum der IT-Sicherheit. Deshalb ist das Schlagwort »Digitale Souveränität« im Zusammenhang mit US-Software gerade wieder so beliebt.

»Nichts Gleichwertiges zu bieten«

In Deutschland wird Palantir-Software derzeit von Polizeibehörden in Hessen, Bayern und Nordrhein-Westfalen eingesetzt. Die Bürgerrechtsorganisation Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hält das sowohl aus Sicherheitsgründen als auch verfassungsrechtlich für ein gewaltiges Problem: »Mit dem Einsatz der Software gehen schwere Grundrechtseingriffe, erhebliche Diskriminierungs- und Stigmatisierungsrisiken sowie Bedenken hinsichtlich der Datensicherheit und der allgemeinen Missbrauchsgefahr einher.« Die GFF geht gegen den Palantir-Einsatz vor dem Bundesverfassungsgericht  vor.

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat Bauchschmerzen mit Palantir, hätte lieber europäische Anbieter, aber : »Andere haben wirklich nichts Gleichwertiges zu bieten gehabt.«

Einige Beschäftigte in Polizeibehörden, die mit Palantir arbeiten, schätzen das System offenbar und haben Anekdoten parat, bei welchen Fällen es ihnen schon geholfen hat. Innenminister Alexander Dobrindt von der CSU will zumindest nicht ausschließen, Palantir-Software flächendeckend in Deutschland einzusetzen , der Bundesrat drängt darauf . Es gibt dem Bayerischen Rundfunk zufolge allerdings mehrere Bundesländer, die sich dagegen entschieden wehren .

Der flächendeckende Einsatz ist eine miserable Idee. Es wäre sensationell kurzsichtig, sich gerade in Sicherheitsfragen noch weiter von einem US-Unternehmen mit engsten Kontakten zu jenen abhängig zu machen, die gerade Demokratie und Rechtsstaat abzuschaffen versuchen; die rechtsextreme Parteien auch in Europa hofieren und soziale Gerechtigkeit für einen Irrweg halten.

Wenn europäische Strafverfolger so dringend Hilfe beim Umgang mit ihrem Datenwust brauchen, dann sollte diese quelloffen, transparent und europäisch sein. So etwas könnte man auch gezielt fördern. Und damit womöglich ein Produkt schaffen, das andere Länder sehr attraktiv finden, denen Leute wie Trump, Thiel und Vance große Sorgen bereiten.

Es ist Zeit für »digitale Souveränität«. Das fand Alexander Dobrindt übrigens schon 2013 . Leider ist bis heute nichts daraus geworden.

Anmerkung der Redaktion: Mehrere Länder im Bundesrat sind dem Bayerischen Rundfunk zufolge strikt gegen einen Palantir-Einsatz in Deutschland. Wir haben den Text entsprechend ergänzt.

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