Ältester Nachweis von Sex zwischen Neandertaler und Homo sapiens

Bis heute steckt im Genom von Menschen in Europa auch Neandertaler-DNA. Irgendwann müssen sich Homo sapiens, der Fachbegriff für alle modernen Menschen, und Neandertaler miteinander fortgepflanzt haben. Doch wann genau?

Forschende aus Israel und Frankreich wollen nun den bisher ältesten Beleg dieser Vermischung ausgemacht haben. Demnach kreuzten sich die Neandertaler wohl schon vor 140.000 Jahren mit modernen Menschen – deutlich früher als zuvor angenommen.

Das Ergebnis dieser prähistorischen Fortpflanzung war ein Kind, dessen Überreste vor etwa 90 Jahren in der Skhul-Höhle auf dem Berg Karmel im Norden Israels entdeckt wurden, heißt es in einer Studie im Fachblatt »L’Anthropologie« .

Fund in einer Höhle

Neue Untersuchungen zeigen: Der Schädel des etwa fünf Jahre alten Kindes ähnelt in seiner Gesamtform dem eines Homo sapiens. Die Blutversorgung innerhalb des Schädels sowie der Unterkiefer und das Innenohr glichen eher dem, was von Neandertalern bekannt ist. Für die Forschenden ist das der Beweis, dass es sich um einen Hybrid handelt.

Lange sei angenommen worden, dass sich die Neandertaler in Europa entwickelten und erst vor etwa 70.000 Jahren nach Israel eingewandert seien, so das Forschungsteam weiter. Eine Studie aus dem Jahr 2021 habe aber gezeigt, dass Neandertaler bereits vor 400.000 Jahren in Israel lebten.

Für ihre Untersuchung nutzte das Forschungsteam Mikro-CT-Technologie, um ein genaues dreidimensionales Modell des Schädels zu erstellen. Auch das Schädelinnere konnte dadurch in 3D abgebildet werden.

Spuren am Kiefer

»Besonders der Unterkiefer trägt eindeutige Merkmale des Neandertalers«, sagte Dustin Welper dem SPIEGEL. Der Anthropologe leitet die Forschungsabteilung am Neanderthal Museum bei Mettmann in Nordrhein-Westfalen und war nicht an der aktuellen Studie beteiligt. Laut ihm haben alle heute lebenden Menschen typische, knöcherne Erhebungen am Unterkiefer, die bei dem Kind nicht auftreten.

»Das ist ein Indiz dafür, dass es sich tatsächlich um einen Hybrid aus Neandertaler und modernem Menschen handeln könnte«, so Welper. Sicherheit könnten jedoch nur Genanalysen bringen, die noch ausstehen.

Der bisher älteste Nachweis einer Vermischung der beiden Arten wird auf etwa 28.000 Jahre geschätzt. Auch dabei handelt es sich um das Skelett eines Kindes, das 1998 in Portugal gefunden wurde. Bis heute ist unter Fachleuten jedoch umstritten, ob es sich tatsächlich um das Kind eines Neandertalers und eines modernen Menschen handelt.

Trotz aller Zweifel: »Untersuchungen der vergangenen zehn Jahre haben gezeigt, dass Neandertaler und Homo sapiens Gene ausgetauscht haben«, sagte Israel Hershkovitz, einer der Hauptautoren der Studie und Professor für Anatomie und Anthropologie an der Universität Tel Aviv.

Ein Teil der Erbinformationen heute lebender Menschen, etwa zwei bis sechs Prozent, gingen auf den Neandertaler zurück, so Hershkovitz. Dieser Genaustausch habe jedoch deutlich später stattgefunden als bei dem nun entdeckten Fall, etwa vor 60.000 bis 40.000 Jahren. (Mehr dazu lesen Sie hier.)

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