Kann der Kanzler heute seine Ex-Fans besänftigen?

Selbstzerstörerische Partei Deutschlands

Oje, wieder eine SPD-Versammlung in Berlin.

Wieder die Chance für die Sozialdemokraten, sich selbst zu zerstören?

So wie neulich bei der Wahlversammlung der SPD in Berlin-Neukölln. Da schossen sogenannte Parteilinke und Jusos den erfolgreichen Bezirksbürgermeister Martin Hikel ab, der neuerlich für seine SPD kandidieren wollte. Aber weil er sich in dem sozial schwierigen Bezirk unter anderem dem Kampf gegen kriminelle Clans widmete, schien er einigen Kräften bei der SPD nicht genehm, oder wie es hieß: zu medienwirksam. Hikel erhielt nicht mal 70 Prozent der Stimmen – und zog seine Kandidatur zurück.

Heute geht es um die Kür des Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl im September 2026. Steffen Krach soll das übernehmen, der 46-Jährige war mal Staatssekretär für Wissenschaft in Berlin, stammt aus Hannover, wirklich bekannt ist er nicht. Seine SPD, die Berlin über Jahrzehnte prägte, dümpelt in den Umfragen bei um die 15 Prozent. Krach ist ein Pragmatiker, so wie Hikel. Der gibt sich am Freitag im RBB optimistisch. Anders als sein Kreisverband sei die Landes-SPD in den Positionen geeint: »Und darum wird es morgen ganz anders als in der Neuköllner SPD.«

Auch die Berliner Linke will heute ihre Spitzenkandidatin Elif Eralp offiziell aufstellen, in den Umfragen liegt die Partei knapp vor Grünen und SPD. Auf der Tagesordnung steht allerdings auch eine Debatte zu Nahost und Gazakrieg. Zuletzt ging es selten gut aus, wenn die Linke sich mit diesem Thema beschäftigt hat (zum Beispiel hier ).

  • Mehr Hintergründe hier: Dieser SPD ist nicht mehr zu helfen 

Achterbahn für den Kanzler

»Beste Unterhaltung im November« versprechen sie beim Europapark Rust ihren Besuchern: über 100 Attraktionen, darunter »rasante Achterbahnen«. Tja, und ausgerechnet hier, in einem Vergnügungspark auf halber Strecke zwischen Straßburg und Freiburg, könnte es kritisch werden für Friedrich Merz.

Die Junge Union hat zum »Deutschlandtag« geladen, quasi die Jahreshauptversammlung des Parteinachwuchses von CDU und CSU. Heute Vormittag spricht Merz, am Nachmittag Fraktionschef Jens Spahn. Über allem und allen thront ein Thema: der Streit über die Rente. Die Junge Gruppe der Unionsfraktion mit ihren 18 Mitgliedern hat angekündigt, dem mit der SPD vereinbarten Rentenpaket so nicht zuzustimmen. (Lesen Sie hier  ein Interview mit JU-Chef Johannes Winkel).

Der Grund: Der Entwurf von SPD-Arbeitsministerin Bärbel Bas sieht vor, dass das Rentenniveau bis 2031 gehalten wird und danach weniger stark absinkt. Letzteres verursacht Mehrkosten von mehr als 100 Milliarden Euro. Die Jungen sehen darin einen Verstoß gegen den Koalitionsvertrag. Das Problem für den Kanzler: Er hat nur eine 12-Stimmen-Mehrheit im Bundestag, er braucht die Jungen.

Merz hat signalisiert, dass er sich in ihrem Sinne darum kümmern werde. So berichten es die Jungunionisten. Er hat aber auch den Sozialdemokraten signalisiert, dass er sich in deren Sinne kümmern werde. So berichten sie es in der SPD. Und Fraktionschef Spahn? Der hat die Nummer laufen lassen.

Mein Kollege Christian Teevs, der heute im Europapark das Aufeinandertreffen der Jungen mit ihrem Ex-Idol Merz beobachtet, sagt: »Das wird ein heikler Auftritt für den Kanzler. Er kann der JU eigentlich nichts versprechen, aber ganz ohne Angebot dürfte es sehr unangenehm für ihn werden. Er hat sich in eine Zwickmühle hineinmanövriert, ich bin gespannt, wie er da heute rauskommen will.«

  • Mehr Hintergründe hier: Unionsfraktionschef Jens Spahn – Der Mann, dem sie misstrauen 

Nun sag’, wie hast du’s mit Putin?

Die Alternative für Russland, Pardon, die Alternative für Deutschland hat ein Putin-Problem. Auch weil zuletzt Parteichef Tino Chrupalla seine Nähe zur imperialen Atommacht im Osten und dessen Herrscher bei »Lanz« bis zur Schmerzgrenze auslebte (»Mir hat er ja nichts getan«), befürchten insbesondere westdeutsche AfD-Kader Rückschläge für die kommenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. (Lesen Sie hier  eine Kolumne dazu).

Zwischen dem Russland zugetanen Chrupalla und seiner eher dem Völkischen zugeneigten Co-Vorsitzenden Alice Weidel verschärft das den Machtkampf. Meine Kollegin Ann-Katrin Müller und mein Kollege Fabian Hillebrand aus dem Hauptstadtbüro berichten hier vom Riss, der durch die AfD geht. Als »Westextremisten« würden hinter den Kulissen die Russlandkritiker in der Partei geschmäht. Die revanchieren sich mit dem Schmähwort vom »Russenstusser«.

  • Die ganze Geschichte hier: Putin treibt einen Keil zwischen Weidel und Chrupalla 

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Blick zurück, Teil drei

Als der heute weitgehend vergessene Politikwissenschaftler Sigmund Neumann im Jahr vor Hitlers Machtübernahme die Nazi-Partei analysiert, kann er nicht ahnen, wie schnell die Republik von Weimar untergehen wird. Ich habe in den letzten beiden Tagen hier und hier Neumanns Erkenntnisse zum Parteiensystem und der SPD zitiert. Heute, zum Abschluss, geht es um: die Nazis.

Er beschreibt, wie die NSDAP als Protestpartei groß geworden ist: »Jede Neubildung ist ein Zeichen des Ungenügens der alten Gruppierungen. Irgendetwas ist versäumt worden, eine soziale Gruppe nicht genügend erfasst, reale Not nicht bezwungen, eine lebendige Strömung nicht eingefangen, Ehre und Stolz nicht befriedigt, Menschentum nicht ergriffen.« Die Nationalsozialisten suggerierten »in einer völlig haltlosen Zeit« eine »neue, absolute Wertwelt«.

Die NSDAP sei zunächst »Partei des Mittelstands«, erfolgreich bei der wachsenden Gruppe der aufstiegsorientierten Angestellten, denen aber »ökonomische Verproletarisierung« droht. Diese »strukturelle Beunruhigung« mache sie zu einer »entscheidend dynamisierten Gruppe«. Hinzu kommt die Begeisterung der »ökonomisch beunruhigten« Jugend, insbesondere an den Universitäten: »Ein Riesenheer des geistigen Proletariats.«

Neumann macht bei der NSDAP zuletzt eine »taktische Wendung« aus, »die Staatsmacht auch auf dem Koalitionswege zu erobern«. Ob das die Nazi-Partei entzaubern oder vielleicht zu ihrer »Liberalisierung« führen könnte? Noch einmal abschließend Neumann: Entweder komme der Nationalsozialismus zum »baldigen Erfolg« oder er werde in seiner politischen Bedeutung einbüßen.

Zum großen Unglück der Welt kam der baldige Erfolg, die Konservativen koalierten. Damals.

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

  • US-Präsident streicht Zölle auf Kaffee, Bananen und Rindfleisch: Erst überzog Donald Trump etliche Länder mit drastischen Zöllen, jetzt nimmt er bei bestimmten Importen die Abgaben wieder zurück. Grund sind die hohen Lebensmittelpreise in den USA.

  • Donald Trump ordnet Ermittlungen gegen Bill Clinton an: Es wirkt wie ein Ablenkungsmanöver: Während die Vorwürfe gegen ihn im Fall Epstein lauter werden, drängt Donald Trump auf Untersuchungen gegen den demokratischen Ex-Präsidenten Bill Clinton.

  • Bahn startet Bauarbeiten am Kölner Hauptbahnhof: Da simmer dabei: Die Deutsche Bahn beginnt am Kölner Hauptbahnhof mit dem Bau eines neuen Stellwerks. Zehn Tage ist der Betrieb massiv eingeschränkt. Für Ärger sorgt ein Softwarefehler, der eine weitere Sperrung verursacht.

Heute bei SPIEGEL Extra: Dieser Pastor nimmt Menschen auf, die sonst keiner haben will

Gottfried Martens gewährt in seiner Gemeinde in Berlin-Steglitz Flüchtlingen Kirchenasyl, damit sie nicht abgeschoben werden. Für die einen ist er ein wahrer Christ, für andere ein Saboteur des Rechtsstaats .

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihr Sebastian Fischer, Autor im SPIEGEL-Hauptstadtbüro

Designierter SPD-Spitzenkandidat Krach

Foto: Elisa Schu / dpa

JU-Chef WInkel

Foto: Philipp von Ditfurth / dpa

AfD-Vorsitzende Weidel, Chrupalla

Foto: Kay Nietfeld / dpa

NSDAP-Reichstagsabgeordnete in Uniform, im August 1932

Foto: AP

Pfarrer Martens: Als ob er eine unsichtbare Grenze kontrollierte

Foto:

Max Avdeev / DER SPIEGEL

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