Es hätte ein Spitzenspiel zum Bundesligaauftakt werden sollen, es wurde eine Vorführung. Der FC Bayern München besiegte RB Leipzig daheim 6:0, einen Gegner also, der eigentlich gern ein Bayern-Konkurrent wäre, sich dann jedoch als Spielball entpuppte. Und obwohl sich die Münchner teils wunderbare Tore herausspielten, ging es nach diesem Traumauftakt in die neue Ligasaison nicht nur um sportliche Themen, sondern auch um einen Handschlag.
Zu sehen war dieser auf der Tribüne der Münchner Arena. Nachdem kurz vor der Pause das 3:0 für die Bayern gefallen war, erhob sich Uli Hoeneß von seinem Platz, dann streckte er die Hand aus, er reichte sie Max Eberl. Dem Mann also, dem Hoeneß gerade den Job nicht gerade erleichtert hatte, indem er bestimmte, dass Eberl keinen Spieler mehr kaufen, sondern bloß noch ausleihen dürfe. Woraufhin Sportchef Eberl darlegte, wie sehr ihm dadurch seine Aufgabe erschwert wurde, den dünnen Münchner Kader anzudicken.
Das war am Donnerstag. Dann folgte der Handschlag von München.
»Er reichte mir die Hand und ich habe sie gerne genommen«
Am späten Freitagabend wurde Eberl daher nicht nur zur starken Leistung seiner Bayern befragt, sondern auch zum Handshake mit Hoeneß. Was hatte ihm der Ehrenpräsident und Aufsichtsrat des Klubs eigentlich genau gesagt, als er ihm die Hand hinhielt?
»Gar nix«, antwortete Eberl, »er reichte mir die Hand rüber und ich habe sie gern genommen«. Und: »Wir waren einfach extrem froh.«
Wir.
Eberl demonstrierte damit das, was Hoeneß zuvor auf der Tribüne zur Schau gestellt hatte: Zusammenhalt. Davon war nach Hoeneß’ öffentlichem Kaufveto und Eberls sarkastisch anmutender Reaktion nicht unbedingt auszugehen.
Sind die Münchner Wogen damit geglättet?
Das Zeug dazu, einen angespannt wirkenden Klub zu beruhigen, hatte dieses 6:0 durchaus.
Dem Tor zum 2:0 gingen etliche Pässe voraus, es war ein herausgespielter Treffer im Wortsinn, eine beachtliche Kombination, veredelt von Serge Gnabry und dessen Absatzpass sowie dem spektakulären Abschluss von Torschütze Luis Díaz.
Dieses 2:0 feierte Führungsspieler Joshua Kimmich derart wild tanzend und brüllend, dass man meinte, Díaz hätte die Münchner soeben zum Champions-League-Titel geschossen.
»Ich fand das Tor extrem«
»Ich weiß nicht, ob man das von außen so spürt, aber für uns auf dem Platz hat es sich sehr, sehr gut angefühlt«, sagte Kimmich nach dem Spiel: »Ich hatte zwar nichts mit dem Tor am Hut«, sagte er, aber: »Ich fand das Tor extrem«.
Ihn habe beeindruckt, wie ruhig die Mannschaft es herausgespielt habe, wie viele Spieler daran beteiligt gewesen seien. So wie vor diesem Tor wollen die Bayern gern immer spielen. Ein Moment, in dem sich alles fügt.
Tatsächlich kam bei diesem Tor einiges zusammen, das galt auch für das gesamte Spiel.
Zugang Díaz, den die Bayern, den Sportchef Eberl gerade erst für sehr viel Geld aus Liverpool verpflichtet hatten, erzielte bei seinem Bundesligadebüt ein Tor und bereitete zwei weitere vor. Serge Gnabry gab ebenfalls zwei Vorlagen. Jener Gnabry, der nach zwei mäßig bis schlechten Jahren plötzlich Stammspieler sein muss, weil im Bayern-Kader die Alternativen fehlen. Nun scheint er zur rechten Zeit aufzublühen. Er habe Gnabry zur Halbzeit auf dem Weg in die Kabine gesagt, dass er ein außergewöhnlich gutes Spiel mache, sagte Kimmich über seinen Teamkollegen und Freund. »Er hat unfassbar gute Entscheidungen getroffen.«
Hinzu kommen der gute Auftritt von Neu-Verteidiger Jonathan Tah, auch so ein Eberl-Transfer. Ein starker Leon Goretzka, der offensiver spielte als in der Vorsaison und in dieser veränderten Rolle mithelfen könnte, das Fehlen von Jamal Musiala aufzufangen. Oder Michael Olise und Harry Kane in Topform. Es bedurfte keines Beweises mehr, zu welchen Leistungen die Bayern imstande sind, wenn alle Spieler fit und in Form sind. Und auch dafür nicht, dass einige der von Eberl geholten Fußballer ziemlich viel drauf haben. Das 6:0 gegen Leipzig lieferte ihn trotzdem.
Doch weder das 6:0 noch der Handschlag zwischen Hoeneß und Eberl ändern etwas an der Tatsache, dass diese Bayern-Offensive nicht dazu taugen dürfte, eine Saison zu überstehen.
»Wir können alle zählen«, sagte Kimmich. »Wir wissen alle, wie viele Spieler gegangen sind, wie viele Spieler gekommen sind.« Wer es doch nicht weiß: Es gingen, in der Offensive, vier, und es kam dort ein Spieler. Er könne nicht beeinflussen, was passiere, deswegen versuche er, sich nicht zu viele Gedanken darüber zu machen, sagte Kimmich.
Nur eines kann sich der FC Bayern derzeit noch weniger leisten als teure neue Profis: niemanden zu verpflichten.
Ihm würden täglich mehrere Spieler von Beratern angeboten, sagte Eberl auf Nachfrage. Und was die so komplizierte Ausleihe eines Offensivspielers betrifft, sagte er, dass zum Ende des Transferfensters (das am 1. September schließt) möglicherweise manch Profi, der aktuell verkauft werden soll, doch noch verliehen werden könnte.
Tatsächlich werden sich einige Vereine sehr genau überlegen, was sie teurer zu stehen kommt: einen Spieler, den man eigentlich verkaufen will, bloß zu verleihen, ihn dafür aber nicht mehr im Kader (und auf der Gehaltsliste) zu haben – oder einen unerwünschten Spieler durch die Saison zu schleppen.
Eberl sagte aber auch, dass er ungern bis zum Ende der Transferperiode warten wolle. Auch wolle er nicht nur reagieren. Man habe Gedanken und arbeite an der Umsetzung. Das klang, als arbeite er bereits an der Ausleihe eines neuen Angreifers.
Wer auch immer kommen mag: Was Eberl, Hoeneß und der FC Bayern in den kommenden Tagen auf dem Transfermarkt unternehmen, wird für den Erfolg dieser Münchner Saison wichtiger sein als ein 6:0 über Leipzig.
Ehrenpräsident Hoeneß, Sportchef Eberl: »Wir waren einfach extrem froh«
Foto: Karl-Josef Hildenbrand / AFPBayern-Profis Laimer, Díaz, Kane: »Auf dem Platz sehr, sehr gut angefühlt«
Foto: Ronald Wittek / EPA