Natürlich, man kann die Geschichte sehr leicht so erzählen: Die Fußball-Bundesliga, die am Abend in ihre 63. Spielzeit einbiegt, hat noch einmal an Format eingebüßt, an Qualität verloren.
Bayer Leverkusen steht ohne Florian Wirtz da, mithin der neben Jamal Musiala begabteste Fußballer, den es in diesem Land gibt. Wirtz hat damit bei dem Klub zudem eine Ausreisewelle in Gang gesetzt, weitere Stars haben Bayer verlassen.
Eintracht Frankfurt hat mit Hugo Ekitiké auch seinen zweiten Torjäger nach Omar Marmoush gehen lassen.
RB Leipzig verliert seinen versierten Stürmer Benjamin Sesko, Borussia Dortmund hat sich so gut wie gar nicht verstärkt.
Die Klubs, die theoretisch dafür infrage kommen, dem FC Bayern Konkurrenz zu machen, haben sich mehr oder weniger selbst aus dem Titelrennen genommen. Bevor der erste Anpfiff ertönt.
18 von 18 Bundesligatrainern haben in dieser Woche prognostiziert, dass München der alte und neue Meister wird.
Der Star heißt Wagner
Und wenn man in den vergangenen Tagen die Berichterstattung über die Bundesliga studiert, kann man den Eindruck haben, der einzige neue Star, den diese Liga hinzubekommen hat, ist der Trainer des FC Augsburg, Sandro Wagner.
Noch mal zur Verdeutlichung: die Rede ist von Sandro Wagner. Die Rede ist vom FC Augsburg.
Aber man kann das Ganze auch einfach umdrehen, so wie man ja auch die Tabelle umdrehen kann, und dann ist der Blick auf diese neue Spielzeit überhaupt nicht mehr desillusionierend.
Die Liga nivelliert sich weiter zwischen Platz zwei und Platz 18, und das ist für einen spannenden Wettbewerb die beste Voraussetzung. Man muss die Bayern aus diesem Spiel eben nur herausrechnen.
Wenn der Vizemeister aus der Saison 2023/2024, der VfB Stuttgart, in der Folgesaison nur auf Platz neun einkommt, wenn der Möchtegern-Bayern-Konkurrent RB Leipzig am Ende der Spielzeit Siebter wird und die europäischen Ränge verfehlt, wenn Borussia Dortmund, die ewige Nummer zwei, sich im allerletzten Moment an die Champions-League-Plätze klammern kann wie ein Schiffbrüchiger ans Rettungsboot, dann ergibt dies das Bild einer Liga, in der vieles möglich erscheint.
Die Augsburgisierung der Liga
Hinter den Bayern breitet sich ein fußballerisches Mittelfeld aus, das bis weit in die Abstiegszone hineinreicht.
In den sozialen Medien wird schon gespottet, es sei eine Liga mit 15 oder 16 Abstiegsanwärtern. Das ist sicher übertrieben, aber auch nur leicht.
Wenn man so will, ist der FC Augsburg insofern tatsächlich ein Symbolklub der Bundesliga: Die gesamte Liga beginnt, sich auf sein Niveau einzupendeln. Die Liga wird ausgsburgisiert.
Das klingt auf den ersten Blick fürchterlich, aber macht die Liga unberechenbar. Und Berechenbarkeit ist das, was einem Fußballspiel am abträglichsten ist.
Jeder Spieltag ist eine Blackbox: bei der Dortmund in Heidenheim verlieren kann, Frankfurt Punkte beim FC St. Pauli lässt und Bayer Leverkusen über den Hamburger SV stolpert. Auch wenn diese Vorstellung derzeit noch abenteuerlich klingt.
Stimmungsmacher sind zurück
Mit dem HSV und dem 1. FC Köln sind zudem zwei Stimmungsmacher zurück in der Liga, zwei Teams, über die man sich aufregen, über die man spotten, die man lieben kann. Zwei Klubs, die machen können, was sie wollen (was sie ja meistens auch tun), immer wird man über sie sprechen.
Der FC Bayern ist das Paralleluniversum dieser Liga, so benehmen sie sich auch, im Vorstand, im Aufsichtsrat, sie beschäftigen sich vor allem mit sich selbst.
Derzeit scheint man an der Säbener Straße das interessante Experiment zu starten, ob man angesichts zahlreicher Abgänge, mehrerer Verletzter und fehlender Zugänge eine Liga auch mit einem 13er-Kader dominieren kann (Spoiler: Man kann).
Kerngeschäft und doch nur Beifang
All die Debatten über ausbleibende Transfers und das Ausdünnen des Kaders in München sind letztlich auf die Champions League fokussiert. Auch wenn es paradox klingt: Die Bundesliga ist das Kerngeschäft und gleichzeitig aber nur der Beifang für die Bayern, das war so, das ist so, und das wird sich künftig noch verschärfen. Sie spielen in ihrer eigenen Liga. Man tut gut daran, das längst akzeptiert zu haben.
Umso mehr sollte man den Blick auf die übrigen 17 Teams richten. Die sind schließlich die klare Mehrheit. Es ist eine 17+1-Liga. Also dann: Wie wird sich Werder morgen in Frankfurt schlagen? Hat der 1. FC Köln im Karnevalsduell in Mainz eine Chance? Wie kommen die Sorgenkinder Borussia Mönchengladbach und Hamburger SV im direkten Duell in die Saison? Bringt der FC Sankt Pauli den BVB gleich zum Auftakt in die Bredouille?
Alles offen. Das ist doch herrlich.
Augsburg-Trainer Sandro Wagner
Foto: Tom Weller / dpaHSV-Fans nach dem Wiederaufstieg im Mai
Foto: Fabian Bimmer / REUTERS