Beim Hamburger Megaprojekt Elbtower, an dem die Arbeiten seit Oktober 2023 gestoppt sind, mehren sich die Probleme. Nicht nur der Verkauf gestaltet sich schwierig, auch beim Bau zeigen sich neue Ungereimtheiten. Konkret geht es darum, dass sich das Bauwerk senkt. Die Auswirkungen auf nahe Anlagen der Deutschen Bahn scheinen dabei weit größer als dargestellt. Das belegen Messdaten, die dem SPIEGEL vorliegen.
Alarmwerte, die frühzeitig schädliche Folgen etwa für Eisenbahnbrücken anzeigen sollen, wurden demnach schon im Frühjahr 2024 weit überschritten. Dabei hatte der Senat im April dieses Jahres erklärt, der Bauaufsicht sei erst im vergangenen Dezember eine Übertretung übermittelt worden, diese sei unkritisch. Die Werte aus dem Frühjahr waren teils tatsächlich doppelt so hoch.
Protokolle zeigen, dass im Februar 2024 Drehungen der Elbtower-nahen Eisenbahnüberführung Ladestraße um ihre Quer- und Längsachsen gemessen wurden: Demnach lag der Wert für die sogenannte Verwindung bei 1,1 Promille, der für die sogenannte Verkantung bei 1,5. Für beide Verformungen liegt der Alarmwert bei 0,7. In Prüfberichten sind die Werte rot markiert.
Doch die Bauaufsicht erfuhr davon wohl nichts. Dabei hatte sie im Februar 2023 zur Auflage gemacht, dass ihr »jede Überschreitung eines Alarmwertes« unverzüglich zu melden sei.
Im Dezember 2024, als schon Gegenmaßnahmen ergriffen worden waren, wurden ihr entspanntere Werte übermittelt: 0,6 Promille Verwindung, 0,7 Verkantung. Offenbar ignorierte der Insolvenzverwalter der Elbtower-Projektgesellschaft, Torsten Martini, seine Informationspflicht bezüglich der Alarmwerte. Er hat seit der Insolvenz der Signa-Gruppe von Gründer René Benko das Sagen. Kommentieren will er das Geschehen nicht.
Wieso pocht die Behörde nicht auf ihre eigene Auflage?
Die Behörde hält sich bedeckt: Ein Sprecher verweist darauf, dass das Monitoring »privatrechtlich« zwischen Bahn und Bauherrin vereinbart sei, die Bahn müsse die Ergebnisse überprüfen, eine Expertengruppe beider Seiten nötige Maßnahmen bestimmen. Sämtliche erhobenen Werte seien »im erwarteten Umfang«. Wieso die Behörde nicht auf ihre eigene Auflage pocht? Darauf gibt es keine Antwort.
Die Alarmwerte dürften wenig hilfreich sein für die zähen Verhandlungen etwa mit dem Hamburger Unternehmer Dieter Becken. Er gilt als potenzieller Investor für einen Weiterbau des Elbtowers. Die Bauherrin muss der Bahn die Schäden und Ausgleichsarbeiten bezahlen.
Womöglich hätte der Senat die frühen Überschreitungen der Messwerte schon lange ahnen können. Es habe einen ersten Hinweis auf Überschreitungen bei einer Besprechung mit der beauftragten Vermessungsfirma am 19. Januar 2024 gegeben, antwortete er Ende vergangener Woche auf eine »Kleine Anfrage« von Heike Sudmann. Die baupolitische Sprecherin der Linken in der Hamburger Bürgerschaft hat beim Thema Grenzwerte ebenfalls nachgeforscht. Der Senat habe also »quasi beiläufig« davon erfahren, kritisiert sie. Offenbar bohrte niemand nach, was es damit auf sich haben könnte.
»Augen zu und durch«
»Weshalb erteilt die Behörde Auflagen, wenn sie sich nicht für die Einhaltung interessiert?«, fragt die Politikerin. Bei diesem sensiblen Thema gehe es nicht mit »Augen zu und durch«. Nicht umsonst bezeichnet sich die von der Baubehörde genannte Expertengruppe selbst als Krisenstab, wie einem Gutachten für den Insolvenzverwalter über die Auswirkung der Elbtower-Setzungen zu entnehmen ist. Dort, so Sudmann, müsse die Bauaufsicht auch mit dabei sein. Doch sie unternehme wohl den Versuch, »sich herauszuhalten«.
Die Bahn will die Messwerte »weiterhin streng beobachten«, so wie in einem Gutachten empfohlen, sagte ein Bahn-Sprecher. Da die gesetzten Grenzwerte sehr eng seien, gebe es ausreichend zeitlichen Spielraum für frühzeitige Reaktionen. 2022 und im Frühjahr 2024 seien bereits Brückenlager an der Ladestraße angepasst worden. Weitere solche Arbeiten seien für dieses Jahr geplant.
Das Problem: Die Grenzwerte erreichen trotz der bisher erfolgten Anpassungen die Alarmwerte, wie die Messdaten aus Dezember belegen. Und das, obwohl derzeit am Elbtower niemand baut und der Turm erst 100 Meter misst – weit entfernt noch von den letztlich geplanten 245 Metern.