»Ich bin ein Magnet für alle Verrückten«

Fast jeden Abend rief Albert Einstein in seinen letzten Lebensjahren bei Johanna Fantova an. »Ich habe den ganzen Abend gerechnet«, beklagte er sich einmal dabei. »Ich bin schon ganz verrechnet – es ist halt furchtbar schwer.« Ein anderes Mal erzählte er von einem Besuch bei seinen Nachbarn in Princeton im US-Bundesstaat New Jersey. »Es besteht Gefahr, dass ihr Sohn heiratet. Übers Heiraten sagte ich zu ihnen, es ist ein unglücklicher Versuch, aus einem Ereignis einen Zustand zu machen.«

Fantova gilt als Einsteins letzte Liebe. Sie schrieb die abendlichen Telefonate mit und tippte sie später ab – wohl mit Einverständnis des berühmten Wissenschaftlers. Ihre Protokolle umfassen 62 maschinengeschriebene Seiten in deutscher Sprache, mit datierten Einträgen vom 14. Oktober 1953 bis zum 12. April 1955. Sechs Tage nach dem letzten Eintrag starb Einstein im Alter von 76 Jahren.

Den 22 Jahre älteren Einstein lernte Fantova schon in jungen Jahren in Prag kennen. 1981 starb auch sie in Princeton. Möglicherweise hoffte sie selbst darauf, das Transkript als Buch veröffentlichen zu können. Doch daraus wurde erst mal nichts.

Aufzeichnungen 2004 zufällig entdeckt

Erst 2004 fiel Alfred Bush, einem Kurator im Ruhestand, in der Firestone-Bibliothek der Universität Princeton das Dokument zufällig in die Hände. Die Entdeckung wurde als Sensation gefeiert, denn Einstein selbst führte nur selten Tagebuch. Jetzt hat der Autor Peter von Becker das Manuskript gemeinsam mit weiteren Funden und erklärenden Texten zu einem Buch zusammengefügt: »Ich bin ein Magnet für alle Verrückten. Die Einstein-Protokolle – Sein Leben, seine letzte Liebe, sein Vermächtnis« ist gerade im Heyne Verlag erschienen.

Das Werk gibt dank Fantovas Aufzeichnungen einen Einblick in den Alltag der letzten Lebensjahre von Einstein. Was er dachte und worüber er plauderte, fügt dem Bild von ihm eine neue Facette hinzu: Einerseits ist da schon immer das große Physikgenie, das mit der Relativitätstheorie das Weltbild der Physik revolutionierte. Andererseits kommt so der Privatmensch hinzu, dessen Plaudern am Telefon selten weltbewegend ist – eher charmant, herrlich normal und manchmal auch kurios.

»Magnet für alle Verrückten«

Einstein erzählt seiner Freundin Fantova von Konzerten und Vorträgen, die er besucht, von Musik und Sendungen, die er im Radio hört, und von Büchern, die er liest. »Freud war sehr gescheit, aber vieles in seiner Theorie halte ich für dummes Zeug«, befindet Einstein etwa über das Werk des Begründers der Psychoanalyse.

Einstein berichtet auch von Diskussionen mit anderen Wissenschaftlern und von den vielen Freunden, Bekannten und Bittstellern, die ihn Tag für Tag besuchen oder ihm Briefe schreiben. »Ich bin ein Magnet für alle Verrückten, und sie interessieren mich auch. Nachzukonstruieren, wie sie gedacht haben, das ist eine Liebhaberei von mir. Diese Menschen tun mir in der Seele leid, das ist auch der Grund, warum ich da zu helfen versuche.«

In Fantovas Aufzeichnungen wird deutlich: Auch wenn Einstein von Menschen umschwärmt wurde, sah er sich selbst als Einzelgänger. »Ich habe große Freude am Geschriebenen, wenn ich mir selbst heraussuche, was ich lesen will, und bin froh, wenn ich keine Menschen sehe«, sagte der Physiker. Er sei ein »ganz isolierter Mensch, obwohl mich jeder kennt – aber es sind doch so wenige, die mich wirklich kennen«.

»Die ausgestreckte Zunge gibt meine politischen Anschauungen wieder«

Einsteins zweite Ehefrau und seine Schwester waren zu dem Zeitpunkt bereits gestorben. Doch enge Beziehungen zu seinen Kindern und Enkeln scheinen Einstein nicht allzu wichtig gewesen zu sein. Nur einmal berichtet Einstein Fantova vom Besuch eines Enkels. Der sei »sehr nett«, sogar »netter als sein Vater und Großvater«, erzählt der Wissenschaftler – »er wird keine heroischen Taten ausführen, er wird aber seinen Weg machen«.

Am Telefon sprach Einstein, der 1933 aus Nazideutschland in die USA flüchtete, mit seiner Freundin auch über Politik. Angesichts der Weltlage in den frühen Fünfzigerjahren war der Physiker wenig optimistisch: Es begann allmählich der Kalte Krieg, die deutsche Wiederaufrüstung war absehbar, dazu der Nahostkonflikt und die McCarthy-Ära in den USA. »Es ist nicht schön auf der Welt! Aber es könnte schon ganz schön sein, wenn die Menschen anders wären.« Seine Meinung zur Weltpolitik habe er mit dem berühmten Foto, auf dem er die Zunge herausstreckt, deutlich gemacht: »Die ausgestreckte Zunge gibt meine politischen Anschauungen wieder«.

Einstein mit ausgestreckter Zunge: Das ikonischste Foto von ihm

Foto: Bettmann Archive / Getty Images

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