Flüchtlinge integrieren oder zurückschicken – Deutschland muss sich entscheiden

Es ist vermutlich nur ein Zufall, aber ein bezeichnender, dass sich Angela Merkel vergangene Woche zu einem Gespräch »auf Augenhöhe« mit Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak traf. Zur Begründung sagte Frau Merkel laut WDR : »Wir reden immer viel über Menschen, die zu uns kamen, aber nicht mit den Menschen, die zu uns kamen. Und das fand ich spannend.«

Da ich immer noch denke, die alte Kanzlerin nach all den Jahren des Begleitens und Beschreibens ein wenig zu kennen, habe ich mich gefragt: Da sie das so naiv, wie es klingt, auf keinen Fall gemeint haben kann, warum sagt sie es dann trotzdem so? Wem will sie etwas beweisen – und was eigentlich?

Ebenfalls in der vergangenen Woche hat die Regierungsmehrheit von Union und SPD im Bundestag beschlossen, den Familiennachzug für jene Flüchtlinge zu stoppen, die nach Prüfung ihres Asylantrags nur »subsidiären Schutz« zugestanden bekamen. Das heißt, grob vereinfacht, dass sie eigentlich kein Recht haben zu bleiben, es trotzdem bis auf Widerruf dürfen, weil man sie in ihr Heimatland nicht zurückschicken kann, weil es dort unsicher ist. Diesen »subsidiären« Schutz haben (oder bekommen) zu einem hohen Anteil die Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak, mithin Merkels Restaurantgesellschaft. Gibt es einen Zusammenhang? Ich denke, ja.

»Wir reden immer viel über die Menschen, die zu uns kamen«, sagte also Frau Merkel. Mindestens in einem Punkt stimmt das leider ganz und gar nicht, fürchte ich. Wir haben nämlich nicht viel, sondern viel zu wenig darüber geredet, ob Bürgerkriegsflüchtlinge wie aus Syrien (oder inzwischen auch aus der Ukraine) eines Tages wieder gehen sollen oder ob sie sich integrieren und für immer in Deutschland bleiben sollen. Wie hätten wir es denn gern?

Regierungen und Behörden haben eine Menge unternommen, dass die Flüchtlinge sich integrieren, die Erfolge sind nicht zu leugnen. Aber lag dem ein vorab formuliertes Ziel zugrunde, dass wer nun einmal im Land ist, auch für immer bleiben soll? Nein, tat es nicht. Es geschah so, weil man ja nicht nichts tun konnte. Trotzdem könnte man genauso gut das gegenteilige Ziel ausrufen: Wenn der Bürgerkrieg, der sie aus der Heimat vertrieb, zu Ende ist, sollten die Flüchtlinge selbstverständlich in die Heimat zurück, die nach wenigen Jahren wohl immer noch eher Syrien (oder die Ukraine) als Deutschland ist, nicht wahr? Frau Merkel und ihre Nachfolger haben diese Erwartung bestenfalls in leise Worte gekleidet. Wenn überhaupt.

In diese Lücke stößt nun der Stopp des Familiennachzugs und weist über die Zahl der 1000 Angehörigen pro Monat weit hinaus. Der springende Punkt ist: Nicht obwohl, sondern gerade weil der Familiennachzug die Integration der Kriegsflüchtlinge mit subsidiärem Schutz im Zweifel erleichtern würde, soll er unterbleiben. Wer will, dass sie nur zeitweilig Gäste im Land sind, sieht keinen Sinn darin, dass diese Gruppe mit größerem Familienkreis sesshaft zu werden versucht.

Es ist erschütternd, wie unterkomplex die Opposition auf diesen Paradigmenwechsel – oder besser: diese Paradigmenklärung – reagiert. Eine andere Meinung zum Familiennachzug ist absolut legitim, aber den zentralen Punkt – bleiben oder gehen – einfach zu ignorieren? Himmel, so blind können selbst Grüne und Linke nicht sein, dachte ich. Falsch gedacht.

Die fluchtpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag wetterte über »menschenfeindliche Abschreckungspolitik«, als ginge es um die Wirkung des Stopps auf junge Männer, die deswegen noch einmal überlegen, ob sie sich auf den Weg machen oder nicht. Das ist lächerlich, davon träumt nicht einmal der Innenminister, und der ist von der CSU. Ein innenpolitischer Sprecher der Grünen beklagte, dass die Integration ohne den Rückhalt der (nachgezogenen) Familie schwerer falle – und hatte offenkundig nichts begriffen (s.o.). Die Familie soll in der Migrationspolitik der neuen Regierung nicht Anker in Deutschland sein, sondern Magnet in der alten Heimat, ein Pullfaktor, aber zurück. Das kann man zynisch nennen, aber durchschauen sollte man es wenigstens.

Denn es geht jetzt um die großen Fragen: Hat die aufnehmende, Schutz bietende Gesellschaft einen Anspruch darauf, dass die Kriegsflüchtlinge die erste Chance zur Rückkehr nutzen, die sich bietet? Erlischt dieser Anspruch im Laufe der Jahre, weil aus dem Fluchtort eine neue Heimat geworden ist – und wer bestimmt, ob das der Fall ist?

Mehr als 4,3 Millionen Ukrainer leben mit temporärem Schutz in der EU. Viele werden in die Nähe der Staatsbürgerschaft dieser Länder kommen, war das der Sinn der Übung? Und wer kann notfalls diktieren, wo Heimat zu sein hat – hier oder in Syrien, hier oder in der Ukraine? Ein Kriegsflüchtling aus einem Land, in dem kein Krieg mehr herrscht, sollte jedenfalls nicht mehr Anspruch haben als ein Klimaflüchtling aus einem afrikanischen Land, das gerade verdorrt.

Diese Fragen gehen ans Fundament unseres Landes, das aus Werten, Interessen und Identitäten besteht. In einem Monat fast auf den Tag jährt sich Angela Merkels »Wir schaffen das« zum 10. Mal. Die neue Regierung hat einen neuen Anfang gemacht. Aber ein paar weiterführende Antworten täten jetzt gut.

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