Im August und Anfang September geht die Lage am Abend auf Weltreise: SPIEGEL-Korrespondentinnen und -Reporter berichten aus den Metropolen und entlegenen Ecken Asiens, Afrikas, Amerikas und Europas. Und natürlich bekommen Sie hier auch weiterhin Ihr Nachrichten-Briefing: News, Meinung, Storys – alles, was am Tag wirklich wichtig ist.
1. Ausländische Investitionen – oder Ausländer raus?
Die MAGA-Ideologie des Donald Trump gehört zu den eher inkohärenten Denkschulen. Sie will die Interessen der einfachen Amerikaner vertreten und begünstigt die Milliardäre. Der US-Präsident fordert amerikanische Größe und verzwergt sich selbst, indem er Putin als Seinesgleichen empfängt. Er verspricht Recht und Ordnung und lässt die Aufständischen des 6. Januar frei.
Insgeheim – oder auch nicht so geheim – hofft der aufgeklärte Europäer, dass MAGA an seinen inneren Widersprüchen zerbrechen möge. So weit ist es noch lange nicht, aber ein Riss hat sich aufgetan: Nämlich zwischen Trumps Wunsch, ausländische Direktinvestitionen anzuziehen, und dem mindestens ebenso innigen Verlangen, möglichst viele Ausländer außer Landes zu schaffen. Getroffen hat es diesmal Hunderte südkoreanische Arbeiter, die im US-Bundesstaat Georgia für zwei südkoreanische Konzerne ein Batteriewerk hochziehen. Sie werden abgeschoben. Doch wer soll jetzt die 7,6 Milliarden Dollar verbauen, die Hyundai und LG Energy Solution als Investition angekündigt haben?
Das analysieren meine Kolleginnen Britta Kollenbroich, Washington-Korrespondentin, und unsere frühere Korrespondentin in Seoul, Katharina Graça Peters. »In Südkorea ist der Ärger groß, man fühlt sich gedemütigt«, sagt Katharina. Die Razzia auf der Baustelle offenbare zudem tieferliegende Probleme, die einem Wiederaufbau der US-Industrie im Wege stünden.
Lesen Sie hier mehr: Warum die Razzia bei Hyundai für Trump zum Problem werden kann
2. Die Last der Pflege
Eine Zahl auf unserer Website hat mich heute erschreckt, sie lautet: 5,7 Millionen. Es ist die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland. Noch ein bisschen erschreckender: 2017 waren es erst 3,4 Millionen – wenn ich es richtig überschlage, entspricht das einer Steigerung von rund zwei Dritteln in nicht mal einem Jahrzehnt. Die Alterung der Gesellschaft manifestiert sich mittlerweile massiv. Abfangen müssen sie in erster Linie die Angehörigen, denn nur 14 Prozent der Pflegebedürftigen sind stationär in Heimen untergebracht.
Wie geht es diesen Angehörigen? Das ist Gegenstand einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, die mein Kollege Benjamin Bidder ausgewertet hat. Wie anzunehmen, haben Pflegende mehr Stress und weniger Zeit, sich um sich selbst zu kümmern, etwa Sport zu treiben. Weniger erwartbar finde ich einen Effekt, den Benjamin ausführlich beleuchtet: nämlich dass das Haushaltseinkommen pflegender Angehöriger kaum sinkt, weil etwa Partner mehr arbeiten oder der Staat finanzielle Einbußen durch Transferzahlungen ausgleicht. Von China aus betrachtet erscheint mir das deutsche Sozialsystem ohnehin weniger kritikwürdig als so manchem daheim.
Lesen Sie hier mehr: Wie lässt sich die Lage pflegender Angehöriger verbessern?
3. Letzte Ausfahrt Nostalgie
Wer in der Volksrepublik lebt, dem kann kaum entgangen sein, wie sehr chinesische Autobauer in den vergangenen Jahren reüssiert haben – und welche Angst das ihren deutschen Konkurrenten eingejagt hat. Zu Recht. Die Rede war vom »Shanghai-Schock«, weil den Deutschen auf der Shanghaier Automesse 2023 aufging, wie weit ihnen die Chinesen in den Jahren der Pandemie, als man einander nicht zu Gesicht bekam, enteilt waren.
Zwei Jahre später scheinen sich Volkswagen, BMW und Konsorten sortiert zu haben, wie mein Kollege Alexander Demling auf der Automesse IAA in München beobachten konnte: Sie orientieren sich an der Vergangenheit. VW bringt etwa den Polo zurück, wenn auch als Stromer. Rückwärtsgewandt findet Alexander diese Strategie dennoch nicht. Ein Auto sei für viele Menschen das teuerste – und emotionalste – Produkt, das sie im Leben kauften. »An die Nostalgie und das Heimatgefühl anzudocken, das bekannte deutsche Autos bei vielen deutschen Konsumenten auslösen, ist ein guter Anfang«, sagt Alexander.
Schauen Sie sich hier um: Die Macht der Nostalgie – und wie sie Deutschlands Autoindustrie helfen könnte
Was heute sonst noch wichtig ist
Seit 2021 in Neuseeland untergetauchter Vater stirbt durch Polizeischüsse: Vier Jahre lang versteckte sich Tom Philips mit seinen drei entführten Kindern im neuseeländischen Busch. Nun kam es nach einem Einbruch zu einem Polizeieinsatz – mit schwerwiegenden Folgen.
Schüsse in Jerusalem – mehrere Verletzte und Tote: Unbekannte haben in Jerusalem Schüsse auf einen im Stau stehenden Bus abgegeben, es gab Tote und Verletzte. Die israelische Polizei spricht von einem Terrorangriff, man habe zwei palästinensische Angreifer erschossen.
Selenskyj drängt nach russischem Großangriff auf »starke Reaktion« der USA: Kremlchef Putin zögert ein Treffen mit Präsident Selenskyj bislang hinaus. Stattdessen: der bislang größte russische Luftangriff seit Kriegsbeginn. Nun hofft Kyjiw auf eine starke Antwort. Doch Washington bleibt vage.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Betrug mit Blüten
Ich bin ein halbwegs ambitionierter Balkongärtner, mit ihrer kuriosen Entdeckung hat mich meine Kollegin Julia Köppe deshalb sofort abgeholt. Es geht um Blumensamen, die in Tütchen verpackt an deutschen Adressen eintrudeln, obwohl niemand sie bestellt hat. Eine hübsche Idee von Unbekannten, um flächenversiegelte Innenstädte per Guerilla-Gardening aufblühen zu lassen?
Tatsächlich stecken dahinter wohl chinesische Firmen, die auf diesem Weg einen – wenigstens nicht existenzbedrohlichen – Onlinebetrug begehen wollen. 2025 sind allein am Frankfurter Flughafen 65.000 verdächtige Sendungen entdeckt worden. Was zu tun ist, wenn eine davon in Ihrem Briefkasten landet, lesen Sie hier .
Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Gut gemeint, Falsches gesät
Was heute weniger wichtig ist
Auflegung: Topmodel Naomi Campbell, 55, hat das Metier gewechselt. Auf einem Elektrofestival in München – genauer: in einer Münchner Baugrube – trat die glamouröse Britin als DJ auf. Vor ihrem Auftritt soll sie sich bekreuzigt haben. Wegen des rustikalen Ambientes oder wegen der Nervosität? Es war nämlich ihr DJ-Debüt. »Wir waren einfach die Ersten, die sie angefragt haben«, sagte eine Sprecherin des Veranstalters.
Mini-Hohl
Hier finden Sie den ganzen Hohl.
Cartoon des Tages
Und heute Abend?
Mein Berichtsgebiet China ist hinter den USA der weltweit zweitgrößte Kinomarkt. International haben chinesische Filme es oft schwer, obwohl sie mittlerweile durchweg hochwertig produziert sind.
Etliche sind von Hurrapatriotismus übersättigt, sodass sie ein nicht chinesisches Publikum befremden. Oder sie setzen kulturelles Vorwissen voraus und sind deshalb für Ausländer schwer zu dechiffrieren.
»Hao Dongxi« (wörtlich »Gute Sache«, der englische Titel lautet »Her Story«) ist da anders. Der Film der 34-jährigen Regisseurin Shao Yihui war vergangenes Jahr ein Überraschungserfolg im chinesischen Kino, und das mit einem Sujet, das in der Volksrepublik als schwer vermittelbar gilt: Feminismus. Den nimmt der chinesische Apparat als aufwieglerisch wahr: Feministische Diskurse würden die soziale Harmonie stören. Dass das männliche Publikum auch in China oft ungehalten darauf reagiert, ist eine Untertreibung.
Die Geschichte spielt in Chinas modernster Metropole Shanghai und dreht sich um die Journalistin und alleinerziehende Mutter Wang Tiemei, ihre Tochter im Grundschulalter, Moli, sowie die neue Nachbarin der beiden, die Sängerin Xiao Ye.
Die beiden Frauen freunden sich an und unterstützen einander, und durch den Umgang mit Moli gewinnt Ye eine neue Perspektive auf ihr eigenes Kindheitstrauma. Es geht um Elternsorgen und Datingkultur, die Dialoge sind schnell und witzig. Am Ende steht die Erkenntnis: Was Probleme, Wünsche und selbst den Habitus angeht, unterscheiden sich chinesische Großstädter von ihren westlichen Altersgenossen eben doch nicht eklatant.
Mit englischen Untertiteln ist der Film hier zu sehen .
Viele Grüße aus Peking. Herzlich
Ihr Georg Fahrion, Korrespondent, Peking
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Laden an einem Minigolfplatz in Miltenberg (Bayern)
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Klaus Stuttmann / Illustration: Klaus Stuttmann
Filmszene aus »Hao Dongxi« (englischer Titel »Her Story«)
Foto: Changchun Film Group - China Film Co. / Collection Christophel / picture alliance