Rien ne va plus in Paris

Nach Vertrauen fragen, Misstrauen ernten

Für den Präsidenten eines europäischen Landes hat Emmanuel Macron einen recht hohen Verschleiß an Premierministern und (bislang) einer Premierministerin (Grüße gehen raus an Italien!). Seit seiner Wiederwahl 2022 hat Macron den Posten viermal vergeben. Besser gesagt: Vergeben müssen, und zwar an Élisabeth Borne, Gabriel Attal, Michel Barnier und François Bayrou.

Die Liste wird demnächst um eine Regierungschefin oder einen Regierungschef länger. Denn heute wird sich der aktuell amtierende Premier Bayrou einer Vertrauensfrage im französischen Parlament stellen, die er selbst herbeigeführt hat, von der er aber sicher wissen dürfte, dass er sie verlieren wird: Eine Mehrheit in Gesellschaft und Politik lehnt seinen Sparplan ab, darum dreht sich die ganze Malaise gerade. Sparen muss das Land, die meisten wissen es, aber kaum jemand will es. Danken kann Bayrou im Wesentlichen seinem Chef Macron, der die Nation mit Neuwahlen überfuhr, weil seine Partei bei den Europawahlen 2024 kläglich scheiterte. Eine Kamikaze-Aktion, seither stehen sich in der Nationalversammlung drei politische Blöcke unversöhnlich gegenüber, rien ne va plus.

Paris könnten politische Chaostage bevorstehen, von Mittwoch an ist zudem landesweiter Protest angekündigt, logisch, wir sind schließlich in Frankreich.

Und während sich Politiker an den extremen Rändern bereits die Hände reiben und sich in Stellung bringen (mehr dazu hier ), wäre spätestens jetzt die Zeit im Élysée, über Wohl und Wehe von Disruption in der Politik nachzudenken. Die trägt zum Charisma des Entscheidenden bei, kann aber dafür sorgen, dass nicht lupenreine Demokraten profitieren.

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Russischer Terror von oben

Eines der vielleicht größten Missverständnisse zwischen Autoritären und Demokraten ist meiner Ansicht nach, dass die Autoritären dieser Welt eigentlich oft genug klarmachen, was sie so vorhaben, aber die Demokraten sowohl Worte als auch Taten zu lange nicht ernst nehmen. Sie erscheinen ihnen vielleicht absurd oder noch umkehrbar, es herrscht eine bräsige Ohnmacht und vermutlich auch ein wenig Hoffnung, dass am Ende alles doch nicht so schlimm kommt.

Womit wir bei Wladimir Putin wären. Der russische Machthaber führt seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine weiter, als habe es den Gipfelmarathon der vergangenen Wochen nicht gegeben. In der Nacht zum Sonntag terrorisierten unter anderem rund 800 russische Drohnen Kyjiw und andere Orte der Ukraine, allein in der Hauptstadt starben zwei Menschen, eine Mutter und ihr Kleinkind. Nach ukrainischen Angaben war es der schwerste Drohnenangriff seit Beginn des russischen Angriffskrieges (mehr zum Luftkrieg lesen Sie hier ), es brannten zahlreiche Gebäude, erstmals auch ein Regierungsgebäude.

Es ist erst eine Woche her, dass die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen davon sprach, dass führende EU-Staaten an »recht präzisen Plänen« für mögliche Militäreinsätze in der Ukraine arbeiteten. Diese sollen dann Teil von Sicherheitsgarantien für das angegriffene Land nach einem Waffenstillstand sein. Wie Putin zur Idee eines Waffenstillstands steht, hat er nun wieder gezeigt. Ziemlich klar.

  • Mehr Hintergründe: Ukraine meldet schwersten russischen Drohnenangriff seit Kriegsbeginn

Ist das Faschismus oder kann das weg?

Der Präsident schüchtert politische Gegner ein und weist vermummte und bewaffnete Beamte an, Einwanderer von der Straße wegzuschnappen und in Haftlager zu stecken. Der Präsident installiert ihm gefällige Personen in wichtige Positionen und untergräbt damit die Funktion von Institutionen. Ihm nicht genehme schmeißt er raus. Die Opposition wird zum inneren Feind erklärt, zum Teil eines »tiefen Staates«. Gerichtsurteile respektiert der Staatschef nicht unbedingt. Er baut einen Führerkult um seine Person auf, er ist der starke Mann. Was dem Präsidenten nicht passt, ob in Kultur, Bildung oder Wissenschaft, ist unpatriotisch oder antiamerikanisch.

Immer häufiger kommt es in unseren Redaktionskonferenzen vor, dass wir uns kurz schütteln müssen, wenn uns bewusst wird, dass wir bei diesen Schlagworten nicht über die »ususal suspects« sprechen, sondern über den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Und dass wir versuchen, dem Kind einen Namen zu geben: Was für ein System baut sich da in Zeitraffer vor uns auf? Ist das noch der »Umbau« zu einem autoritären Staat – oder schon der Beginn von Faschismus amerikanischer Ausprägung? Dass Donald Trump die USA in ein solches System umformen könnte, schrieb zumindest Robert Kagan, einer der wichtigsten konservativen Intellektuellen des Landes, vor bald bereits zehn Jahren.

Zu weiteren Elementen auf dem Weg des Umbaus dürfen sicher auch martialische Umbenennungen von staatlichen Institutionen gezählt werden, statt Verteidigungs- nun also Kriegsministerium (mehr dazu hier ). Oder der Einsatz des Militärs im Inneren, damit ja niemand auf die Straße geht. Nach Los Angeles und Washington droht Trump jetzt Chicago damit, die Nationalgarde einzusetzen. Die Stadt sei völlig außer Kontrolle geraten. Dass nur demokratisch regierte Städte außer Kontrolle geraten, versteht sich von selbst.

  • Mehr Hintergründe: Trumps nächste Drohung an Chicago – dieses Mal mit Verweis auf Kriegsfilm »Apocalypse Now«

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Verlierer des Tages…

…ist das Entsetzen. Es fehlt nämlich gerade, wenn man sich den Höhenflug der in Teilen rechtsextremen AfD anschaut.

Die Partei erreicht ihren höchsten Umfragewert auf Bundesebene und kommt erstmals in der Sonntagsfrage auf 25 Prozent, nur noch zwei Prozentpunkte hinter der Union. In Sachsen-Anhalt, das kommendes Jahr einen neuen Landtag wählt, lag die Partei sogar deutlich vor der CDU (mehr dazu hier). Und all das trotz »Migrationswende«. Unionsfraktionschef Jens Spahn sagte vor wenigen Monaten, man solle mit der AfD im Bundestag umgehen »wie mit jeder anderen Oppositionspartei auch«. Man darf fragen, ob das die richtige Strategie ist.

  • AfD-Fraktionsmitarbeiter wegen rassistischen Angriffs auf Flüchtlinge vorbestraft 

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

  • Australische Pilzmörderin muss mindestens 33 Jahre hinter Gitter: Sie servierte ihren Gästen Filet Wellington mit gefährlichen Pilzen, wenig später starben drei von ihnen. Nun steht das Strafmaß für Erin P. fest. Erst im hohen Alter kann sie auf eine Freilassung hoffen.

  • Seit 2021 in Neuseeland untergetauchter Vater stirbt durch Polizeischüsse: Vier Jahre lang versteckte sich Tom Philipps mit seinen drei entführten Kindern im neuseeländischen Busch. Nun kam es nach einem Einbruch zu einem Polizeieinsatz – mit schwerwiegenden Folgen.

  • Kaserne statt Hotel – das sind die britischen Pläne für Geflüchtete: Mehr als 30.000 Geflüchtete sind 2025 bereits mit dem Boot in Großbritannien angekommen. Das Land muss sie zumindest vorerst unterbringen. Dafür könnten Militäranlagen umfunktioniert werden.

Heute bei SPIEGEL Extra: Na, langweilig?

Das Bewusstsein für die Gefahren eines Burn-outs ist inzwischen dankenswerterweise viel größer als früher. Viele Menschen wissen, wie gefährlich es ist, sich zu überarbeiten. Weniger bekannt ist das Phänomen Bore-out: Menschen, die so gelangweilt und unterfordert sind in ihrem Job, dass sie daran leiden. Auch das kann die Gesundheit gefährden, wie Florian Gontek und Larena Klöckner erfahren haben. Lesen Sie hier, was zwei Betroffene den beiden erzählt haben. 

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihre Özlem Topçu, Leiterin des SPIEGEL-Auslandsressorts

Premier Bayrou, Präsident Macron: Sparen muss das Land, aber kaum jemand will das

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AfD-Schlüsselanhänger: Umgehen, wie »mit jeder anderen Oppositionspartei« auch?

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