Fußballer werden gern gefragt, was denn das Spiel ihres Lebens sei. Roland Stegmayer musste darüber nicht lange nachdenken.
Es gibt ein Datum in der Bundesligageschichte, das bis heute mit seinem Namen verbunden ist: Der 16. April 1977, 30. Spieltag der Saison 76/77. Es treffen der abstiegsbedrohte 1. FC Saarbrücken und der Europapokalsieger FC Bayern München im Ludwigsparkstadion aufeinander. Es wird das Spiel des Lebens des Roland Stegmayer und vermutlich auch das größte Spiel in der Bundesliga-Historie des 1. FC Saarbrücken.
Die Bayern spielen eine miserable Saison bis dahin, sie liegen nur auf Platz sechs der Tabelle, sieben Punkte hinter Spitzenreiter Mönchengladbach. Aber es ist immer noch der FC Bayern, es ist das Team von Franz Beckenbauer, Sepp Maier, Gerd Müller, Georg Schwarzenbeck, Bulle Roth. Neben Müller stürmt ein junger Kerl aus Lippstadt, Karl-Heinz Rummenigge.
Alles geht gut
Auf der Gegenseite steht ein Klub, der auf Platz 16 versucht, den Abstieg zu verhindern. Das Saarbrücker Pendant zu Gerd Müller, der zu jener Zeit alle Rekordmarken eines Torjägers hält, ist Harry Ellbracht, Spitzname Stolper-Harry, weil er so viele Torchancen vergibt.
»Die Leute haben im Vorfeld sowieso alle mit einer Niederlage gerechnet, die Frage war nur, wie hoch wir verlieren«, hat Stegmayer vor ein paar Jahren im »Kicker«-Interview erinnert. Wie soll das denn gut gehen?
An diesem Tag geht alles gut.
Dabei nimmt das Spiel unter Leitung von Schiedsrichter Wolf-Dieter Ahlenfelder zunächst seinen Lauf, wie man es in Saarbrücken kennt. Harry Ellbracht vergibt eine Topchance, als er einen Kopfball aus kurzer Entfernung neben das Tor von Sepp Maier setzt. Aber dann geht es los. 25. Minute, 1. Auftritt von Roland Stegmayer.
Stegmayer ist zu Saisonbeginn von Hannover 96 an die Saar gewechselt, er ist in der Vorsaison mit den Niedersachsen aus der Bundesliga abgestiegen, und in Saarbrücken hat er sich schnell einen guten Ruf erarbeitet. Gegen den 1. FC Köln mit seinem Torwart Toni Schumacher sind ihm drei Treffer gelungen, Stegmayer ist in diesen Tagen gut in Form.
In der 25. Minute segelt eine Saarbrücker Flanke in den Bayern-Strafraum, Stegmayer steht mit dem Rücken zum Tor, nimmt den Ball in einer Art Fallrückzieher auf. »Ich hab den Ball gar nicht ins Tor fliegen sehen. Aber als ich wieder aufstand, hat das ganze Stadion gejubelt«, hat er dem »Kicker« erzählt. 1:0, der Sportschau-Kommentator Hans Beerwanger merkt, ohne die Stimme auch nur ein Jota zu heben, an: »Ein sehr schönes Tor.«
Ab da ist Stegmayer, lange Koteletten im Gesicht, fliegende Haare, nicht mehr zu stoppen. In der 41. Minute jagt er Sepp Maier einen Ball in den kurzen Torwinkel, 2:0 für den Außenseiter. Ellbracht hatte zuvor zwar nicht das Tor getroffen, aber dafür Maier den Ball mit solcher Wucht an dessen Kopf geschossen, dass der Nationaltorwart erst einmal K.o. ging. Für den endgültigen Knock-out der Bayern sorgt dann Stegmayer nach der Pause.
Erst schießt er gegen den Pfosten des Bayern-Tores, beim nächsten Versuch ist er treffsicherer. Freigespielt von seinem Mitspieler Ludwig Schuster schiebt er den Ball an Maier vorbei zum 3:0. Eine Viertelstunde später düpiert er seinen Gegenspieler Georg Schwarzenbeck im Strafraum, überwindet Maier erneut: 4:0, viermal Roland Stegmayer.
Danach scheitert er noch einmal am Bayern-Torwart, der dem Saarbrücker Publikum dann doch noch einmal beweisen will, dass er immer noch zu Recht Nationaltorhüter ist.
Aber für die Bayern ist ihr Martyrium auf dem Rasen des Ludwigsparks der damals schon so holprig aussah, wie er das heute immer noch ist, nicht beendet. Es folgen zwei weitere Saarbrücker Tore, das 6:1 von Schuster, Leihgabe des FC Bayern, ist eine Demütigung der gesamten Münchner Abwehr. Sogar der stocknüchterne Beerwanger ringt sich ein »sensationell« und ein »die Bayern werden hier regelrecht vorgeführt« in seinem Sportschau-Kommentar ab.
6:1 gegen die Bayern, das bleibt bis heute, und das Resultat aus der Hinrunde, die 1:5-Pleite der Saarbrücker in München, ist damit auch getilgt.
Anschließend fluten die Zuschauer den Rasen, schon beim sechsten Tor stürmt ein Kind aufs Feld und umarmt den Torschützen Schuster. Das war damals ganz normal.
Stegmayer wird vom ZDF für den Abend spontan ins »Aktuelle Sportstudio« eingeladen, er lehnt aber ab, weil man ihn nach den drei Toren gegen Köln auch nicht gefragt hatte. Da hat er seinen Stolz.
Dafür wird mit der Mannschaft gefeiert, die Sektflaschen werden noch in der Saarbrücker Kabine geköpft. Als Trainer Manni Kraft am nächsten Morgen um zehn Uhr zum Training bittet, steht er allein auf dem Platz.
Stegmayer und die Saarbrücker halten am Ende die Klasse, es sind genau die zwei Punkte gegen die Bayern, die sie letztlich vor dem Abstieg bewahren.
Grausame Rache
Ein Jahr später üben die Bayern grausame Rache und schicken den FCS 7:1 nach Saarbrücken zurück, zwei Tore von Gerd Müller, auch Uli Hoeneß und Rummenigge treffen. Die Saarländer steigen ab, Stegmayer wechselt zu Fortuna Köln und kehrt nie mehr in die Bundesliga zurück.
Aber noch mehr als 40 Jahre später sagt er den Satz: »Diese vier Tore kann mir niemand nehmen.«
Im Alter von 74 Jahren ist Roland Stegmayer nun gestorben. Mit seinen 19 Toren ist er bis heute der Bundesliga-Rekordtorschütze des 1. FC Saarbrücken.
Roland Stegmayer im Trikot des 1. FC Saarbrücken 1977
Foto: Ferdi Hartung / IMAGOStegmayer jubelt, die Bayern sind konsterniert
Foto: Ferdi Hartung / IMAGOStegmayer mit Teamkollege Roland Peitsch bei Hannover 96 (1975)
Foto: Metelmann / Kicker / IMAGOAls Saarbrücker gegen Eintracht Frankfurt und deren Torwart Jupp Koitka
Foto: Ferdi Hartung / IMAGO