Wer verstehen wollte, wie außergewöhnlich diese deutsche Basketballnationalmannschaft ist, musste die EM-Spiele bei Magenta Sport verfolgen. Dort wurde regelmäßig Moritz Wagner als Experte zugeschaltet. Am Abend des Endspielerfolgs gegen die Türkei avancierte der verletzt fehlende Profi zum heimlichen Helden (lesen Sie hier die Turnier-Einzelkritik aller Europameister ).
Als sein Bruder Franz Wagner für seine Nominierung ins All-Star-Team geehrt wurde und später zum Interview bei Magenta erschien, trug er das Trikot von Moritz Wagner. »Moritz« war auf der Brust zu lesen, und der im knapp 9000 Kilometer entfernte Kalifornien sitzende Bruder konnte seine Rührung nicht verbergen, er wusste nicht, wohin mit sich. »Das habe ich nicht kommen sehen«, sagte der Experte wider Willen.
Das war herrlich authentisch, so etwas kommt in der Welt des Spitzensports selten vor.
Moritz Wagner war aber viel mehr als nur emotionaler Begleiter. Wenn sportliche Analysen gefragt waren, lieferte er im Duett mit dem in der Halle sitzenden Hauptexperten Per Günther verständliche und kompetente Einschätzungen. Wagner nahm die Zusehenden an die Hand, erklärte unaufgeregt diesen rasanten Sport – und dieses besondere Team.
Man sollte vorsichtig sein, den Spirit dieser Basketballgeneration auf andere Sportarten übertragen zu wollen. Und doch liefert das Team seit Jahren ein Lehrstück, was mit (wahrem) Teamgeist, mit klarer Rollenverteilung, mit Vertrauen in die Gruppe und Empathie möglich ist. Deutschland ist Welt- und Europameister im Basketball. Mittendrin: Moritz Wagner.
Moritz Wagner und das »Wir«-Gefühl
Zuallererst ist Wagner, 28, aktiver Basketballspieler. Gemeinsam mit seinem Bruder und Tristan da Silva, dem im Viertelfinale gegen Slowenien ein spektakulärer Korb von der Mittellinie gelungen war, steht er in der NBA bei Orlando Magic unter Vertrag. Wenn Wagner sich im vergangenen Dezember nicht das Kreuzband gerissen hätte, wäre er mit hoher Wahrscheinlichkeit bei der EM in Finnland und Lettland dabei gewesen.
Diese Nähe zu seinem Teamkollegen lässt sogar das bisweilen etwas übertriebene »Wir«-Gefühl nicht zu einem Störgefühl werden. Wer, wenn nicht ein verletzt fehlendes Mitglied dieser Mannschaft, darf sich bei der EM-Erzählung mit einschließen und von »uns« sprechen (anders als der Moderator)?
In der Stunde ihres nach dem WM-Titel zweitgrößten Erfolgs wurden die Spieler nicht müde, einander zu würdigen. Kapitän Dennis Schröder ging sogar so weit, seine Auszeichnung als bester Spieler des Turniers mit Franz Wagner teilen zu wollen. »Er war unser bester Spieler«, sagte Schröder. Und ebenjener Franz Wagner, einer der besten Spieler in der NBA und auf dem Weg zum Superstar, sagte im Interview mit seinem Bruder als Erstes: »Bro, wir vermissen dich.«
Die Wagner-Brüder sind einem breiteren Publikum ein Begriff, seit sie 2024 in einer ZDF-Dokumentation Einblicke in ihre Karriere, in ihre Zeit am College, ihr Bangen um gute Verträge und in ihr Privatleben gegeben haben. Der SPIEGEL schrieb damals, die beiden seien »zwei Sechser im Lotto« .
Zwei Anrufe aus der Halle in Riga
Moritz Wagner glänzte in der Dokumentation vor allem mit realistischen Einschätzungen seines eigenen Leistungsvermögens und einem unverblümten Blick auf das Geschäft NBA. Sein Bruder ist der deutlich bessere Basketballspieler. Er verdient deshalb auch viel mehr Geld.
Man kann Moritz Wagner in der Doku dabei beobachten, wie er seinen Vertrag in Orlando verlängert. Am Ende bekommt er elf Millionen Dollar für ein Jahr. Das ist wahnsinnig viel Geld, nur wenige Fußballer in Deutschland verdienen mehr. Wagners temporäre Unzufriedenheit mit den Angeboten und seine Gedanken dazu hätten leicht arrogant oder abgehoben wirken können.
Das Gegenteil war allerdings der Fall. Wagner sprach von Anerkennung, von Wertschätzung und schaffte es so, das Thema vom Geld wegzuziehen.
Beim EM-Finale nun menschelt es wieder. In einer Magenta-Schalte telefoniert Wagner live mit seiner Mutter – seit der Doku auch ein kleiner TV-Star – und hält das Handydisplay in die Kamera. Wenig später, die Mannschaft ist kurz davor, auf das Siegerpodest gerufen zu werden, versammeln sich die Spieler am Handy von Franz Wagner und jubeln gemeinsam mit ihrem verhinderten Power Forward und TV-Experten in den USA.
Zum Schluss der Magenta-Übertragung geht es um Moritz Wagners Zukunft. Ende Oktober startet die NBA-Saison, ob er Orlando dann schon wieder zur Verfügung steht, ist ungewiss. Das Nationalteam muss sich, trotz des EM-Titels, für die WM 2027 in Katar qualifizieren. Dann will Wagner wieder dabei sein, auch wenn ihm das Expertendasein »viel Spaß« bereitet hat.
Man ist geneigt, zu denken: schade.
Basketballer Wagner: Herzen gewonnen
Foto:Screenshot / Magenta TV
All-Star-Bruder Franz Wagner: Anruf aus der Halle
Foto:Stefanos Kyriazis / LiveMedia-IPA / ZUMA Press Wire / dpa