Merkel fordert scharfe Abgrenzung von der AfD

Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel hat im SPIEGEL-Spitzengespräch mit Markus Feldenkirchen ihre umstrittenen Entscheidungen in der Flüchtlingspolitik im Jahr 2015 verteidigt. Merkel sagte am Mittwochabend in Berlin, es sei die Frage gewesen, wie Europa reagiere, wenn Menschen in einer Notsituation vor der Tür stehen. »Begegnen wir Menschen mit Würde oder setzen wir Wasserwerfer ein?«, sagte Merkel. Sie habe damals überlegt, was die Würde des Menschen in dieser Situation gebiete.

Sie räumte ein, dass die Vielzahl der Geflüchteten, die nach Deutschland kamen, zum Aufstieg der AfD beigetragen hat. Merkel habe aber alles daransetzen wollen, gemeinsam mit vielen anderen Menschen im Lande zu helfen. Und dabei »unseren Wertevorstellungen einigermaßen zu entsprechen«. »Der Preis, anders zu handeln, wäre mir zu groß gewesen«, so Merkel.

Auch müsse es noch weitere Gründe für den Aufstieg der Partei geben. Als sie aus dem Amt geschieden sei, habe die AfD Werte von elf bis zwölf Prozent erzielt. Bei der jüngsten Bundestagswahl kam sie auf 20,6 Prozent und hat inzwischen in bundesweiten Umfragen mit der Union gleichgezogen.

Es sei zwar die Aufgabe der Union, politisch in die Mitte zu integrieren, »aber nicht um den Preis, die eigenen Werte aufzugeben«. Stattdessen müsse sie es »mit Maß und Mitte versuchen« und die Gesellschaft nicht weiter polarisieren. Merkel forderte eine scharfe Abgrenzung zur rechtsradikalen Partei. Sie begründete dies damit, dass die AfD eine andere Vorstellung »von unserer Gesellschaft und dem Aufbau unseres Staates« vertrete. Das Grundgesetz stelle klar, dass die Staatsgewalt vom Volk ausgeht. Die AfD unterscheide jedoch in Volk und Eliten und ziehe infrage, ob Eingebürgerte vollwertige Staatsbürger seien. »Das zerstört die Demokratie« und müsse klar benannt werden, sagte die Altbundeskanzlerin.

Kritik an gemeinsamer Abstimmung mit AfD

Mehrheiten mit der AfD zu suchen, halte sie auch aufgrund der Programmatik der Partei für falsch. Sie nannte beispielhaft die Position der AfD zur Nato, zur Europäischen Union und der Gemeinschaftswährung Euro, aber auch die relativierende Haltung zur Menschenwürde. Sie bekräftigte ihre Kritik daran, dass Bundeskanzler Friedrich Merz kurz vor der Bundestagswahl in Kauf genommen hatte, migrationspolitische Anträge allein mit Stimmen der AfD durch den Bundestag zu bringen. Es habe keinen Grund gegeben, von der staatspolitisch richtigen Aussage abzuweichen, dass es keine zufälligen Mehrheiten mit der AfD geben könne, auch wenn der Messer-Anschlag mit zwei Toten in Aschaffenburg eine »schreckliche Situation« gewesen sei.

Sie erneuerte auch ihre Kritik an den von Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) in der schwarz-roten Bundesregierung durchgesetzten Zurückweisungen von Asylsuchenden an den deutschen EU-Binnengrenzen. Merkel verwies auf ihr Verständnis des europäischen Rechts, wonach diesen Menschen ein Verfahren in Deutschland gewährt werden müsse. Ihr sei 2015 allerdings auch klar gewesen, dass die Situation geordnet werden müsse. Deswegen habe sie das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei ausgehandelt. Auch habe sie immer gesagt, dass Menschen, denen kein Aufenthaltsrecht in Deutschland gewährt werde, das Land wieder verlassen müssten.

Viel geschafft, aber natürlich nicht alles

Gefragt nach ihrem bekannten Ausspruch »Wir schaffen das« in ihrer Sommerpressekonferenz vor zehn Jahren, sagte sie, »es ist wahnsinnig viel gelungen. Wir haben sehr viel geschafft, aber natürlich nicht alles.« Es gebe nach wie vor die Aufgabe, gegen Schleuser und Schlepper vorzugehen. Auch bei der Integration sei nicht alles erreicht worden.

Es sei wichtig, jenen zu danken, die »sich so wahnsinnig engagiert haben«. Ein »gutes Wort« hätten auch die Geflüchteten verdient, die heute perfekt Deutsch sprächen und etwa als Ärzte und Krankenschwestern einen Beitrag für dieses Land leisteten. Dass unter den Ankömmlingen auch islamistische Gewalttäter gewesen seien, gehöre zu den »sehr bedrückenden Erfahrungen« ihrer 16-jährigen Amtszeit.

Angesprochen auf ihre eigenen Versäumnisse, sagte Merkel, sie werfe sich vor, dass die Bundesregierung Geflüchtetenlager etwa in Jordanien und anderen Ländern nicht besser unterstützt und finanziert habe. »Das sollte uns nicht wieder passieren«, sagte Merkel und warnte davor, die Etats für Entwicklungshilfe und humanitäre Hilfe weiter zu beschneiden. Die weltweite Entwicklung in dieser Richtung sehe sie mit großer Sorge.

Die Aufzeichnung des gesamten Spitzengesprächs mit Angela Merkel sehen Sie am Donnerstagabend hier exklusiv bei .de.

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