Weihnachtsmärkte sind die Hölle

Der bekennende Konservative hat nichts gegen den Kapitalismus und auch nichts gegen Konsum mit vernünftigem Augenmaß. Doch zugleich neigt er in der dunklen Jahreszeit zu ein wenig mehr Kulturpessimismus als üblich. Das kommt von den vielen Weihnachtsmärkten. Und von der einhergehenden Frage: Was hat dieser zumeist völlig verkitschte, verfressene, versoffene Rummel-Rumms mit »Weihnachten« zu tun? Kapitalismus und Konsum können Kultur sein oder Kultur hervorbringen, gewiss, unter Umständen. Aber der »Weihnachtsmarkt«, wie er dieser Tage in deutschen Städten anhebt? Der hat mit Weihnachten in etwa so viel zu tun wie Veggie mit Wurst. Wo ist die Sprachpolizei, wenn man sie mal braucht?

Damit wir uns richtig verstehen: Das ist hier ein freies Land, alle sollen machen, was sie wollen, auch auf den geschätzt rund 2500 Weihnachtsmärkten in Deutschland, denen ich den Umsatz grundsätzlich gönne. Aber, mal ehrlich: Fürs Rudelkoma mit Glühwein könnte man ja auch in die Südkurve gehen – anstatt die schönsten und größten Plätze unserer Städte zuzuballern mit den immer gleichen, pseudo-urtümlichen Buden in 0815-Holzimitat, mit diesen fortwährend kesseldampfenden Fressständen und den meterlangen Verkaufstresen, wo bis in alle Ewigkeit dieselben Wurzelholzrasierpinsel feilgeboten werden, acht Sorten harter Hüttenkäse und Petersilienpesto im Retro-Weckglas, nicht zu vergessen dieses bemüht auf früher getrimmte Kinderspielzeug. Himmel, damit haben wir den Keller voll. Eben von früher.

Man muss es nicht einmal besonders ernst nehmen mit der Kirche oder dem christlichen Glauben, um zu spüren: Mit der heiligen Weihnacht, mit ihrer Geschichte und Würde, hat das »Weihnachten« in »Weihnachtsmarkt« wenig zu tun. Da kann die Sause noch so sehr »Christkindlesmarkt« heißen, da mag sie mancherorts 500 Jahre und länger Tradition haben. Die ist längst über Bord, und die billigste Bratwurst im Brötchen liegt in Berlin jetzt bei sechs Euro. Vielleicht setzen die krassen Preise dem Ganzen ein Ende.

Darum taugt der Weihnachtsmarkt auch ganz und gar nicht für jenen Kulturkampf, der so schrecklich in Mode gekommen ist. Nachgerade angestrengt versuchen dieser Tage manche Rechts-außen-Rüpelportale, sich daran steif zu empören, dass die Weihnachtsmärkte auch wegen früherer islamistischer Anschläge heute ein Sicherheitskonzept brauchen (wie andere Großveranstaltungen ebenso). Ausgerechnet Magdeburg hatte wegen dieser Kosten den Weihnachtsmarkt sogar absagen wollen, was interessierte Seiten dann allen deutschen Muslimen pauschal hätten in die Schuhe schieben können, mit »Remigration millionenfach« als Remedur. Ein paar Tage später war die Sache geklärt, der Weihnachtsmarkt in Magdeburg eröffnet. Nur von rund zehn Absagen wusste die Tageszeitung »Welt«, ansonsten von ideologisch durchaus gefestigtem Meinungsbild, Stand Anfang des Monats zu berichten. Das wären weniger als 0,5 Prozent aller Weihnachtsmärkte.

Mag sein, dass islamistische Terrortäter in den amüsierorientierten Verkaufsveranstaltungen ein christliches Symbol gesehen haben, um ihre Mordanschläge fanatisch zu überhöhen. Das ist in jeder Hinsicht sowieso schon geisteskrank. Aber es wäre noch ein weiterer Beweis für ihre Verblendung: Wer im gängigen deutschen Weihnachtsmarkt etwas Christliches zu erkennen vermag, könnte genauso gut jeden Drogeriemarkt ins Visier nehmen. Zu kaufen gibt es an beiden Orten annähernd dasselbe, dieselbe Musik dudelt, und riechen tut es auch identisch (von der Bratwurst abgesehen). Vom Kulturkampf um den örtlichen dm oder Rossmann habe ich indes noch nie gehört.

Wie gesagt: Jeder soll den Spaß haben, den er dafür hält, vollkommen in Ordnung, und von mir aus kann es gern »Weihnachtsmarkt« heißen. Aber wie besessen muss man sein, fürs Sehr-viel-Trinken-und-Essen unter freiem Himmel im November und Dezember auf dem Präfix »Weihnachts«(-Markt) empört zu bestehen und sich von einem Begriff wie »Wintermarkt« gesellschaftlich oder kulturell attackiert zu fühlen? Und das auch noch jedes Jahr berechenbar aufs Neue?

Die AfD in Nordrhein-Westfalen sah zuletzt im möglichen Namenswechsel des Weihnachtsmarkts in der Stadt Kerpen eine aus ihrer Sicht schwere Sünde, nämlich »falsche Rücksichtnahme auf andere Religionen und Kulturen«. In Kerpen sollte der Weihnachtsmarkt tatsächlich in »Genussmarkt im Advent« umbenannt werden, ich würde das einfach ›ehrlich‹ nennen, »Sagen, was es ist«, heißt es beim SPIEGEL.

Doch auf Facebook (!) entstand eine kleine Wutwelle, die AfD surfte mit (siehe oben), und nun soll das Ganze wieder »Weihnachtsmarkt« heißen. Von der vermeintlich glaubensfeigen Umbenennung erhoffte sich der Veranstalter wohl, so liest man in der örtlichen Presse, bestimmte Sicherheitsauflagen gewinnsteigernd umgehen zu können. Als die Behörden dem Veranstalter aber bedeutet hätten, dass der Name diesbezüglich keinen Unterschied machen würde, sei er – reuig? – umgekehrt. Die Bekehrung dieses vom Glauben Gefallenen, das wäre wie ein biblisches Motiv, doch ich bin skeptisch. Über Aufstieg oder Untergang des christlichen Abendlandes wird anderswo entschieden als auf dem deutschen Weihnachtsmarkt. Ich denke, es war die Kostenfrage, die den Ausschlag gab. Wie gesagt: Weihnachtsmärkte sind viel Kapitalismus und wenig Kultur.

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